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Sport: Boxen, aufregend schön

Weltmeister Markus Beyer verteidigt seinen Titel bravourös und erstaunt die Fachwelt

Berlin - Als ihm sein Trainer Uli Wegner oben im Boxring noch den Senkel seines linken, schwarzen Boxstiefels schnürt, ist das das letzte Zipfelchen Entschlossenheit. Markus Beyer spürt die feste Verknotung durch die kräftigen Hände seines vor ihm knieenden Trainers. Instinktiv hebt sich sein Kinn, sein Blick ist fokussiert und geht diagonal in die gegnerische Ecke zu seinem amerikanischen Herausforderer. Omar Sheika steht tänzelnd in seiner Ecke, er malmt seinen Mundschutz. An Beyers Bauchmuskulatur ist ein leichtes Vibrieren zu erkennen, sein innerer Motor hat Betriebstemperatur. Noch einmal fasst der Trainer seinem Boxer in den Nacken, beim ersten Gong schickt er ihn mit einem Klapps in die Ringmitte. Zwölf Runden später schaukelt Omar Sheika wie paralysiert durch den Ring. Markus Beyer aber hebt seinen linken Arm, er lehnt seinen Kopf daran und über sein Gesicht huscht ein Lächeln. Die Geste eines Siegers.

Was heißt Sieger? Im Boxen gibt es K.-o.-Siege, die durch einen glücklichen Schlag zu Stande kommen. Und es gibt Siege, die deutlicher sind als viele Knockouts. Passieren wird es im Berliner ICC, bei der Weltmeisterschaft im Super-Mittelgewicht des World Boxing Council. Markus Beyer, der 34 Jahre alte Titelverteidiger, wird in zwölf intensiven Runden seinen sechs Jahre jüngeren und sieben Zentimeter größeren Herausforderer deklassieren, ja teilweise demolieren. Viele Cuts, Beulen und Brüschen zieren das Gesicht des Amerikaners als er vor die Presse tritt: „Ich konnte heute nicht starten, ich kam nie in den Kampf“, wird Sheika murmeln. Dessen Trainer Alan Campbell macht ein Gesicht, wie es jemand tut, der alles wollte und nichts bekommen hat: „Wir hatten einen guten Plan, leider ließ er sich nicht umsetzten.“

Der Plan des schlagstarken Herausforderers sieht vor, Beyer den Weg abzukürzen, ihn in den Infight zu ziehen und dort dem Weltmeister den Kleinkrieg zu erklären. Dazu soll es fast nie kommen. Wenn doch, dann entzieht sich Beyer dem Clinch im Stile eines Entfesselungskünstlers und kontert seinerseits wie ein „wahrer Krieger“, wie hinterher Sheikas Manager Mike Borao sagen wird. So viel Klarheit herrscht selten beim Boxen, wie Henry Maske am Ende findet: „Die Aktionen von Markus waren so klar, dass nicht einmal unerfahrene Zuschauer Zweifel hatten.“

Tatsächlich boxt Markus Beyer clever, fast fehlerlos, und immer aufregend. „Ein Trainer strebt nach Vollkommenheit“, seuselt Beyers Trainer Wegner tief in der Nacht. „Markus hat Sheika nie zur Entfaltung kommen lassen. So, wie er ihn ausgeboxt hat, das ist ’ne Wucht. Ich hoffe, jetzt ist der Knoten endlich geplatzt – äh, wieder geplatzt.“ Wegner strahlt.

Markus Beyer ist stilistisch einer der komplettesten Boxer, die Deutschland je hatte. Er wird hinterher bescheiden bleiben: „Sheika hat das Tempo gemacht, ich habe getroffen.“ Tatsächlich ist der Rechtsausleger für einen Konterboxer perfekt veranlagt. Seine Meidbewegungen sind leicht und flüssig und er schlägt gekonnt und zielsicher in die Angriffe des Gegners. Attribute, die bis in den Kampf gegen Sheika hinein mit einem Sternchen als Zeichen für eine Einschränkung versehen sind. Wird Beyer noch einmal der, der er schon einmal war?

Wie 1999. Beyer wird in England gerade das erste Mal Weltmeister. Es soll für fast sechs Jahre sein bester Kampf bleiben, denn er durchläuft anschließend Höhen und Tiefen. Er verliert den Titel, gewinnt ihn zurück, verliert ihn wieder, holt ihn wieder. Für die Fachwelt gilt Beyer als Wackel-Weltmeister, als einer, der sein Phlegma nicht mehr in den Griff zu kriegen scheint. Eigentlich kann er alles, nur blockieren ihn Selbstzweifel im Ring, die zu physischen Aussetzern führen und ihn in Verlegenheit bringen. Als seine Karriere auf der Kippe steht, sucht er bei einem Psychologen Hilfe. Und kriegt sie.

„Ich komme wieder rein in seine Seele“, wird Trainer Wegner tief in der Nacht sagen. Und der Boxer? „Ich bin jetzt mental soweit, dass ich jeden boxen kann, den ich will“, sagt Beyer, der sich über seinen 33. Sieg im 35. Profikampf freut.

Wilfried Sauerland ist vor Freude außer sich. Beyers Promoter kündigt neue, mutige Pläne an: „Er ist Weltmeister, weiter geht es nicht.“ Im Dezember soll der einzige deutsche Boxweltmeister seinen Titel verteidigen, „danach wollen wir einen Vereinigungskampf mit einem anderen Titelträger haben“, sagt Sauerland. Beispielsweise mit dem Amerikaner Jeff Lacy, dem Weltmeister nach IBF-Version. Den hat Omar Sheika vor einem Jahr geboxt. Sein Urteil im Überkreuzvergleich fällt deutlich aus: „Jeff Lacy ist ein Kämpfer, Markus Beyer aber der Boxer.“

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