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In Schräglage. Nur die besten Eisspeedway-Fahrer beherrschen den schmalen Grat zwischen Sturz und perfektem Rennen.

© dapd

Eisspeedway in Berlin: Auf Höllenmaschinen übers Eis

Eisspeedway hat mit Motorradfahren auf der Straße wenig gemein. Zentimeter über dem Boden und mit fast 30 Millimeter langen Spikes an den Rädern jagen die Extremsportler über ein Eis-Oval. Jeder Sturz könnte der letzte sein.

Eine riesige Kuhglocke erlöst die Zuschauer. Irgendwo auf der Gegentribüne gibt ein österreichischer Fan mit dem hektisch Läuten des Souvenirs aus seiner Heimat das Signal: Alle sind durch. Unverletzt.

Auf der Ehrenrunde werden die Motorradfahrer von frenetischem Jubel begleitet und angeheizt, noch ein, zwei kleine Kunststückchen mit ihren aufgemotzten Höllenmaschinen zu machen. Sekunden vorher, während der Rennen, ist kaum ein Laut von den Rängen im Wilmersdorfer Eisstadion zu vernehmen. Nur besonders gewagte Überholmanöver reißen das Publikum kurz aus ihrer Starre. Extremsport ist, wenn die Zuschauer irgendwo zwischen Bangen und Begeisterung stecken bleiben.

Auf dem Eisoval jagen die Fahrer beim Eisspeedway nur Zentimeter über der spiegelglatten Fahrbahn durch die Kurven. 350, fast 30 Millimeter lange Spikes an den Rädern sollen die Schwerkraft außer Kraft setzen und die Fahrer auf dem Eis halten – verwandeln die Maschinen aber bei jedem Sturz in lebensgefährliche Geschosse.

„Das Risiko ist relativ“, sagt Günther Bauer, Vierter der ersten Berliner Ice-Challenge am vergangenen Wochenende, fast beiläufig: „Es kann in jeder Sportart was passieren. Das musst du ausblenden – sonst bist du hier fehl am Platz.“ Die Eisspeedway-Fahrer sind ein eingeschworener und vor allem überschaubarer Haufen. Die wenigsten „normalen“ Motorradfahrer trauen sich aufs Eis. „Ein bisschen verrückt musst du schon sein“, sagt Bauer: „Aber ich bin es gern.“ Der Niederländer René Stellingwerf erlitt in Berlin im Training bei einem Sturz eine tiefe Fleischwunde im Oberschenkel, musste minutenlang behandelt werden. Am Sonntag kann ihn der Rennarzt gerade so davon abhalten, doch an den Start zu gehen. Ein bisschen verrückt.

Das zieht seit Jahrzehnten die gleiche, aber immer größer werdende Fangemeinde an. Motorradhelme und schwere Lederjacken liegen neben jedem zweiten Platz auf den Tribünen. Biker unter sich, um die wagemutigsten zu feiern. Die „weltbesten Fahrer“ aus acht verschiedenen Nationen wurden nach Berlin eingeladen, wie Jochen Lindner, Ehrenpräsident des Deutschen Motorsport Verbandes immer wieder betont. Da mit Weltmeister Nikolai Krasnikow und Dmitri Koltakow nur zwei Russen am Ende vorne lagen, ist das allerdings nur die halbe Wahrheit. Russland hätte noch weitere Fahrer zu bieten gehabt, die die Szene seit Jahren dominieren. „Die überragende Übermacht der russischen Fahrer“, sagt Lindner, wurde kurzerhand nicht eingeladen. Quälereien mit dem internationalen Motorsportverband verhinderten zudem die Ausrichtung eines offiziellen Weltmeisterschaftsrennens.

Den Zuschauern ist das herzlich egal, das Spektakel schlägt alles. Wer gewinnt ist nebensächlich. Hauptsache die erlösende Glocke läutet. Entsprechend verzichtet Krasnikow im letzten Qualifikationslauf auf den Nimbus der Unbesiegbarkeit und lässt seinen Freund Bauer gewinnen. „Harte Gegenwehr hat er bestimmt nicht geleistet“, sagt Bauer augenzwinkernd, nachdem er so doch noch am Finalrennen teilgenommen hat, und die Zuschauer für einen Moment aus ihrer Starre reißt.

Jan Mies

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