zum Hauptinhalt
Dunkle Wolken über dem Sportforum. Führt der Weg des BFC weiter in die Versenkung?

© Frank Willmann

Gibt es wahre Liebe ohne Leiden?: BFC Dynamo: Hilflos, kraftlos, lustlos

Unser neuer Kolumnist Frank Willmann schreibt ab sofort bei Tagesspiegel.de regelmäßig über Fußball im Osten. Los geht es mit einer Analyse der Krise des BFC Dynamo, der in dieser Saison eigentlich aufsteigen wollte.

Es ist windig, feucht und grau. Typisches Berliner Depriwetter, wo man nicht mal seine rachitische Katze auf den Balkon lassen will. Ich hocke am Fenster und schaue auf den ehemaligen Todesstreifen, der heute Nordbahnhofpark heißt. Will mal wieder einen Familienausflug nach Hohenschönhausen machen, den dort ansässigen BFC besuchen. Allein die Familie verweigert mir die Gefolgschaft. Mein Sohn greift sich an den Kopf, meine Freundin lacht mich aus. Außerdem brauche sie das Auto. So stapfe ich einsam zur Straßenbahn Linie 6, die mich nach einundvierzig Minuten unweit des Sportforums auswerfen wird. Ich passiere Mitte und Friedrichshain, Berlin ohne Licht und Sonnenschein. Ein Oratorium des Schreckens, garniert durch bösartiges vorweihnachtliches Gedöns am Alexanderplatz. Die Panik nimmt kein Ende. Bald kommt Weihnachten!

Mit Aufstiegsambitionen in die Saison gestartet, taumelt der BFC gegenwärtig durch die Stadien der fünften Liga. Vergleichbar dem Faustschläger Graciano "Rocky" Rocchigiani in der traurigen Endphase seiner Karriere. Kurz vorm endgültigen Co., als ihm Sir Henry das Resthirn rausdrosch und Rocky durch den Ring jagte.

Seit dem Skandalspiel in der ersten Runde des DFB-Pokal gegen Bundesligist 1. FC Kaiserslautern bekommt Dynamo keinen Fuß mehr auf den Boden. Die im Grunde guten Fußballer des BFC hängen mächtig gewaltig in den Seilen und japsen nach Luft. Ein Fall für die Couch, hier sind Psychologen, keine tumben Schleifer gefragt.

Der BFC lotet derzeit ungeahnte Tiefen aus

Der BFC huscht als gefallener Cherub über die Dörfer und lotet ungeahnte Tiefen in der Abwärtsspirale der allgemeinen Fußballbeschissenheit aus. Neulich verloren die Berliner in Neubrandenburg. Obgleich Neubrandenburg nach Aussage einiger Fans mit Platzwarten, windschnittigen Haarkünstlern und dicken A-Jugendlichen auflief. Als Mitfavorit in die Oberliga Nordost-Nord gestartet, steht der BFC im Niemandsland der Tabelle. Dank der Regionalligareform werden wahrscheinlich am Ende vier Aufsteiger gekürt. Einfacher kam man selten nach oben.

Der letztjährige BFC-Trainer Heiko Bonan hechtete kurz nach dem Kaiserslautern-Spiel von Bord. Gegenwärtig trainiert er eine saudi-arabische Jugendmannschaft, hat die Taschen voller Geld und duckt sich ab, wenn mal wieder eine saudische Frau wegen unerlaubten Autofahrens mit zehn Peitschenhieben bestraft wird.

Neutrainer Igor Lazic übernahm den BFC. Er brachte BFC-Erfahrung mit! Zu Zeiten des seligen St. Nimmerlein soll er zweimal gegen die Hohenschönhausener gekickt haben. Jedenfalls wurde er in Berlin schon mal gesehen. Wahrscheinlich beim in der Nase bohren.

Gerade mal 239 Fans frieren im Sportforum vor sich hin

Die nach den Krawallen der eigenen Fans gegen Kaiserslautern recht aufgelöste Mannschaft gehorcht Lazic's Zuchtmethoden nicht. Mir tat er fast leid. Wie er einigermaßen hilflos an der Außenlinie stand, ab und an kraftlos mit den Ärmchen wedelte und bisher nur durch komische Auswechslungen und Aufstellungen auffiel. 

Am Sonntag ging es im Sportforum gegen eine unscheinbare Dorfmannschaft aus Brandenburg. Im Stadion neben mir 238 Erdenbürger, die offensichtlich mit ihrer Freizeit nichts Vernünftiges anzufangen wissen. Darunter auch fünf Schweizer ReckInnen aus Kreuzlingen.

Der Regen peitschte uns die Lippen blau. Die fünf Kreuzlinger sind große Fans des Amateurfußballs, die niemals Hertha besuchen würden. Ich denke an das schöne, überdachte Olympiastadion und nicke gequält. Spaß, Tradition, altes BFC-Stadion. Schön im Dauerregen stehen. Kein beheizter Sitz mit Dach, keine Dauerbeschallung durch den grenzdebilen Grinseknecht eines privaten Dudelfunks. Die Augen der Kreuzlinger leuchten, während ich mich innerlich verfluche und meinen feuchten Zinken putze.

Nicht mal gegen Altlüdersdorf kann der BFC derzeit noch gewinnen

Auf dem Platz vor uns findet fußballerisches Grauen statt. Der BFC spielt mit Blei in den Schuhen. Das Team hat keine Lust, sie wollen nach Hause. Unter die warme Sofadecke. Das spüren auch die wenigen Fans. Doch was bleibt einem Fan übrig, als sich in Kismet zu üben. Sie haben diesen Club nun mal im Herzen, da hilft nichts. Höchstens der Tod. Einige machen nach dem Anpfiff kurz Stimmung. Sie wedeln mit den Händen und singen das Lied von der Babuschka, die entweder Geschenke oder Ruten bringt.

Im Sportforum knarzt die Lautsprecheranlage. Ich verstehe nur Bahnhof, wenn der Stadionsprecher Neuigkeiten vermeldet. Es gibt zum Glück wenige Neuigkeiten. Der Regen lässt nach, die Wolkendecke reißt auf, ein schicker Halbmond regt die Fans zu intensivem Nachdenken über die Sinnlosigkeit allen menschlichen Tuns an. BFC-Jan erzählt mir, dass die Erde fünf Minuten vor dem Urknall noch einen Ring gehabt hätte. Vielleicht waren es aber auch acht oder zehn Ringe. Fußballromantik.

Dann schießt der Gegner aus Altlüdersdorf das 1:0. Das einzige Tor in diesem entsetzlichen Kick. Eine berechtigte rote Karte gegen den BFC gibt es außerdem. Ob der Verein nun reagiert? Er tut es. Am Montag feuert er den Trainer. Wohl, um nicht auch noch die letzten Zuschauer zu verprellen. Die Mannschaft lustlos, desinteressiert, gegen Trainer, gegen Alle und Jeden spielend.

Die ganze Bande zur Winterpause rausschmeißen, durch die A-Jugend ersetzen meint ein Fan mit Trostbier in der Tatze. Ich würde die Spieler auf die Couch schicken. Kommt wahrscheinlich aufs Gleiche raus.

Die Schweizer freuen sich über den Schlusspfiff. Ihr Fazit: schlechtes Spiel, da geht nix. Aber es hat Spaß gemacht (die Schweizer lachen). Sie wollen wiederkommen (die Schweizer lachen). Ich frage die einzige Frau unter den Schweizern, wie sie das Spiel gefunden hat.

Das Spiel? Ich weiß nicht. Sie lacht.

Frank Willmann, 48, hat mehrere Bücher zur Fußballkultur in der DDR veröffentlicht. Zuletzt erschien 2011 im Verlag Neues Leben Berlin 2011 "Zonenfußball: Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen". Willmann lebt in Berlin. Für Tagesspiegel.de schreibt ab sofort regelmäßig über den Fußball in den neuen Bundesländern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false