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Kick mit Kulisse. Der BSV Al-Dersimspor trägt seine Heimspiele auf dem Lilli-Hennoch-Sportplatz direkt vor der Ruine des Anhalter Bahnhofs aus. .

© Ian Stenhouse/No Dice Magazine

Kolumne Berliner Fußball: Al-Dersimspor: Neue Bescheidenheit am alten Bahnhof

Die einen haben eine schöne Heimspielstätte, aber zu viele Rote Karten. Die anderen sind für ihre Fairness berühmt, müssen sich aber mit wenig Geld behaupten. Unser Kolumnist Stephen Glennon über das Landesliga-Duell zwischen Al-Dersimspor und dem FC Internationale.

Der Lilli-Henoch-Sportplatz ist ein schöner Fußballplatz. Hinter dem nördlichen Tor liegt die Fassade des 1960 abgerissenen Anhalter Bahnhofs, der während des zweiten Weltkriegs zerbombt wurde. Am südlichen Ende steht das im Jahr 2002 gebaute Tempodrom, wo beliebte Schauspieler und Musiker (und auch mal David Hasselhoff) auftreten. Der Kontrast zwischen alt und modern ist stark. Dass ein Fußballplatz in der Mitte liegt, ist irgendwie logisch. Es gab Fußball damals. Fußball gibt’s heute noch. Fußball ist eine gute Zeitbrücke.

In diesem einzigartigen Umfeld spielt der BSV Al-Dersimspor, ein alevitischer Verein, der 2003 mit der Fusion von BSV Al-Spor und FC Dersimspor ins Leben gerufen wurde. Der Verein ist vor allem durch den Film „Football Under Cover“ für seine Frauenmannschaft (die mittlerweile in der Regionalliga spielt) bekannt, doch am Sonntag spielt die Männermannschaft ihr erstes Landesliga-Heimspiel der Saison gegen den FC Internationale. Und dabei wird es nicht nur die schöne Umgebung zu genießen geben: Al-Desimspor macht eine kleine Saison-Eröffnungsparty, es wird gegrillt und gefeiert.

Fairness statt Aufstiegsambitionen

Nach einem enttäuschenden 11. Platz in der Landesliga-Saison 2012/13 hat Al-Dersimspor dieses Jahr kein Aufstiegsziel – ganz im Gegensatz zu den vorangegangenen Spielzeiten. Vor zwei Jahren hat die Mannschaft den Aufstieg in die Berlin-Liga knapp verpasst: Ein Unentschieden am letzten Spieltag gegen Hürtürkel bedeutete, dass die türkische Mannschaft aus Neukölln mit einem Punkt Abstand aufstieg.

Jetzt will der Sportliche Leiter Kader Emre, statt an einen Aufstieg zu denken, zuerst andere Probleme lösen. Letzte Saison hat Al-Dersimspor in 30 Spielen 115 gelbe, vier gelb-rote und sechs rote Karten gesehen. Eine solche Disziplinlosigkeit sei nicht akzeptabel. „Dieses Jahr wollen wir ganz anders vorgehen,“ sagt Emre, „diszipliniert und anständig. Wir haben keinen Druck, wir wollen nicht aufsteigen. Wir wollen einfach schönen Fußball bieten.“

Soweit klappt das ganz gut. Am ersten Spieltag verlor Al-Dersimpor zwar knapp gegen Aufstiegsfavorit Hertha 06 mit 1:2, laut Emre war es aber „eine sehr gute Werbung für die Landesliga. Ein schönes, rassiges, temporeiches Spiel.“ Vom Spiel gegen FC Internationale erwartet Emre ebenfalls viel: „die haben einen guten Kader, auch eine junge Truppe, so wie wir“.

Internationale mit Remis zum Saisonauftakt 

Für Internationale begann die Saison ähnlich.  Obwohl das 2:2 gegen den Adlershofer BC nicht das perfekte Ergebnis war, hat die Mannschaft gute Ballkontrolle gezeigt, trotz Rückständen von 0:1 und 1:2 sind die Spieler in ihrem ersten Landesligaspiel nicht in Panik geraten. Der Ausgleichstreffer in der letzten Minute durch einen perfekten Freistoß von Innenverteidiger David Karaschewitz sicherte den Internationalen den ersten Punkt in der siebthöchsten Spielklasse.

Eine umso beachtlichere Leistung, wenn man berücksichtigt, dass FC Internationale seinen  Spieler grundsätzlich kein Gehalt bezahlt. Denn nicht nur in der Bundesliga spielt Geld eine sehr wichtige Rolle, sondern auch schon hier in der Landesliga. „Es gibt Spieler, die gerne bei uns Spielen würden, die aber sagen: ohne Geld machen wir das nicht,“ sagt der erste Vorsitzende Wolfgang Abitz, „Unser Weg ist aber so. Es läuft auch für unsere Begriffe ganz erfolgreich. Das ist ein Stück Idealismus und ein Stück Freude am spielen.“ Auf dem Trikot steht kein Sponsor, sondern die Wörter ‚NO RACISM’, finanzielle gestützt wird der Verein in erster Linie von den etwa 1.000 Mitgliedern. Mit den zahlreichen vom Verein organisierten Sozial- und Integrationsprojekten war Internationale der verdiente Gewinner DFB-Integrationspreises 2013.

Ein Spiel auf Messers Schneide

Auch Abitz freut sich auf die Partie auf dem schönen Lilli-Henoch-Sportplatz. „Das wird ein Spiel auf des Messers Schneide“, sagt er. Seit Stürmer Georg Froese am Ende der vergangenen Saison berufsbedingt seinen zeitlichen Aufwand für die Mannschaft stark reduzieren musste, ist es nicht mehr ganz klar, wer die Tore schießt. 41 mal traf Froese in der Aufstiegssaison in der Bezirksliga, dieses Jahr wird er nur ab und zu spielen können. Gegen Adlershof kam nur für 13 Minuten zum Einsatz, war aber entscheidend beteiligt. Er wurde vor dem Freistoß von Karaschewitz gefoult.

Am Sonntag um 14.15 Uhr werden also Al-Dersimspor und Internationale zwischen der Fassade des Anhalter Bahnhofs und dem Spitzdach des Tempodroms spielen: zwischen alt und modern.

Doch auch wenn das Spiel so attraktiv wird wie von Emre und Abitz erwartet: lange in Erinnerung bleiben wird es wohl nicht. Das macht aber nichts. Das WM-Finale schreibt Geschichte, die Landesliga nicht. In der Landesliga kann man einfach ein schönes Spiel in einem schönen Umfeld in der Gegenwart genießen. Die Vergangenheit ist unwichtig, die Zukunft auch. Und wenn noch dazu gegrillt wird, umso besser.

Der Autor: Stephen Glennon kommt aus Irland, lebt seit 2005 in Berlin und ist Mitgründer des englischsprachigen Berliner Fußballmagazins "No Dice".  Für den Tagesspiegel schreibt Glennon ab sofort immer Freitags über den Berliner Fußball.

Weitere Bilder und Spielberichte von„No Dice” auf Facebook: https://www.facebook.com/NoDiceMagazine

Berlins Spiel der Woche: BSV Al-Dersimspor - FC Internationale (Landesliga 2. Abt., 2. Spieltag), Sonntag, Anstoß 14.15 Uhr, Lilli-Hennoch-Sportplatz

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