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Michael Fuß hat das Toreschießen immer noch nicht verlernt.

© No Dice Magazine

Kolumne Berliner Fußball: Michael Fuß: Immer auf der Jagd

Seit zwanzig Jahren schießt Michael Fuß in Berlin Tore. Viele Tore. In der Szene ist der Stürmer von Tennis Borussia längst eine Legende, doch dass es nie zu einer Profikarriere reichte, hat vor allem mit Pech zu tun.

Manche Fußballspieler kommen mit einer Garantie. Mark van Bommel, das weiß man, wird gegnerische Spieler verletzen. David Beckham wird in Unterhosen gut aussehen. Ronny wird pummelig sein. Und Michael Fuß? Michael Fuß wird Tore schießen. Sehr viele Tore. Der Stürmer ist seit zwanzig Jahren im Berliner Fußball aktiv, trifft immer noch unaufhaltsam und ist in der Hauptstadt längst eine Legende.

Mark Twain hat mal gesagt, dass es drei Formen von Lügen gibt: „Lügen, verdammte Lügen und Statistiken“. Manche Statistiken sind aber so überwältigend und beeindruckend, dass man sie nicht einfach abtun kann. Zum Beispiel: 2000/01 hat Fuß in 34 Spielen für Türkiyemspor 66 Tore geschossen (kein Tippfehler, fast zwei Tore pro Spiel. Wirklich!). Dann war er für fünfeinhalb Jahre bei Tennis Borussia: 102 Tore in 165 Spielen. 2010/11 hat er für Viktoria 41 Tore geschossen. Et cetera, et cetera. Aber diese atemberaubenden Zahlen bringen natürlich eine große Frage auf: Wenn Michael Fuß ständig so viele Tore schießt, warum hat er dann immer nur für unterklassige Berliner Vereine gespielt?

Die Antwort ist, dass er einfach Pech hatte. Felix Magath wollte ihn 1997 für den HSV verpflichten. Fuß hatte einen Vertrag unterschrieben aber Magath wurde eine Woche später gefeuert. Der neue Chef wollte Fuß nicht mehr. 2005 kam noch eine Möglichkeit: Energie Cottbus zeigte großes Interesse, wollte die von TeBe aufgeforderte Ablösesumme jedoch nicht zahlen. Seitdem spielt Fuß einfach nur aus Liebe zum Sport und obwohl der Traum vom Profifußball längst vorbei ist, hat er keine Probleme, sich zu motivieren. „Ich bin vom Herzen immer Fußballer gewesen und ohne Fußball geht es halt nicht. Ohne Fußball ich bin Fehl am Platz,“ sagt er.

Auf dem Feld ist Michael Fuß nicht besonders auffällig. Er ist nicht besonders groß, er ist nicht besonders klein. Er ist nicht besonders energetisch oder dynamisch – eigentlich bewegt er sich nicht sehr viel. Wenn man 36 Jahre alt ist und gegen Jungspunde voller Tatendrang spielt, ist der Kopf eine viel wichtigere Waffe als der Körper. Und der Kopf von Michael Fuß funktioniert anders, das wird schnell klar. Wäre Minimalismus eine neuer Trend im Fußball, dann wäre Michael Fuß der Reklameheld. Für ihn muss es nicht schön sein. Es muss keine besondere Bedeutung haben. Der Ball muss einfach nur im Netz liegen. Er ist ein Jäger. Michael Fuß' Lieblingsspieler aller Zeiten ist - kaum überraschend - Gerd Müller.

Vergangene Saison hat Fuß in der Bezirksliga (8. Liga) für den SV Blau-Weiss gespielt (45 Tore), "weil mein guter Freund da Trainer war“. Langsam versteht man, warum Fuß so beliebt ist. Er hat einfach ein anderes Verständnis vom Spiel. Die meisten Fußballspieler fragen sich, was sie vom Fußball bekommen können. Fuß fragt sich, was er geben kann. Deswegen hat er in der Bezirksliga gespielt, obwohl er auch viel weiter oben hätte auflaufen können.

Seit Juli ist Fuß wieder bei Tennis Borussia, da wo er besonders beliebt ist. „Ich habe meine besten Jahren da erlebt,“ sagt er – und die TeBe-Fans haben diese Zeit nicht vergessen. Genau dort, wo Fuß 2009 für TeBe aufgehört hat, hat er am ersten Spieltag der neuen Berlin-Liga-Saison sofort wieder angefangen. Gegen den Berliner SC schoss er ein typisches Tor: Benjamin Hendschke mit einem Steilpass, Fuß von 0 auf 60 in zwei Sekunden, der Linksaußen und beide Innenverteidiger total durcheinander, der Torwart kommt herausgesprintet, aber zu spät. Tor, 1:0. Im nächsten Spiel gegen TuS Makkabi, schoss Fuß wieder ein Tor, diesmal einen Elfmeter. Doch trotz des erfolgreichen Auftakts für Fuß hat TeBe nur vier Punkte aus den ersten drei Spielen geholt – schon wieder hat man das Gefühl, dass Fuß der eine Mann in einem Einmann-Team ist.

Am Freitagabend spielt Tennis Borussia gegen den ewigen Aufstiegsfavoriten der Berlin-Liga, Hertha 03 Zehlendorf, und Fuß wird natürlich auch dabei sein. Es wird nicht mehr allzu viele Möglichkeiten geben, diese Ikone des Berliner Fußballs in Aktion zu sehen: Fuß erwartet, dass diese Saison seine letzte ist. Sagt er zumindest. Aber wenn man nur ein bisschen länger mit ihm darüber spricht, klingt er schon nicht mehr ganz so sicher. „Vielleicht steigen wir auf...“, denkt er laut nach, „aber es wird schwer. Wenn der Trainer mich haben will, dann würde ich noch ein Jahr Oberliga spielen.“ Mit der Michael-Fuß-Torgarantie scheint der Aufstieg durchaus möglich, womit wir vielleicht doch ein paar Jahre mit dieser Legende erleben dürfen.

Der Autor: Stephen Glennon kommt aus Irland, lebt seit 2005 in Berlin und ist Mitgründer des englischsprachigen Berliner Fußballmagazins "No Dice".  Für den Tagesspiegel schreibt Glennon ab sofort immer freitags über den Berliner Fußball.

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Berlins Topspiel der Woche: Freitag, 23. August, 19.00 Uhr, Mommsenstadion: Tennis Borussia - Hertha 03 Zehlendorf (Berlin-Liga 4. Spieltag). Ebenfalls beachtenswert: Samstag, 24. August, 13.30, Poststadion: Berliner AK - SV Babelsberg 03 (Regionalliga Nordost, 4. Spieltag).

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