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2009 spielte Türkiyemspor Berlin noch gegen den Chemnitzer FC in der Regionalliga.

© dpa

Kolumne Berliner Fußball: Türkiyemspor und Club Italia - das Ende des Albtraums?

Zum Auftakt der Landesliga-Saison treffen mit Türkiyemspor und Club Italia zwei Klubs aufeinander, die im Vorjahr die Grausamkeit des Fußballs zu spüren bekamen. Ob sie sich von ihren traumatischen Abstiegen erholt haben?

Das schlimmste an Albträumen ist, dass man niemals weiß, in welcher Form und wann sie kommen. Sonst könnte man sich davor schützen. Nein, man befindet sich einfach urplötzlich in einer furchtbaren Situation und muss bis zum Ende überleben. Bis man aufwacht.

Die Berliner Klubs Türkiyemspor und Club Italia haben in der vergangenen Berlin-Liga-Saison ihre ganz persönlichen Albträume erlebt, beide auf ganz unterschiedliche Weise. Beide Mannschaften hatten nichts mehr als den Klassenerhalt als Ziel: Türkiyemspor wegen dem laufenden Insolvenzprozess und Club Italia als Aufsteiger aus der Landesliga.  

Für die Italo-Berliner aus Charlottenburg begann der Horror sofort. Schon in der Hinrunde wurden nur sechs Punkte gesammelt, dann kam alles sogar noch schlimmer. Der Hauptsponsor  verabschiedete sich, die Spieler auch. Die Reservemannschaft aus der Kreisliga B übernahm. Ergebnis: Keine Punkte in der Rückrunde und ein Torverhältnis von 3:187! Doch trotz einer hohen Niederlage nach der anderen ist die Mannschaft jedes Wochenende fair und sportlich angetreten und erhielt dafür zu Recht viel Lob. Man hätte ja auch einfach aussteigen können.

Bei Türkiyemspor war der Abstieg sogar noch traumatisierender. Die Mannschaft aus Kreuzberg hatte vor der Saison keinen großen Zusammenbruch zu beklagen, die Spieler waren dem Verein treu geblieben. Noch nach der Hinrunde saß Türkiyem zufrieden mit 25 Punkten auf dem elften Platz  – elf Punkte Abstand zu den gefürchteten Abstiegsrängen.

Die Rückrunde ergab weitere 20 Punkte. 45 Punkte in einer Liga mit 18 Mannschaften, Platz 14 in der Rückrundentabelle, das klingt nach Klassenerhalt, oder? Leider nicht. Erstaunlicherweise verbesserten sich einige Mannschaften aus dem Tabellenkeller in der Rückrunde deutlich, der TSV Rudow holte sogar nur einen Punkt weniger als Meister Hürtürkel. Vor dem letzten Spieltag hielt Türkiyemspor noch den 13. Platz in der Gesamttabelle, doch durch eine 4:2 Niederlage in Hermsdorf und einer unglaublichen Kombination von Ergebnissen aus den anderen Stadien fanden sich die Kreuzberger plötzlich auf Platz 16 wieder, zum ersten Mal in der Saison auf einem Abstiegsplatz. Schmerzhafter geht es nicht.

Jetzt gehen beide Vereine den Neuanfang in der siebtklassigen Landesliga an, gleich am ersten Spieltag kommt es zum direkten Duell. Da die Reservemannschaft von Club Italia offensichtlich nur Kreisliga-Niveau hatte, musste eine ganz neue Mannschaft zusammengestellt werden. Der hochgelobte Trainer der Rückrunde, Recayi Özgenc, trainiert jetzt wieder die Reserve und Stefan Hohnstein übernimmt seine Rolle als Chef der ersten Mannschaft. Lorenzo Gagliardi ist der neuer Präsident und für ihn sind die Saisonziele sehr klar: „wir versuchen, die Klasse zu halten”.

Das Niveau der Landesliga kann man nur schwer einschätzen

Es ist gut, bescheidene Ziele zu setzen, da man das Niveau der Landesliga nur schwer einschätzen kann. Absteiger aus der Berlin-Liga spielen allerdings nur selten sofort wieder um den Aufstieg mit.

Hier ist nicht die Bundesliga, wo man weiß, dass Neuverpflichtungen wie Mario Götze oder Thiago Alcantara doch relativ gut Fußball spielen können. In der Landesliga ist alles nebelig und natürlich wollen die Vereine nichts verraten, was den Gegnern helfen könnte. Dieses Gefühl bekommt man zumindest im Gespräch mit Italia-Chef Lorenzo Gagliardi – was eigentlich alles noch viel spannender macht. Welche Qualität der Kader seiner Mannschaft in der neuen Saison haben wird, bleibt völlig unklar.

In Kreuzberg erholt sich währenddessen auch Türkiyemspor langsam vom Schock. Pressesprecher Robert Claus blickt zurück auf das Albtraum-Spiel gegen Hermsdorf: „Das war ein Schlag in den Magen. Alle waren sehr, sehr fertig. Das ist die eine Seite. Aber andererseits war es unser Ziel, den Verein zu retten. Das haben wir erreicht.“ Türkiyemspor lebt noch und hat immer noch einen wunderbaren Teamgeist. Spieler wie Torwart Gökhan Aydin und die Abwehrspieler Mustafa Gültepe und Serdar Keles sind geblieben, dazu kommen Cihan Yilmaz und Sükrü Caliskan zurück: Beide haben 2011 mit Türkiyem Erfahrung in der Oberliga gesammelt.

Zusammen mit ein paar Kids aus der eigenen Jugend sieht der aktuelle Kader nicht schlecht aus. Trotzdem bleibt Claus realistisch. „Aufstieg ist nicht unser Ziel – wir wollen diese Saison so gestalten, dass wir nächstes Jahr wieder angreifen können.” Grund für die Zurückhaltung ist der seit 2011 laufende Insolvenzprozess, der als höchste Priorität für den Verein gilt. Die Hoffnung ist, dass das Verfahren im Winter beendet wird.

Am Sonntag treffen die beiden Geschundenen also zum Saisonauftakt aufeinander. „Ein Pünktchen werden wir mitnehmen,” sagt Gagliardi selbstsicher.

Die allerschlimmsten Albträume sind die, in denen man denkt, dass man schon wach ist. Und dann kommt der nächste unheimliche Schreck. Nach der Partie im Katzbachstadion werden wir erste Hinweise darauf haben, wer noch schläft und wer schon aufgewacht ist.

Berlins Spiel der Woche: Türkiyemspor – Club Italia (Landesliga 1. Abt., 1. Spieltag), Anstoß 14.00 Uhr, Katzbachstadion

Der Autor: Stephen Glennon kommt aus Irland, lebt seit 2005 in Berlin und ist Mitgründer des englischsprachigen Berliner Fußballmagazins "No Dice".  Für den Tagesspiegel schreibt Glennon ab sofort immer Freitags über den Berliner Fußball.

„No Dice” auf Facebook: https://www.facebook.com/NoDiceMagazine

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