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Großer Auftritt. Im DFB-Pokal spielte der BAK 2010 gegen Mainz.

© dpa

Nur nach oben: Berliner AK: Der Klub der Heimwehkranken

Im Moabiter Niemandsland residiert der Berliner Athletik Klub von 1907. Mit ihm, meint Titus Chalk, könnte hier nicht nur fußballerisch Großes entstehen. Nicht zuletzt dank einiger Hip-Hop-Anleihen bei Run-DMC.

Endlich, endlich liegt Erneuerung in der Berliner Luft. Die ersten Krokusse brechen aus dem Erdreich. Viel ist auch in diesem Winter eingegangen, so, wie es in dieser quälendsten aller Winterstädte in jedem Jahr geschehen muss. Doch für jeden Traum, jede Liebe und jeden Fußballverein, für alles, was in der dunklen Jahreszeit erstarrt, kommt die Zeit, in der sich das Grün wieder empor rankt.

Zwischen Pappeln und Knast keimt in Moabit eine besonders viel versprechende Knospe: Der Berliner Athletik Klub 07, dessen Regionalliga-Spiel gegen den VfB Lübeck ich mir am vergangenen Sonntag ansah. Während das Spiel selbst aufgrund einiger wirklich grausamer Schwächen im Abschluss 0:0 ausging, können die wenigen 100 Fans durchaus zufrieden mit der allgemeinen Flugbahn des Club sein.

Dies hier ist immerhin, nach Hertha, Union, Babelsberg und – wenn auch in dem Fall nur mit fünf Punkten Differenz - Herthas zweiter Mannschaft der bestplatzierte Fußballverein der Region. Eine Tatsache, derer man sich hier im Poststadion, einem feinen Fußballplatz mit einer Haupttribüne aus Backsteinzargen und grünem Zement, durchaus bewusst ist. Die Kunde über diesen Leuchtturm der Fußballkunst – der BAK 07 bewegt sich im Mittelfeld der vierthöchsten Spielklasse – verbreitet sich gerade in letzter Zeit in dem eigentümlichen Niemandsort Moabit wie ein Lauffeuer. Viele, die ich auf der Tribüne treffe, gestehen, den Club an diesem Tag zum ersten Mal in Aktion zu sehen.

Die Bandbreite des Publikums ist dabei viel größer, als ich es erwartet habe. Ich hatte gehört, dass der BAK 07 nach dem Niedergang von Türkiyemspor vor allem die türkischen Fans der Stadt bediente. Das ist zum Teil auch wahr – doch seit der fehlgeschlagenen Eingemeindung von Ankaraspor vor fünf Jahren und der zwischenzeitlichen Umbenennung in Berlin Ankaraspor Kulübü ist die Gemeinde größer und vielschichtiger geworden.

Die Bratwürste mögen immer noch frei von Schweinefleisch sein (meine mag vor langer Zeit sogar mal zu einer Kuh gehört haben, aber nur im weittestmöglichen Sinn). Doch die, die sie auf der Tribüne einatmen, sind ein durchaus gemischtes Völkchen von Familien und Fans aus der näheren Umgebung. Ist das hier Integration in Aktion? Vielleicht noch nicht ganz – die unterschiedlichen Cliquen lösen sich nicht allein deshalb auf, weil sie jetzt gemeinsam in einem Fußballstadion sind. Aber hier herrscht gelebte Nähe – und das ist ein wichtiger lehrreicher Schritt.

Man vergleiche das zum Beispiel mit dem Olympiastadion – einem Ort, der von türkischen Fans weitestgehend gemieden wird. Frank Toebs, ein 51 Jahre alter Fußballbegeisterter im Moabiter Stadion, erinnert sich noch gut daran, wie Bananenwürfe und Affengeschrei dort draußen immer wieder dunkelhäutige Spieler trafen. Eine sichtbare Minderheit verschreckte da viele potenzielle Fans. Kurz bevor er dazu kommt, BAK 07 ein multikulturelles Utopia zu nennen, beendet er sein Loblied auf seinen neuen Verein, indem er phlegmatisch sagt: "Hier ist es nur so, wie es überall sein sollte."

Angesichts von mindestens 10000 leeren Plätzen bei jedem normalen Heimspiel scheint es einigermaßen dämlich, dass sich Hertha BSC so wenig um die Fußballliebhaber außerhalb der Hertha-Kerngemeinde bemüht. Aber Tradition – davon haben die großen Berliner Clubs mehr als genug – kann auch ein Verstärker von Trägheit sein.

Eine Fahne, um die herum man sich versammeln kann

BAK 07 ist in diesem Sinn dankenswert frei von der Art Geschichte, die normalerweise von Fans besungen wird (kleine Flirts mit der "großen Zeit" anno 2010, als Mainz 05 im DFB-Pokal gastierte, einmal ausgenommen). Beim Blick von der Tribüne ist es aufregend, sich vorzustellen, was aus diesem Verein werden könnte, wenn er die fußballerischen "Wechselwähler" der Stadt für sich begeistern könnte.

In Berlin ist definitiv Platz für einen Club, der die vielen heimwehkranken Fans aus aller Welt vereint, die sich in verrauchten Clubs, Kneipen und Wettbüros nach den Teams verzehren, die sie irgendwo zurückgelassen haben. Damit meine ich nicht nur die fanatischen Trabzonspor- und Borac-Banja-Luka-Fans in meiner Neuköllner Straße, sondern auch die Spanier und Engländer, die an jedem Wochenende Fußball auf ihren Laptops schauen. Und natürlich die Berliner der zweiten Generation, die noch immer nach einem zweiten Identitätsanker in ihrem Geburtsland suchen. All diese Mitglieder einer staatenlosen Fangemeinde brauchen nur eins – eine Fahne, um die herum sie sich versammeln können.

Irgendwer in der Marketingabteilung hat offenbar genau das intuitiv begriffen: Der gängigste Fanartikel des Vereins ist ein T-Shirt, auf dem "Run BAK" steht, in Anlehnung an die Raplegenden Run-DMC. Das ist ein gelungenes Zitat der afro-amerikanischen Rapkultur, die sich unter Minderheiten weltweit verbreitete – weil sie in ihr einen gemeinsamen Erfahrungsschatz erkannten. Und es ist genau dieser Erfahrungsschatz - neben der Liebe zum Fußball natürlich -, der die Berliner Diasporagemeinde im 21. Jahrhundert um den BAK 07 versammeln könnte; als ein Verein für Fans, die ihre Anregungen eher aus der urbanen Hip-Hop-Kultur denn von kotelettentragenden Kneipenrockern übernehmen. Eine Art "Ex-Pats United", wenn man so möchte, mit Kuchen, Kaffee und gerösteten Kürbiskernen, die Seit’ an Seit’ mit den Rinderwürstchen verkauft werden.

Vielleicht kommt dem Club dann auch sein Moabiter Standort zugute. Anstatt das seltsame Nirgendwo zu bleiben, das es im Moment ist, könnte Berlins Timbuktu mit der Hilfe des BAK 07 in eine Art Jedermann-Ort transformiert werden: ein neutraler Boden, auf dem diverse Gemeinschaften zusammenkommen können. Im Poststadion wäre dann gebrochenes Deutsch durchsetzt mit Fußballterminologie die Lingua Franca. Langsam, Stein für Stein, könnten hier manche Mauern, die es in dieser Stadt noch gibt, abgetragen werden. Nur ein bisschen. Gerade genug.

Dies ist nun nicht einfach das wirre Gebrabbel eines Hippies, der Kröten über die Straße trägt. Man sollte sich auch noch einmal daran erinnern, dass hier auch – apropos Kröten - Geld verdient werden kann: die Art von Geld, die einen unbestreitbar verdienstvollen Club wie Türkiyemspor hätte am Leben erhalten können. Es wird spannend, zu sehen, ob der BAK 07 die zarten Triebe seines wachsenden Erfolgs pflegen und ein ähnliches Schicksal, wie es die Kreuzberger Pioniere des Multi-Kulti-Sports erlitten haben, vermeiden kann. Wenn die Leute hier schlau genug sind, die coolsten T-Shirts im Berliner Fußball zu entwerfen, sind sie hoffentlich auch ehrgeizig genug, diese Shirts langfristig an all diejenigen verkaufen zu wollen, die auf diesen Stil abfahren.

Sollten sie das schaffen, werden sie bemerken, dass an der Spitze dieser Stadt immer noch Platz ist, umso mehr, als Hertha gerade im Begriff ist, kopfüber in die lodernden Höllenfeuer der zweiten Liga zu stürzen. Der BAK hat jetzt die Möglichkeit zu wachsen. Das erste, was er dafür allerdings tun sollte, ist vor allem das: Tore schießen. Als zweites sollten sich die Macher des Vereins eine Facebook-Seite zulegen. Denn irgendetwas sagt mir, dass sie in der Zukunft viele neue Freunde finden werden.

Der Autor ist englischer Fußballkolumnist und lebt jetzt in Berlin. Für den Tagesspiegel schreibt er über Fußballkultur. Seinen Text übersetzte Johannes Schneider. Das englische Original lesen Sie hier.

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