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Wenn die bunten Fahnen wehen. Ins Flaggenmeer der Eisbären-Fans mischen sich immer noch die alten Dynamo-Logos. Mit gelebter Ost-Identität hat das allerdings nicht mehr allzu viel zu tun.

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Ost-West-Klischee adé: Berlin - Im Sport vereint

Osten? Westen? - Egal. Ob Hertha BSC, 1. FC Union, Eisbären, Alba, Füchse oder Volleys: In der Sportstadt Berlin und ihren Klubs sind Ost- oder Westtraditionen nur noch Folklore.

Die Frage, ob Prenzlauer Berg und Friedrichshain wirklich zu Berlin gehören, wird sehr leidenschaftlich diskutiert und höchst unterschiedlich beantwortet. Es leben dort im politisch einst dem Osten zugewandten Berlin reichlich zugewanderte Menschen, sie werden gern auf Schwaben reduziert, selbst wenn sie einen badisch-rheinländisch-bayerischen Migrationshintergrund haben. Was aber den Spitzensport betrifft, ist Berlin nirgendwo so sehr Berlin wie in den beiden schwäbisch okkupierten Bezirken.

Ein Auszug aus dem aktuellen Veranstaltungskalender: Am Freitag empfing der deutsche Eishockeymeister EHC Eisbären vor 14.200 Zuschauern in der mal wieder ausverkauften Arena am Ostbahnhof die nicht eben als Publikumsmagneten bekannten Spielkameraden aus Wolfsburg. Eben dort spielt Alba Berlin am Sonntagnachmittag in der Basketball-Bundesliga gegen Trier. Am nächsten Samstag duellieren sich die BR Volleys im Spitzenspiel der Volleyball-Bundesliga mit dem alten Lieblingsfeind Friedrichshafen in der Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg, wo tags darauf die Handballer der Berliner Füchse gegen Medwedi Tschechow um den Einzug in die nächste Runde der Champions League kämpfen. Von den deutschlandweit zehn zuschauerkräftigsten Mannschaften jenseits des alles dominierenden Fußballs kommen gleich drei aus Berlin: Eisbären, Füchse und Albatrosse, wechselweise behaftet mit Ost- oder West-Berliner Tradition, neu beheimatet in Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Alter Osten und alter Westen treffen sich in der neuen Mitte. Dass die ein paar Meter auf der östlichen Seite einer bis 1989 relevanten Grenze liegt, spielt 2012 eigentlich keine Rolle mehr. Doch was heute wie die selbstverständlichste Sache der Welt wirkt, wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen.

Ein knappes halbes Jahrhundert der administrativen Teilung ist dafür verantwortlich, dass es bis zum Fall der Mauer in Berlin so ziemlich alles doppelt gab. Fernsehtürme, Zoos, Kraftwerke. Und Sportmannschaften. Im Westen hießen oder heißen sie Hertha BSC, BSC Preussen oder DTV Charlottenburg, im Osten BFC Dynamo, 1. FC Union oder TSC Berlin. Die integrative Kraft des Volkssports Fußball schien nach dem 9. November 1989 in Windeseile zusammenzufügen, was 28 Jahre lang nicht zusammengehörte. Hertha BSC gewährte spontan allen Ost-Berlinern freien Eintritt im Olympiastadion, was dem Klub die bemerkenswerte Kulisse von 44.000 Zuschauern gegen ein graues Mäuslein namens SG Wattenscheid 09 bescherte. Als sich im Januar 1990 die frisch vereinte Berliner Fußball-Elite in der Werner-Seelenbinder-Halle zum Hallenturnier traf, verbündete sich der Anhang von Hertha BSC und 1. FC Union grenzübergreifend gegen den vom Ministerium für Staatssicherheit protegierten BFC Dynamo.

Mit der Einigkeit war es dann ziemlich schnell vorbei. Wann das mit der, gewiss!, Feindschaft zwischen Ost und West losgegangen ist, lässt sich ziemlich genau datieren. Auf den 16. Dezember 1990, als DDR und alte Bundesrepublik erst ein paar Wochen Geschichte waren. In der Eishockey-Bundesliga hatte der BSC Preussen aus Charlottenburg anzutreten beim EHC Dynamo in Hohenschönhausen, das vielen West-Berlinern auch aus architektonischen Gründen als sibirische Enklave auf Berliner Boden anmutete.

Zunächst war das Eishockey der Vereinigung aber so aufgeschlossen wie keine andere Sportart. Noch vor der staatlichen Ehe nahm der Westen sämtliche Ostmannschaften in die Bundesliga auf, was zugegeben nicht so kompliziert war, weil es in der DDR nur zwei Eishockeyklubs gab, die Dynamos aus Berlin und Weißwasser. Seltsame Tage waren das im Spätsommer 1990. Die Ost-Berliner spielten als DDR-Bürger in der Bundesliga und stellten ihre Arbeitskraft der ehemaligen Sektion Eishockey der Sportvereinigung Dynamo für 2000 Mark im Monat zur Verfügung. Und der Klubchef offenbarte seinen verblüfften Kollegen im Westen, die Spieler würden bis auf Weiteres vom Innenministerium der DDR finanziert.

Bei Preussen spielten nur West-, bei Dynamo nur Ostdeutsche. Charlottenburg kämpfte oben mit um die Meisterschaft, Hohenschönhausen stürzte schnell ab ans Tabellenende. Das erste Berliner Bundesligaderby gewannen die Preussen 12:0. Es gab sogar so etwas wie eine Fanfreundschaft, aber nur solange sich der Osten in die ihm vom Westen zugedachte Rolle fügte. Dann aber kam der 16. Dezember, und von diesem Tag an war alles anders.

Als der Konflikt Ost gegen West neu entflammte

Das Sportforum Hohenschönhausen (für das später ein West-Berliner Boulevardblatt den Namen Wellblechpalast kreierte) war ausverkauft, und diesmal hatten die Ost-Berliner so gar keine Lust, sich abschießen zu lassen. Schnell führten sie 2:0, und als die Preussen endlich auch ein Tor schossen, feierte es der US-Amerikaner Dave Silk auf wenig herzliche Weise, indem er nämlich dem Ost-Berliner Torhüter René Bielke mit den Fingern durch die Maske in die Augen stach. Was folgte, war die übelste Massenschlägerei, die eine Berliner Eisfläche je erlebt hat. Schläger flogen ins Publikum, das die Auseinandersetzung mit Stakkatos nur zu gerne auf eine ideologische Ebene hob. Die einen schrieen „Stasi-Schweine!“ die anderen „Scheiß- Wessis!“ Am Ende gewann Dynamo 3:2, noch lange nach der Schlusssirene wurde weiter geprügelt, und der Ost-Berliner Stürmer Guido Hiller sprach den denkwürdigen Satz: „Das war ein Kampf Ost gegen West, Arm gegen Reich!“

Seit der Schlacht von Hohenschönhausen hatte das Feindbild seinen festen Platz in der eigenen Stadt. Die Preussenfans trauten sich über Jahre nur mit gecharterten Bussen zu den Derbys im Osten, im Westen wurden die Gastspiele der später zu Eisbären gewendeten Dynamos von der Polizei als Hochsicherheitsveranstaltungen eingestuft.

Im Fußball wirkte die neue Mauer nicht ganz so bedrohlich, aber nach den ersten Wochen der Euphorie war der trennende Charakter der einstigen Sektorengrenze über Jahre hinweg schwer zu übersehen. Hertha und Union verloren sich nach einem Verbrüderungsspiel im Januar 1990 aus den Augen, sie wurden sich egal und entwickelten schnell Abneigungen. Im Olympiastadion brüllten sie statt „Eisern!“ nun „Scheiß!“-Union, in Köpenick dichteten sie Frank Zanders Stadionhymne um in „Nur zur Hertha geh’n wir nicht“. 1993 wäre Union beinahe in die Zweite Bundesliga aufgestiegen, nach einem 2:1-Sieg im tiefen Westen, im Mommsenstadion bei Tennis Borussia. Dann aber kam heraus, dass Union zum Nachweis der Liquidität eine Bankbürgschaft gefälscht hatte. Der entscheidende Hinweis an den Deutschen Fußball-Bund kam aus dem tiefen Westen. Aus dem Präsidium von Tennis Borussia.

All das fügte sich bestens in die allgemeine politische Lage. Es war die Zeit, in der die Ostdeutschen die dramatischen Folgen des Umbruchs zu spüren bekamen. Subventionsabbau, Abwicklung, Auflösung der klassischen Industriegesellschaft. Die Aufkündigung des in der DDR gültigen Konsenses, nach dem jeder irgendwie Arbeit hat. Als die Euphorie erst in Enttäuschung umschlug und dann in Wut. In Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen hatte das fatale Folgen. Der Eishockey-Mikrokosmos von Hohenschönhausen erlebte eine andere Rebellion. In Ost-Berlin war auf einmal Party. Dynamo-Spiele gerieten zum inoffiziellen Protest, zur lautstarken Selbstvergewisserung: Wir sind noch da, und wir sind auch wer! Immer mehr junge Leute kamen in den Wellblechpalast; es ging ihnen weniger um Eishockey denn um die Errichtung einer virtuellen Mini-DDR, in der regelmäßig der Gewinn des FDGB-Pokals eingefordert wurde.

An der Fallstudie Eishockey lassen sich die Ost-West-Berliner Befindlichkeiten der jetzt 22 wiedervereinten Jahre exemplarisch nachvollziehen. Allgemeine Euphorie am Anfang, gefolgt von jäher Abgrenzung, die sich über Jahre hinzog, bis sie sich im dritten Jahrtausend ebenso schleichend im Nichts auflöste. Die Eisbären wurden Anfang der neunziger Jahre nur mit westlichem Geld vor dem Konkurs gerettet. Als sie es kurz mal mit Profis aus Russland und Tschechien versuchten, hätte das beinahe in einem Debakel geendet. Die Wende zur Gesamtberliner Attraktion schafften die Eisbären mit nordamerikanischem Personal.

Seitdem es die in Konkurs gegangene Charlottenburger Konkurrenz nicht mehr gibt, stehen die Eisbären für ganz Berlin. Sie spielen in einem Glitzerding im Partybezirk Friedrichshain. Hier hat der Sport den Anschluss an die Eventkultur geschafft. Das einzige, was heute noch an die DDR-beseelte Vergangenheit erinnert, sind die Sprechchöre, die sie immer nach exakt einer halben Stunde auf den Stehplätzen anstimmen. „Ost! Ost! Ost-Berlin!“, eine gute Minute lang, und das Publikum von den teuren Plätzen empfindet das in etwa so bedrohlich wie die verkleideten Rotarmisten am Brandenburger Tor, die für ein paar Euro gern für ein Erinnerungsfoto posieren. Ein bisschen Folklore muss schon sein.

Die Pioniere der Vereinigung spielten Basketball

Die Pioniere auf dem Weg in die neue Mitte spielten Basketball. Schon 1996 war Alba Berlin aus dem Charlottenburger Biotop nach Prenzlauer Berg gezogen. In die Max-Schmeling-Halle, Überbleibsel einer gescheiterten Olympiabewerbung, gleich neben dem Jahn-Sportpark, wo zu DDR-Zeiten Erich Mielkes BFC Dynamo kickte. Das damals gar nicht so unerhebliche Risiko wurde schon im ersten Jahr mit dem Gewinn des ersten deutschen Meistertitels in der Klubgeschichte belohnt. Seitdem ist Alba sportlich und wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte. Der nächste, logische Schritt war vor vier Jahren der erneute Umzug, gemeinsam mit den Eisbären in die Arena am Ostbahnhof.

Wie das im Kapitalismus so üblich ist, hat der Markt auch das Berliner Ost-West-Problem reguliert. Was sich in den vergangenen 20 Jahren vollzogen hat, ist eine Metropolisierung des Sports. Das ist bemerkenswert, verglichen mit den sonstigen Befindlichkeiten dieser Stadt. Im Westen empfinden sie es bis heute als Impertinenz, dass ein Glaskasten im Niemandsland den Zoologischen Garten als wichtigsten Bahnhof der Stadt abgelöst hat. Dabei wird elegant übersehen, dass der Hauptbahnhof auf altem West-Berliner Gebiet liegt und der Osten zugleich erleben musste, dass sein früherer Knotenpunkt Lichtenberg zu einer besseren S-Bahn-Station herabgestuft wurde. Von fünf Berliner ICE-Bahnhöfen liegen vier im Westen. Auf der anderen Seite herrscht im Osten große Aufregung über die geplanten Anflugrouten zum künftigen Flughafen Schönefeld. Dass bis heute der innerstädtische Flughafen Tegel die größten Belastungen im Westen der Stadt verursachte, spielt in der allgemeinen Empörung eine eher untergeordnete Rolle.

Ost gegen West – bis zum Kalten Krieg war das in Berlin nie ein Thema. Die Stadt war eher geteilt in einen bürgerlichen Südwesten, einen proletarischen Gürtel rund um die Innenstadt und der Rest war irgendwie auch noch da. Hertha BSC etwa hatte bis zum Mauerbau ein treues Publikum in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Die noch zu Mauerzeiten gepflegte Freundschaft zum 1. FC Union hat die Wiedervereinigung zwar nicht überlebt, aber das ist so ungewöhnlich nicht unter konkurrierenden Unternehmen. Immerhin ist die zwischenzeitliche Ablehnung heute einer gegenseitigen Gleichgültigkeit gewichen.

Hertha und Union sind als einzige Spitzenklubs an ihren Standorten tief in den einstigen Stadthälften geblieben. Neue Fußballstadien lassen sich nicht so leicht in eine Millionenstadt klotzen. Ihre Anhängerschaft aber rekrutieren beide längst nicht mehr unter geographischen Aspekten. Das ist so ähnlich wie in Hamburg beim HSV und dem FC St. Pauli. Zu Hertha geht, wer Fußball auf höchstem Niveau sehen will, mit allen Konsequenzen wie sinnfreien Gewinnspielen und Dauerwerbebeschallung. In Unions Alter Försterei wird höchstens für die Stadionbratwurst Werbung gemacht. Den Aufstieg in die Zweite Liga schaffte der Klub vor zweieinhalb Jahren zwar im Osten, aber auf feindlichem Territorium. Weil die Alte Försterei saniert wurde, musste der Verein für eine Saison in Erich Mielkes Jahn-Sportpark ausweichen. Zur Aufstiegsparty düsten Unioner mit trockenen Kehlen und geschlossenen Champagnerflaschen zurück nach Köpenick. Prenzlauer Berg war für Union auch in den finstersten Jahren ost-westlicher Abneigung immer noch schlimmer als Reinickendorf, Zehlendorf oder Charlottenburg. Union stand zu DDR-Zeiten nicht unbedingt für Staatstreue.

Als das einzige funktionierende Joint Venture zwischen Ost und West im deutschen Sport gelten heute die Eisbären. Aber nur, was den Widerhall in der Öffentlichkeit betrifft. Es ist ein wenig in Vergessenheit geraten, dass Ost und West in den Wendewirren auf anderer Ebene sehr schnell über geographisch-politische Grenzen hinweg zusammenfanden. Die Volleyballer vom SC Charlottenburg etwa übernahmen 1991 die Erfolgsmannschaft vom mehrfachen DDR-Meister SC Berlin mit großartigen Spielern wie René Hecht, Franko Hölzig oder Ronald Triller. Und wer weiß schon noch, dass die Handballer vom SC Dynamo eine neue Heimat fanden bei Blau-Weiß Spandau, wo auch ein gewisser Stefan Kretzschmar seine ersten Bundesligaspiele machte – und sofort abstieg.

Heute findet Berliner Handball wieder im Osten statt. Mit den Füchsen, die eigentlich aus Reinickendorf kommen, was grenzübergreifend als Inkarnation des piefigen West-Berlins gilt. Dem Verein präsidiert Frank Steffel, ein Bundestagsabgeordneter mit CDU-Parteibuch, der vor ein paar Jahren auch mal Regierender Bürgermeister werden wollte. In Erinnerung geblieben ist aus dieser Zeit seine Warnung davor, Berlin würde im Falle einer rot-roten Senatsbildung nach Peking und Havanna zur weltweit dritten kommunistisch regierten Hauptstadt.

Dieses Marketing braucht Frank Steffel nicht mehr, seine Partei auch nicht und die Füchse haben es erst recht nicht nötig. Die spielen ja jetzt auch im Osten, aber ganz weit weg von Peking und Havanna.

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