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Ein weites Feld: Und Trainer Andreas (v.) muss alles überblicken.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Andreas von Borussia

Andreas trainiert die Borussia. Nicht Dortmund, sondern Pankow. Nicht die Erste Mannschaft, sondern die E-Jugend. Nicht elf, sondern sechs Feldspieler. Doch die Regeln sind die gleichen: "Wenn der Gegner euren Ball hat, müsst ihr ihm den Ball wieder wegnehmen."

Der Berliner Samstagshimmel ist gekleidet in ein fröhliches Grau. Ich bin unterwegs mit Andreas. Jugendtrainer bei Borussia Pankow. Einer von vielen ehrenamtlichen Romantikern, die unserem Sport Glanz verleihen. Andreas möchte als Trainer für Leidenschaft und faires Miteinander stehen. Das ist manchmal nicht einfach. Cool bleiben, seine Gefühle im Griff haben. Jedes Spiel ist eine neue Herausforderung an Herz und Hirn. Als Andreas vor drei Jahren die C-Lizenz machte, sagte der Lehrgangsleiter "Fahrt einfach mal auf einen x-beliebigen Platz und schaut euch den Trainer und die Eltern an. Dann wisst ihr, wie ihr es nicht machen sollt."

Vor Spielbeginn führt sein erster Weg zum Platzwart. Bei Borussia zur Platzwartin. Sie händigt ihm die Kabinenschlüssel und den Spielberichtsbogen aus. Jedes Kind hat einen Spielerpass, Andreas trägt die Namen seiner Spieler ein, hier müssen alle Daten stimmen. Kein Kind darf die Altersgrenze überschritten haben. Andreas trainiert sein Team seit Frühjahr 2011. Sie spielen aktuell in der E-Jugend, zehnjährige Welpen, Kleinfeld, sechs Feldspieler, ein Torwart, zweimal fünfundzwanzig Minuten, Spielerwechsel unbegrenzt.

12 Uhr 15 Anpfiff, eine Stunde vorher treffen. Die Trikots werden wechselweise von den Eltern gewaschen, in der Trikottasche vorn stecken die Spielerpässe. In der Kabine reden die Jungs aufgeregt durcheinander. Andreas kurz vorm Spiel „Hört mir mal ganz kurz zu. Eurer Gerechtigkeits- und Fairnessempfinden kann auf dem Platz manchmal verletzt werden. Regt euch kurz auf, dann ist es wieder erledigt. Beim Spiel kann man sich mal anschreien, nach dem Spiel gibt man sich die Hand. Habt Freude und Glück beim Spiel. Wenn sich einer verletzt, oder ein Missgeschick passiert, ist es wichtig, dass ihn die Mannschaft zurück holt. Es geht nur gemeinsam. Wenn der Gegner euren Ball hat, müsst ihr ihm den Ball wieder wegnehmen.“ Der Spaß am Spiel steht für Andreas an erster Stelle. Die Leidenschaft am Fußball vermitteln. Deshalb ließ er in den ersten Jahren die Jungs auf allen Positionen rotieren. Sich ohne Druck ausprobieren.

Derzeit kicken vierzehn Kinder in der Mannschaft. Jeder, der eine Spielberechtigung hat, darf am Wochenende mitspielen. Es gibt kein Auswahlverfahren. Das Ziel: die Kinder sollen ein Leben lang Lust am Sport haben. Das Spielergebnis steht für ihn nie im Vordergrund. Natürlich läuft es ohne Leistungsprinzip kompliziert. Unsere Gesellschaft fordert Leistung. Leistung wird in der Schule verlangt, manche Eltern erwarten von ihren Kindern Siege, „ihr spielt doch heute gegen den Ersten, da müsst ihr gewinnen“. Andreas sagt seinen Jungs, sie sollen miteinander Fußball spielen. Als Andreas vierzig wurde, meldete er sich und seinen Ziehsohn bei Fortuna an. Seine Ziehtochter kickte bereits dort. Andreas spielte anfangs bei der Ü-40 und der Ü 32-Mannschaft mit. Merkte aber bald, Jugendtrainer ist sein Ding.

Anpfiff bei fiesem Nieselregen. Der Schiri kommt aus der Pankower Elternschar und macht seine Sache gut. Der Gegner Pfefferwerk Berlin ein kompaktes Team. Sehr faires Spiel. Pfefferwerk ist Tabellenführer. Pankow rangiert im Mittelfeld der Tabelle. Vom Spielfeldrand feuert Andreas seine Jungs lautstark an, benennt Fehler und versucht einen kühlen Kopf zu bewahren. Neben ihm steht Faktor X. Die vielköpfige Elternschar mit ihren Sorgen und Erwartungen.

Sind das die richtigen Jugendtrainer? Die Bösegucker, die harten Kläffer?

Bei manchen Vereinen sind die Eltern der Schrecken der Jugendleitung. Laut eines BFV-Beschluss müssen alle Zuschauer = Eltern mindestens fünfzehn Meter vom Spielfeld entfernt stehen. Dieses Dekret hat sicher gute Gründe, ist aber auf keinem Platz Berlins zu realisieren. Auch weil die Trainer sich häufig aus der Elternschar rekrutieren. Nicht alle von ihnen haben eine Trainerlizenz. Sollte eigentlich Pflicht sein. Ein wenig Psychologie, Trainingsmethodik, sich in die kindliche Seele hinein versetzen könne. Etliche Jugendtrainer fallen in die Kategorie gedankenloser Schleifer und treiben ihren Anvertrauten früh den Spaß am Fußball aus. Unmäßiger Druck verunsichert jedes Kind. Im Fernseher schauen die Kinder Meistertrainern wie Klopp oder Völler beim Veitstanz zu. Der Vereinstrainer geht als Vorbild vornweg, die Mannschaft folgt. Sind das die richtigen Coachs? Die Bösegucker, die harten Kläffer?

Andreas macht sich über Alles Gedanken. Manchmal denkt er, er macht sich zu viele. Unendliches Gedanken machen kann vom Arbeiten abhalten. Oder zum Ziel führen. Letztens verließ ein Junge wütend das Training. Andreas möchte Konflikte klären, kann aber nicht die Mannschaft im Stich lassen. Also nimmt er die Jungs vorm nächsten Spiel zur Seite „Keiner ist wichtiger als der Andere, Keiner ist besser. Respektiert und achtet euch, ihr müsst keine dicken Freunde sein, aber eine Mannschaft, die als Team zusammen hält.“

Ein Jugendtrainer erlangt als Aufwandsentschädigung zwischen 30 und 50 Euro im Monat. Er muss keinen Vereinsbeitrag zahlen und bekommt Trainingsjacke plus Regenjacke gestellt. Ehrenamt musst du dir leisten können. Ich kenne Andreas schon ein paar Jahre. Mir fiel seine Sanftheit auf. Sie steckt in einem muskulösen Körper und ist von einem gewinnenden Lächeln gekrönt.

Die ersten drei Chancen des Spiels gehören den Pankowern. Dann beginnt Pfefferwerk schönen Fußball zu spielen. 0:3. Einigen Eltern zerreißt es das Herz. Die Kinder zaudern. Andreas versucht ruhig zu bleiben. Zur Halbzeit 1:4, am Ende gewinnt Pfefferwerk mit vier Toren Vorsprung. Andreas' Jungs haben in der zweiten Halbzeit alles gegeben. Sie klatschen einander ab und nehmen die Niederlage kämpferisch. Andreas reibt sich das Kinn. Nach dem Spiel folgt unter wilden Anfeuerungsrufen ein Elfmeter schießen. Die Freudenschreie der Jungs sind bis zum Mond zu hören.

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