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Besondere Laufmeister: Ihnen ist kein Ziel zu weit oder zu hoch

Wir stellen drei Läufer vor, die ihren eigenen Weg gehen: durch Treppenhäuser, über Berge oder 24 Stunden lang.

STEFAN THOMS, 48,

ULTRALÄUFER

Von seinen elf Ultraläufen mit jeweils mehr als 200 Kilometern hat er vier gewonnen, darunter auch den Spartathlon 2012 als erst zweiter Deutscher und die 24 Stunden von Berlin 2012 und 2013.

Ehrlich gesagt, ich bin Ultraläufer geworden, weil ich für den Marathon nicht schnell genug war. Ich habe viel trainiert und laufe sehr gerne, aber um vorne dabei zu sein, hat es nie gereicht. Dann habe ich 2007 einen 100-Kilometer-Lauf in Leipzig ausprobiert und bin Sechster oder Siebter geworden. Das war die endgültige Erkenntnis, dass ein Marathon für mich einfach zu kurz ist.

Jetzt bin ich Ultraläufer. So kann man sich nennen, wenn man Läufe absolviert, die länger als ein Marathon sind. 1600 registrierte Ultraläufer sind es bei der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung, damit sind wir die weltweit größte Vereinigung. Langes Laufen macht mir riesig Spaß. Man hetzt ja nicht so. Während man nach jedem Marathon gefragt wird: „Und, wie lange haste gebraucht?“, lautet die erste Frage nach einem Ultralauf: „Und, haste es geschafft?“

Besonders gerne nehme ich an 24-Stunden-Läufen teil. Für solche Läufe braucht man nicht nur viel körperliches Training. Manchmal laufe ich bis zu 30 Stunden in der Woche und lege dabei im Maximum bis zu 300 Kilometer zurück, fast immer starte ich bei mir vor der Haustür in Woltersdorf. Man muss auf einen 24-Stunden-Lauf aber auch mental gut vorbereitet sein. Darauf, dass man durch die Nacht läuft, dass die Temperaturen schwanken, dass man sich besonders ernähren muss. Wenn man darauf vorbereitet ist, kann einem nicht viel passieren. Die meisten 24-Stunden-Läufe starten mittags um zwölf. Das Schöne ist, jeder kann so laufen, wie er möchte. Man kann zwischendurch ein paar Stunden Pause machen und sich schlafen legen. Oder durchlaufen wie ich.

Meine Bestleistung sind 243 Kilometer. Es ist wichtig, sich ein bestimmtes Ziel zu setzen und möglichst konstant ein Durchschnittstempo zu laufen. Bei mir sind es, wenn es ordentlich läuft, 10,2 Kilometer pro Stunde. Fast immer unterstützt mich meine Frau an der Strecke, denn nach vier, fünf, sechs Stunden verliere ich den Überblick, wie viel ich gegessen und getrunken habe. Im Wesentlichen nehme ich in diesen 24 Stunden alle Nahrung in flüssiger Form zu mir, da ist dann alles drin, Kohlenhydrate, Mineralien und so weiter. Dazu kommen höchstens ein paar Nüsse und ein paar spleenige Sachen wie Ingwer, jeder Läufer hat ja so seine Spezialitäten.

Ich finde es großartig, dass ich so viel draußen bin und dass ich so viel sehe beim Laufen. 1500 Trainingskilometer habe ich inzwischen dieses Jahr gesammelt. Im Jahr schaffe ich drei Wettkämpfe, in diesem vielleicht sogar vier. Ich will beim Baltic Run starten, 230 Kilometer von Bernau nach Usedom, bei den 24 Stunden von Berlin, beim Spartathlon und bei der 24-Stunden-Weltmeisterschaft in Taiwan. Dreimal bin ich schon beim Spartathlon mitgelaufen, 246 Kilometer von Athen nach Sparta. Man läuft erst an Ölhäfen vorbei, später an endlosen Feldern und durchquert dann nachts bei Vollmond irgendwelche kleinen Dörfer ohne Laternen. Im Ziel in Sparta gibt es ein Altherrencafé, da stehen sogar 90-Jährige auf und zollen jedem einzelnen Ankömmling Respekt. Wenn ich daran denke, bekomme ich jetzt noch eine Gänsehaut.

BIRGIT UNTERBERGER, 38,

BERGLÄUFERIN

Sie hat an je vier Europa- und Weltmeisterschaften im Berglaufen teilgenommen, ist aktuelle Deutsche Meisterin und Seniorenweltmeisterin (W35).

Beim Laufen liebe ich es, Widerstand zu spüren. Deshalb sehe ich es als willkommene Herausforderung, bergan oder gegen den Wind zu laufen. Mir geht es gar nicht um das Erlebnis, an seine persönliche Grenze zu kommen. Die kenne ich ganz gut. Mein Ziel ist es, mein aktuelles Potenzial auszuschöpfen. Solange ich damit noch gut dabei bin, setze ich mir Wettkampfziele als Herausforderung.

Natürlich brennen dabei auch mal die Beine. Aber ich habe am Berg ein besseres Gefühl für meine Leistung, als wenn ich eine ebene Strecke gegen die Uhr laufe. Auf der Straße gilt es, ein gleichmäßiges Tempo zu laufen. Doch ich mag lieber die Abwechslung, den Rhythmuswechsel beim Berglaufen. Durch den Fokus auf das Profil verdrängt man die Müdigkeit. Bei einem Straßenlauf werde ich nervös, wenn der letzte Kilometer fünf Sekunden zu langsam war. Beim Berglaufen dagegen schaue ich weniger auf die Zeit, sondern messe mich an mir selbst oder dem Feld. Das ist auch sinnvoller, denn jeder Berg ist anders. Hinterher ist es Belohnung genug, wenn man runterschaut und weiß, was man geschafft hat.

Als Sportlehrerin bewerte ich beim Ausdauerlauf auch nicht nur, wie schnell jemand gelaufen ist. Es gibt zusätzlich eine Note für die Anstrengungsbereitschaft. Darum geht es doch: herauszuholen, was in jedem ganz persönlich steckt.

Natürlich gilt man als Berlinerin nicht als geborene Bergläuferin. In den Bergen habe ich mich aber seit meinem ersten Österreich-Urlaub 1992 zu Hause gefühlt. Seitdem fahren wir fast jährlich in die Alpen und der Urlaub beginnt für mich, wenn hinter München das Bergpanorama auftaucht. Laufen bedeutet für mich auch aktives Naturerlebnis. Ich mag das Farbspiel in den Bergen, das entspannte Gefühl, weit weg vom Alltagsstress und nicht immer erreichbar zu sein. So kann man den Kopf auslüften. Berglaufen ist positiver Stress.

Früher bin ich im Training in der Oderbruchkippe oder im Friedrichshain gelaufen. Dort sind es zwar nicht mal 100 Höhenmeter am Stück, aber wenn man oft genug hoch- und runterrennt, gewinnt man auch eine gute Kraftausdauer. Das muss man dann an den echten Berg bringen. Jetzt wohne ich in Stahnsdorf und trainiere in den umliegenden Waldgebieten, eine gute Herausforderung bietet hier der Schäferberg zwischen Königsstraße und Pfaueninsel. Kurzurlaube im Frühjahr nutze ich gern für gezieltes Bergtraining am Brocken im Harz.

Ideal ist es für mich, schon zwei Wochen vor einem Wettkampf in den Bergen zu sein, dann kann ich mich spezifisch vorbereiten. Mein Lieblingslauf ist der Hochfelln-Berglauf im Chiemgau, dabei bewältigt man 1074 Höhenmeter auf knapp neun Kilometer Strecke. Dort bin ich in meinem ersten Berglaufjahr 2000 Vizeweltmeisterin geworden und 13 Jahre später im vergangenen Jahr nochmal Deutsche Meisterin. Der Hochfelln ist inzwischen sozusagen mein Hausberg geworden, so versuche ich, jedes Jahr dort einen Halt einzulegen. Ähnlich verbunden fühle ich mich dem Schlickeralm-Berglauf in Telfes im Stubaital, wo mir 2000 mein erster Grand-Prix-Sieg mit noch immer gültigem Streckenrekord gelang. Die auf 1600 Metern idyllisch gelegene Alm war zugleich die erste Station unserer Hochzeitsreise, denn die Liebe zum Berg teile ich mit meinem Mann und inzwischen auch zwei Kindern.

THOMAS DOLD, 29,

TREPPENLÄUFER

Er ist der erfolgreichste Treppenläufer der Welt. Er hat sieben Mal in Folge den Empire State Building Run Up in New York und den SkyRun auf das Park Inn am Alexanderplatz gewonnen.

Warum jemand aus der schönen Natur im Schwarzwald unbedingt in Treppenhäusern rennen muss? Ich glaube, es ist genau dieser Kontrast. Sich selbst hochzujagen durch diese künstliche Welt. Und jedes Mal eine körperlich wahnsinnig anstrengende, aber mental unglaublich wertvolle Erfahrung zu machen.

Bei meinem ersten Treppenlauf 2003 im Donauturm in Wien ging es mir auch noch nicht ums Ergebnis, sondern allein um eben diese Erfahrung. Da standen etwa 400 Läufer vor dem Treppenschacht, dann ging es rein, jeder ist für sich gelaufen wie bei einem Einzelzeitfahren, es war dunkel und vor allem eines: wahnsinnig anstrengend. Meine Beine haben gebrannt, ich dachte nur: Holla die Waldfee! Als ich oben ankam, als Sieger der Jugend-Altersklasse und Sechster der Gesamtwertung, war ich fix und fertig. Aber man sieht hinterher, was man gemacht hat, das ist das Schönste am Treppenlaufen. Man muss nur runterschauen. Das unterscheidet das Treppenlaufen auch von einem Marathon, bei dem man zwar ein Gefühl für die Strecke hat, aber kein richtiges Bild von seiner Leistung.

Treppenlaufen ist nix für Ausredensucher. Es gibt kein schlechtes Wetter, alles ist wunderbar normiert. Es ist ein Hochtreiben von null auf viele, viele Stockwerke. Überholvorgänge sind machbar, wenn auch nicht ganz einfach. Meistens nehme ich mit jedem Schritt zwei Treppenstufen. Das höchste Haus, das ich bisher raufgerannt bin, ist das Taipei 101, 508 Meter und 101 Stockwerke hoch, zugleich das zweithöchste Haus der Welt. Der Treppenlauf dort umfasst 390 Meter und 91 Stockwerke, dafür habe ich 10 Minuten und 54 Sekunden gebraucht.

Zum Treppentraining fahre ich in die Städte, vor Wettkämpfen meist zweimal in der Woche, zum Beispiel nach Frankfurt, da laufe ich dann im Maintower. Das ist ein extrem schöner Turm mit gutem Treppenhaus, sauber, halbwegs gut beleuchtet und man kann am Schluss Tageslicht sehen. Außerdem ermöglichen mir sehr nette Menschen dort das Training. Auch im Park-Inn-Hotel in Berlin am Alexanderplatz laufe ich gerne, das Treppenhaus dort ist immer gut temperiert.

Ein Treppenhaus sollte möglichst gleichmäßig sein, das Geländer eine Struktur haben, bei der ich mir nicht die Hände aufreibe. Ich ziehe immer am Geländer, das ist wichtig für meine Lauftechnik, besonders auf den Podesten. Im Fernsehturm von Sydney etwa ist das Geländer viel zu nah an die raue Wand geschraubt. Wenn man da nicht genau hingreift, holt man sich blutige Finger. In Sydney habe ich übrigens auch das höchste Preisgeld meiner Karriere gewonnen. Das waren 3000 Euro. Dafür musste ich allerdings 2000 Euro Reisekosten investieren, und es war ein ziemliches Risiko. Der Zweite hat nämlich gar nix bekommen. Obwohl ich schon 43 Treppenläufe gewonnen habe, bin ich kein Treppenlaufprofi. Es lohnt sich für mich eher, weil ich mental etwas in den Türmen lerne und davon etwas mitnehme. Zum Beispiel die wichtige Erkenntnis, dass nur Siege interessieren, was bei einer Auftragsvergabe im Geschäftsleben genau das Gleiche ist.

Die Siege beim Treppenlaufen sind die Grundlage für meine Vermarktung als Impulsgeber. So nenne ich meinen Beruf. Ich halte Vorträge, veranstalte Seminare und trainiere Firmen im Bereich Motivation. Dafür nutze ich auch meine Erfahrungen aus den Hochhäusern. Wenn ich in der Monotonie eines dunklen Treppenhauses bestehe und sogar Höchstleistungen bringe, kann ich das auch in der Arbeitswelt. Dieses mentale Wissen versuche ich einzusetzen und weiterzugeben.

Die Treppen sind ein Symbol für eine Grundeinstellung im Alltag, ob man sie nimmt oder die Rolltreppe oder den Fahrstuhl, die meistens auch noch verführerisch danebenstehen. Treppen sind ein guter Einstieg, um Menschen in Bewegung zu bringen, gerade auch im Berufsalltag. Die meisten Menschen arbeiten im dritten, vierten, fünften Stock. In einer Werbeagentur habe ich im Januar mal eine Veranstaltung durchgeführt, weil die Fahrstühle dort so langsam und überfüllt waren, dass die Leute mit schlechter Laune an ihrem Arbeitsplatz ankamen. Dann habe ich sie zum Treppenlaufen motiviert. Jetzt ist in den Treppenhäusern richtig viel los und die Mitarbeiter haben jedes Mal ein Erfolgserlebnis, wenn sie oben zu Fuß an ihrem Schreibtisch ankommen.

Aufgezeichnet von Friedhard Teuffel.

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