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Die Goldreserven

© AFP

Sport: Besser als Maradona

Einst korrupt bis zum Konkurs, ist der SCC Neapel wieder zurück an der Spitze

Das ist wahre Fanliebe. Am Sonntagabend hatte Neapels bester Torjäger Edinson Cavani noch einen Elfmeter kläglich verschossen und sich damit an der Schuld für die Niederlage gegen Udinese großzügig beteiligt. Im vollen Stadion San Paolo in Neapel wurden er und seine Teamkollegen dennoch mit Beifall in die Umkleidekabinen geschickt. Zwar ist der Titelgewinn bei sechs Punkten Rückstand auf den AC Mailand bei noch fünf verbleibenden Spielen kaum noch möglich. Aber der zweite Platz und das wahrscheinliche Erreichen der Champions League sind Gründe genug zum Feiern. Als Cavani am Tag nach der Niederlage mit seiner Yacht und ein paar Freunden einen Ausflug nach Capri machte, wurde das dem Uruguayer nicht einmal als Eskapade eines Millionarios ausgelegt, sondern als eine verdiente Abwechslung gegönnt. Bei seiner Rückkehr in Neapels Yachthafen warteten die Fans geduldig auf Autogramme und Erinnerungsfotos.

„Dieses Publikum ist fabelhaft. Es ist so wie zu unseren Zeiten. Auch wir wurden nach einer schmerzlichen Niederlage gegen Milan einmal so gefeiert“, erinnert sich Giuseppe Bruscolotti. Der massige Verteidiger, Spitzname „Eiserner Turm“, war Kapitän von Napolis Meistermannschaft der Saison 1986/87. Er sieht seine Nachfolger in Sachen Euphorie und spielerischer Klasse auf einem ähnlichen Niveau wie sein eigenes Team damals. „Wir hatten Maradona. Das war unser Trumpf. Aber die heutige Truppe ist homogener besetzt“, sagt er.

Der SSC Neapel hat sich nach dem Konkurs und dem Neuanfang in der dritten Liga 2004 in dieser Saison endgültig als Spitzenmannschaft etabliert. Die Investitionen vom Filmproduzenten Aurelio De Laurentiis – 135,5 Millionen Euro in den vier Spielzeiten seit dem Wiederaufstieg – haben das Team nachhaltig gestärkt. Talente wie der Slowake Marek Hamsik, der Argentinier Ezequiel Lavezzi und eben Cavani haben an Reife gewonnen, sind aber zwischen 23 und 26 Jahre alt – und damit noch lange nicht auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn. Trotz zweistelliger Millionenofferten von spanischen und englischen Klubs dürfte das Trio noch ein oder zwei Spielzeiten am Vesuv zu halten sein. „Ich gebe sie nicht einmal für 100 Millionen Euro her“, polterte De Laurentiis. Er kann sich große Töne leisten. Die wirtschaftliche Bilanz befindet sich seit drei Spielzeiten in einem moderaten Plus. Damit steht Neapel in der Serie A ziemlich allein da.

Die wichtigste Investition der letzten Zeit allerdings war die Verpflichtung von Cheftrainer Walter Mazzarri. „Er ist der neue Maradona Napolis. Er holt das Beste aus seinen Spielern heraus, gibt dabei aber niemals sein Konzept auf. Er hat eine Teamstruktur geschaffen, die unabhängig von der jeweiligen Besetzung funktioniert“, sagt Nationaltrainer Cesare Prandelli. Mazzarri ist einer der wenigen Trainer, der konsequent auf eine Dreierkette in der Abwehr setzt und das Übergewicht im Mittelfeld nicht zum Zerstören, sondern zur Konstruktion des eigenen Spiels nutzt. Weil der Bäckerssohn aus der Toskana trotz seiner Fußballintelligenz aber nicht als ein Technokrat im feinen Zwirn daherkommt, sondern mit seiner antiquierten Vokuhila-Frisur und einem 80er-Jahre Kassengestell von Brille auf der Nase wie der sprichwörtliche Mann aus der Mitte des Volkes wirkt, ist er bei Fans aus allen Schichten beliebt. Auch seine regelmäßigen Ausraster an der Seitenlinie machen ihn eher sympathischer und lassen ihn wie einen Familienvater wirken, der an seinen Kindern verzweifelt und zugleich den Lehrern Benachteiligung seiner Sprösslinge unterstellt.

Der Erfolg des SSC Neapel ist der Camorra natürlich nicht verborgen geblieben. Aber dem durch seine Produzentenkarriere im Umgang mit sensiblen Stars wie auch windigen Finanziers durchaus erfahrenen De Laurentiis ist es geglückt, eine Glasglocke über den Verein zu legen. Den einzig bekannt gewordenen Kontakt mit der organisierten Kriminalität stellte ein Foto dar, das im Unterschlupf eines flüchtigen Camorra-Mitglieds gefunden wurde und diesen Arm in Arm mit Star Hamsik abbildet.

Anders als im Falle Maradonas, der bei den Giuliano-Brüdern ein- und ausging und sich in deren Muschelbad Partyfreuden hingab, gehen bei Hamsik selbst Napolis Antimafia-Staatsanwälte davon aus, dass dem Spieler der kriminelle Hintergrund dieses speziellen Fans nicht bekannt gewesen sei. „Es zeigt nur, dass die Camorra weiterhin großes Interesse an einem Imagetransfer hat“, erklärte der ehemalige Antimafia-Staatsanwalt Raffaele Cantone dem Tagesspiegel.

Der SSC Neapel des 21. Jahrhunderts besitzt nicht die Verruchtheit und den Glamour der 80er Jahre. Er schafft vielmehr auf solider Basis bemerkenswerte Erfolge und ist damit ein Hoffnungsträger für all die Bewohner geworden, die sich aus Müll, Korruption und Kriminalität befreien und gleichzeitig die Vorherrschaft des Nordens brechen wollen. Das heutige Ligaspiel beim US Palermo ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg.

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