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Sport: Beten für Figo

Das Nationalteam soll Portugal aus der Krise führen

Diese Orte sind wie geschaffen für Sehnsüchte und Gebete. Kleine Kapellen, überall entlang den Küsten Portugals. Hoch über den kleinen Fischerbooten, abgelegen, einsam. Außen weiß getüncht, innen, hinter Glas, in jeder Kapelle eine Madonna, die jedem zuhört, der mit seinen Sorgen auf den Berg kommt. Gerade in diesen Tagen der EM. Wie Opfergaben liegen Schals und Trikots zu ihren Füßen, manchmal ein paar Münzen und kleine Zettel, auf die ein paar Sätze gekritzelt sind. Die Portugiesen sind ein gläubiges Volk. Jetzt glauben sie auch an Fußball und ihre Nationalmannschaft. Bis Anfang Juli, wenn das Finale stattfindet, ist es mehr der Fußball als die Kirche, der das Leben in dem Land beherrscht, das einst als Armenhaus Europas galt. Jahrelang haben die Gelder der Europäischen Union geholfen, doch nun haben die Menschen Angst, dass die EU-Gelder in den Osten gepumpt werden und für sie nicht mehr viel bleibt. Ihre ganze Hoffnung sind nun Figo und Co.

Die Taxis fahren mit der Nationalfahne durch die Gegend, die Fahrer lernen ein paar englische Vokabeln für die Fremden. An den Balkonen hängen die Landesfarben in Quadratmetergröße. Die Kneipenwirte haben sich Flachbildschirme für knapp 4000 Euro zugelegt. Die Wirtschaft hängt im Tief fest, die EM soll dem Land neuen Schwung verleihen. Der Titel, sagen sie überall, der würde die Menschen aufmuntern. Dass sie die EM überhaupt bekommen haben, macht sie stolz. Dass sie eine solch gigantische Veranstaltung im Schatten des übermächtigen Nachbarn Spanien überhaupt organisieren konnten, erzeugt Selbstbewusstsein. Sie, die Weinbauern, Fischer und Landwirte, die Korkbäume jahrelang hegen und pflegen, bis die Ernte reif ist, haben das Gefühl, dass sie selber das erste große Sportereignis in der Geschichte des Landes organisieren.

Weil die Zeiten auf dem Fußballplatz wie überall unsicher sind, gehen sie hinauf in die Kapellen für stille Gebete. Einmal war Portugal Dritter, bei der WM 1966 in England. Lange her, und die Helden von damals wie Eusebio sind alt. Die Fans bezeichnen die heutigen Größen als „goldene Generation“, obwohl Rui Costa, Pauleta oder Couto noch nie ein EM- oder WM-Finale erreicht haben. Sie glänzen in den Trikots europäischer Spitzenklubs, selten im weinroten des Nationalteams. Deshalb sei der eigenwillige Luiz Felipe Scolari genau der Richtige, um den Fußballkünstlern Disziplin und Ordnung beizubringen, sagen die Fans. Und das, obwohl er keiner von ihnen ist. Mit Brasilien wurde Scolari Weltmeister, ein halbes Jahr später hat der portugiesische Verband dem eigenwilligen Trainer einen Vertrag vorgelegt.

800 Millionen Euro investierten die Portugiesen in ihre zehn neuen EM-Stadien. 25 Prozent davon müssen die Kommunen tragen. In der Arena in Aveiro werden nur zwei Spiele stattfinden. Der örtliche Klub spielt sonst vor 2500 Zuschauern. Kindergärten oder Schulen hätten sie bauen sollen, sagen manche seit Monaten. Nur jetzt, vor dem Eröffnungsspiel gegen die Griechen im Estadio Dragao in Porto, sind auch sie leiser geworden. Schließlich hoffen fast alle der rund elf Millionen Portugiesen auf viele Gäste, die Geld im Land lassen. 1,2 Millionen Besucher, neben den Fußballfans eine halbe Million zusätzliche Touristen, die hier Urlaub machen. Ein Trostpflaster gegen die wachsende Arbeitslosigkeit. Viele Jugendliche sitzen auf der Straße, der Sparkurs der Regierung reißt immer tiefere Löcher ins Bildungs- und Sozialsystem. Gleichzeitig investiert die Regierung mehr als 16 Millionen Euro für Schiffe, Polizei und Soldaten, die für Sicherheit sorgen. Seit den Bombenanschlägen in Madrid haben die Portugiesen nicht nur vor Niederlagen auf dem Rasen Angst. Auch diese Sorgen hören die Madonnen hoch oben auf den Klippen in den kleinen Kapellen vor dem ersten Spiel der Portugiesen. Vielleicht liegen deshalb ein paar Opfergaben mehr zu ihren Füßen auf den kahlen Kachelböden.

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