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Sport als Gesundheitsprogramm für alle: Der Bundesinnenminister fördert Spitzensportler, der Gesundheitsminister hat mit Sport wenig zu tun. Vor allem die Länder-Sportminister stehen an der Seite des Sportbunds.

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Bewegung statt Pillen: Wie durch Sport Millionen gespart werden sollen

Bewegung fördert die Gesundheit und entlastet die Krankenkassen. Die Lobby für Prävention war lange schwach – doch das ändert sich gerade.

Bei Sport denken viele an große Stadien, internationale Wettkämpfe, olympische Momente. Das hat es den Funktionären bisher oft schwer gemacht, im politischen Raum Gehör zu finden. Vor allem für ein in der alternden Gesellschaft immer wichtiger werdendes Thema: Gesundheitsprävention durch Bewegung.

Doch die Zahl der Verbündeten steigt. Bei der Sportministerkonferenz am Donnerstag und Freitag in Dortmund will das Land Berlin die Botschaft platzieren, „dass unser Gesundheitswesen durch mehr Bewegung um Milliarden entlastet werden kann“. Berlin hat derzeit den Vorsitz der Arbeitsgruppe Sport und Gesundheit. Und Geld sparen könnte ja auch als sportliche Disziplin gesehen werden.

Zahl der Stürze lässt sich um 40 Prozent senken

Die Datenbasis, was und wie viel sich durch mehr Bewegung an Gesundheitsausgaben einsparen ließe, wird jedenfalls immer genauer. So belegt eine Studie aus Norwegen, dass die Zahl der Stürze von älteren Menschen durch Teilnahme an einem zielgerichteten Bewegungskurs um 40 Prozent gesenkt werden kann. Umgerechnet auf Deutschland bedeutet das: Allein bei den über 80-Jährigen wären durch dieses einzige Prophylaxe-Programm Einsparungen von 140 Millionen Euro im Jahr möglich. Bei einer Ausweitung auf alle über 65-Jährigen hat der Erlanger Sportwissenschaftler Alfred Rütten gar ein jährliches Sparpotenzial von 345 Millionen Euro errechnet.

Gleichwohl dringt der organisierte Sport nur langsam durch mit seinem Anliegen. Im Bundesgesundheitsministerium (BMG) sei eine Mitarbeiterin zuständig gewesen, die „alles verhindert hat, was sie verhindern konnte“, wie aus dem Sport zu hören ist. Inzwischen hat sich aber einiges geändert: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ist explizit im Präventionsgesetz erwähnt. Und sowohl Sportminister- als auch Gesundheitsministerkonferenz haben Beschlüsse zur Bewegungsförderung gefasst. Allerdings bleiben strukturelle Schwierigkeiten.

Keiner ist zuständig

„Ein Problem ist, dass das Thema bisher keine feste ministeriale Heimat hatte“, sagt Mischa Kläber, der beim DOSB das Ressort Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement leitet. „Das Bundesinnenministerium ist nur für die Förderung des Spitzensports zuständig, das Bundesgesundheitsministerium hat nur begrenzt mit Sport zu tun.“ Am besten berücksichtigt werde das Thema noch in der Sportministerkonferenz mit einer eigenen Arbeitsgruppe. „Ansonsten sitzen wir oft zwischen den Stühlen.“

Im Gesundheitsministerium, bei dem Bewegungsförderung wegen der Krankheitsprävention am besten aufgehoben wäre, sieht man sich durchaus in der Pflicht. Man räume dem Thema „hohen Stellenwert“ ein, versichert eine Sprecherin. Es handle sich um eine „Säule der Gesundheitsprävention“. Und mit dem Ernährungsministerium setze man bis 2020 auch einen Nationalen Aktionsplan namens „IN FORM“ um, dessen Ziel es ist, das Bewegungs- und Ernährungsverhalten der Deutschen dauerhaft zu verbessern. Abgestimmt würden die Initiativen in Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Kommunen mit Experten einer Arbeitsgruppe „Bewegungsförderung im Alltag“. Zudem habe man die Kranken- und Pflegekassen verpflichtet, Gesundheitsförderung und Prävention deutlich auszuweiten. Sie müssen dafür nun mehr als 500 Millionen Euro im Jahr aufwenden.

Soll es Sport auf Rezept geben?

Der DOSB bemängelt, dass der Schwerpunkt der Aktivitäten vor allem bei der Ernährung liege – und empfiehlt die Umbenennung des BMG in ein „Bundesministerium für Gesundheit und Bewegung“. Vor allem aber würden sich die Funktionäre eines wünschen: die Möglichkeit für Ärzte, ihren Patienten nicht nur Pillen, sondern auch „Sport auf Rezept“ zu verordnen.

Was es zum Jahr 2017 erstmals geben soll, sind ärztliche Präventionsempfehlungen in Schriftform. Die Krankenkassen sollten solche „Rezepte“ berücksichtigen, heißt es im entsprechenden Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom Juli 2016. Vorgesehen sind auf den Vordrucken dann „einheitliche Handlungsfelder“ zu Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stressmanagement, Suchtmittelkonsum – und bei Bedarf kann die Empfehlung vom Arzt auch weiter konkretisiert werden. Die Kassen könnten dann entweder die Kosten für zertifizierte Präventionsprogramme bezuschussen oder solche Leistungen selber kostenfrei anbieten, so die Regelung.

Krankenkassen sehen Abgrenzungsprobleme

Der größte Anbieter zertifizierter und qualitätsgeprüfter Angebote ist der DOSB. Doch Empfehlungen sind etwas anderes als ein verbindliches Rezept. Und hier sperren sich die Krankenkassen. Sie sehen Abgrenzungsprobleme. Für wen und welche Fälle wäre ein solches Rezept nötig, ohne gleich alles und jeden zu fördern? Fängt man bei einer bestimmten Zielgruppe an, etwa den über 70- oder 80-Jährigen? Legt man als Kriterium den Leibesumfang zugrunde oder den Blutdruck? „Die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Kern da, um dem Einzelnen vor allem bei Krankheiten zu helfen“, sagt der Sprecher ihres Spitzenverbands, Florian Lanz. „Eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio oder Fußballtraining auf Rezept wären weder Aufgaben der Kassen noch den Beitragszahlern zuzumuten.“

Dafür könnte es andere Formen geben. Denn der organisierte Vereinssport als Lobby ist zwar keine Industrie, hat aber starke Argumente: die älter werdende Gesellschaft. Die sich wandelnden Lebensvorstellungen älterer Menschen. Der besser belegbare Nutzen des Gesundheitssports. Da sollte es immer leichter werden, politische Mitspieler zu gewinnen.

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