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Biathlon

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Biathlon: Die Höhe vor dem Fall

Die Deutschen lieben Biathlon. Das Laufen und Schießen hat sich medial zur Wintersportart Nummer 1 entwickelt - Dopingfälle etwa bei der heute beginnenden WM könnten alles zum Einsturz bringen.

Berlin - Fritz Fischer muss nicht lange nachdenken, welche Bedeutung Biathlon hatte, als er selbst die ersten Jahre mit Gewehr auf dem Rücken durch die Loipen jagte. „Das war so wie jetzt beim Skeleton“, sagt der 51-Jährige, „man war bei Olympia dabei.“ Zum Weltcup nach Ruhpolding kamen 500 Fans, und dass ein Zuschauer zu Fischer kam und sagte, „guten Morgen, sind Sie auch dabei, wie schön“, war nicht ungewöhnlich. Dann gewann Peter Angerer 1984 bei den Olympischen Spielen in Sarajevo Gold, während die Skirennläufer gar keine Medaille holten. „Zehn Tage lang ist nur von Biathlon gesprochen worden, plötzlich waren wir in der Tagesschau“, erzählt Fischer, der mit der deutschen Staffel einmal Olympiagold und zweimal WM-Gold gewann.

Es war der Anfang eines furiosen Aufstiegs zur Wintersportart Nummer eins in Deutschland.

Wenn heute die ersten Rennen bei den Weltmeisterschaften in Östersund stattfinden, der Sprint der Frauen und der Sprint der Männer, dann wäre es schon seltsam, wenn die Biathleten nicht in den Hauptnachrichten vorkämen. Sie sind beliebt und erfolgreich zugleich, Weltmeisterin Magdalena Neuner ist jüngst zur Sportlerin des Jahres gewählt worden – so wie 2006 ihre Kollegen Michael Greis und Kati Wilhelm. Ihre öffentliche Präsenz ist durch zahlreiche Werbespots im Fernsehen noch einmal gestiegen.

Doch in diesem Winter ist so deutlich geworden wie nie zuvor, welche Fallhöhe die Sportart erreicht hat. Wie schnell es vorbei sein kann mit der Idylle von tapfer laufenden Athleten in verschneiten Wäldern. Das Gerücht, deutsche Biathleten hätten sich in einer Wiener Blutbank gedopt, hat die Sportart einmal kurz durchgeschüttelt. Beweise sind keine aufgetaucht, aber es ist erstmals das Szenario durchgespielt worden, was denn wäre, wenn auch prominente deutsche Biathleten beim Doping erwischt würden. Michael Antwerpes, Sportchef des Südwestrundfunks, sagte: „Wir sind dann auch knallhart. Wir würden bei belegbaren Fakten sofort sagen: Das war’s mit dem Biathlon, vielen Dank!“

Ohne Fernsehen weniger Werbung, weniger Einnahmen für den Verband, weniger Nachwuchs. Die Spirale, die Biathlon so schön nach oben katapultiert hat, würde zu einem reißenden Strudel.

Auch Wolfgang Filbrich hat in den Tagen der Wiener Blutbankaffäre keine Ruhe gefunden. „Wir sind 48 Stunden nicht aus dieser Entsetzensstarre herausgekommen“, sagt er. Filbrich ist Leiter des Olympiastützpunkts Oberhof und Organisationschef des jährlich dort stattfindenden Weltcups. Die Bedrohung steht ihm klar vor Augen. „Es gibt keinen Puffer. Dann bricht das ganze System auseinander.“ Es wäre auch seine jahrelange Aufbauarbeit in Oberhof, die kaputt gehen würde. Seit zehn Jahren leitet er den Weltcup. „Damals hatten wir 8000 Zuschauer am Tag, heute sind es 22 000.“ Am Fernseher schauen mehr als fünf Millionen zu.

So stark ist Biathlon gewachsen, dass es beispielsweise in Oberhof schon an seine Grenzen gekommen ist. Besucherzelte, Parkplätze, Straßen – alles voll. „Wir wollen kein Chaos aus falschem Ehrgeiz entwickeln“, sagt Filbrich. Die Kontrolle will er aber auch beim Doping behalten, wo er kann. Dass Radprofis im Zielraum nicht gleich zum Dopingtest geführt werden, darüber ist er entsetzt. „Bei uns kann keiner davonrennen und im Wachscontainer verschwinden“, sagt Filbrich. Auch die Internationale Biathlon Union (IBU) nimmt für sich einen hohen Standard in der Dopingbekämpfung in Anspruch mit ausgereiften Blutkontrollen. Die Unschuld hat jedoch auch Biathlon längst verloren.

Es waren Biathleten aus Österreich, bei denen die Polizei 2006 bei den Winterspielen in Turin Utensilien zum Blutdoping fanden, regelmäßig haben russische Athleten Verdacht auf Manipulation ihrer Leistung erregt, und jüngst wurde die Finnin Kaisa Varis des Dopings mit Epo überführt. „Ich will eigentlich keinen Gedanken daran verschwenden, aber man hat es mit Menschen zu tun. Und mit den Prämien kann man sich auch als Wintersportler etwas aufbauen“, sagt Wolfgang Filbrich. Als die IBU 1993 gegründet wurde, gab es noch gar kein Preisgeld, bei der Einführung des Weltcups 1995 erhielt der Sieger 1500 Mark. In der Saison 2000/01 war die Summe auf 9000 Mark gestiegen, heute erhält der Sieger 10 000 Euro.

Die rasante Preisgeldentwicklung verlief parallel zum steigenden Medieninteresse. Um die Sportart für die Zuschauer attraktiver zu machen, wurden neue Wettbewerbe eingeführt: 1997 der Verfolgungswettbewerb, ein Jahr später der Massenstart. Bei beiden Disziplinen gewinnt derjenige Athlet, der als Erster die Ziellinie überquert. Der Fernsehzuschauer muss nicht mehr warten, bis der Sieger feststeht. 2006 fand erstmals eine Mixed-Staffel im Rahmen einer WM statt. Die IBU führte den bei Athleten umstrittenen Wettbewerb als zusätzlichen Zuschauermagnet ein. Außerdem soll die neue Disziplin die Sportart außerhalb von Deutschland und Norwegen populärer machen. Ende Februar findet erstmals ein Weltcup in Asien statt, in Korea. Dort wird auch die WM 2009 ausgetragen.

Biathlon will weiter wachsen. Damit steigt die Fallhöhe weiter. Die Beschaulichkeit aus der Zeit, als Fritz Fischer noch startete, ist kaum noch vorstellbar. Inzwischen leitet er in Ruhpolding ein Biathloncamp, in dem Fans die Sportart ausprobieren können. Rückschläge für seine Sportart würden auch bei ihm ankommen.

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