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Im Rampenlicht. Auf Bitte des Fernsehens starten die Biathleten – hier Michael Greis – in Oberhof erst abends.

© REUTERS

Biathlon: Nachtrennen in Oberhof

Auch Wunsch des Fernsehens findet der Biathlon-Weltcup erstmals komplett unter Flutlicht statt - eine Herausforderung für Sportler wie Organisatoren.

Von Katrin Schulze

Jeder hat seine eigene Art, mit Lärm, Trubel und Hektik umzugehen. Magdalena Neuner macht in solchen Fällen einfach die Ohren zu. Den ganz großen Wahnsinn spürt sie dann nur noch als dumpfes Hintergrundgeräusch, meistens surrt es in ihrer Wahrnehmung nur noch ein wenig – so wie am bevorstehenden Wochenende, wenn sie die lauten Menschenmassen wieder zu ihrem bewährten Abschottungsprogramm zwingen. „Auch wenn ich hier meine Ohrenstöpsel brauche, ist es doch immer wieder klasse, hier zu laufen“, sagt die aufgeweckte 23-Jährige.

Hier ist Oberhof, und Oberhof steht in der zuweilen recht einsamen Biathlon-Welt für das größte Spektakel der Saison. Während sich im sibirischen Chanty-Mansijsk zum Beispiel nur ein paar besonders abgehärtete Fans an die Strecke verirren, tummeln sich in Oberhof Tausende, die tröten und schreien, was die Organe nur hergeben. Bei keinem anderen Weltcup stehen und sitzen so viele Menschen wie hier am Rand der Strecke. Das hat Konzept.

Längst ist Biathlon in Deutschland nicht mehr nur ein Fernsehsport, der den Sendern enorm hohe Einschaltquoten generiert, sondern auch ein Live-, ein Zuschauersport. Mehr als 100 000 Besucher fanden sich im vergangenen Jahr insgesamt zu den Wettkämpfen der Stadt ein, die sonst gerade mal gut 1500 Einwohnern eine Heimat bietet. Aus dem beschaulichen Örtchen in Thüringen wird für ein verlängertes Wochenende im Jahr sozusagen eine Kleinstadt im Ausnahmezustand – daran wird sich auch 2011 nichts ändern. Zwar sind noch einige wenige Tickets für Wettkämpfe erhältlich, dennoch rechnet das Organisationskomitee wieder mit ähnlich viel Andrang wie zuletzt. Wohl zu Recht. Freie Hotelzimmer in der näheren Umgebung sucht man jedenfalls schon seit einer ganzen Weile vergebens.

Dunkle Tannen statt blauer Himmel. Das Fernsehen will Oberhof noch besonderer machen und verlangte eine Abendveranstaltung.
Dunkle Tannen statt blauer Himmel. Das Fernsehen will Oberhof noch besonderer machen und verlangte eine Abendveranstaltung.

© dpa

Derlei Enthusiasmus kann beflügeln – oder lähmen. „Die beiden Weltcups in Oberhof und Ruhpolding haben für uns neben den Weltmeisterschaften sicherlich den größten Stellenwert im gesamten Jahresverlauf“, sagt Bundestrainer Uwe Müssiggang. „Entsprechend hoch ist natürlich die allgemeine Erwartungshaltung an unser Team.“ Magdalena Neuner hat ihren Weg gefunden, damit umzugehen; und zwar nicht nur mittels Ohrstöpsel. Die doppelte Olympiasiegerin von Vancouver weiß sich auch abseits der Strecke inzwischen zurückzunehmen, wenn ihr der Rummel um die eigene Person zu viel wird. Ihre Teamkollegin Andrea Henkel hat in bislang elf Anläufen ebenfalls gelernt, die vermeintlichen Tücken ihres Heimweltcups zu umschiffen: Die Deutsche nimmt die vermehrte Aufmerksamkeit und die einzigartige Stimmung am Streckenrand inzwischen eher als Motivation denn als Druck wahr, was sie im vorigen Jahr bis auf Platz eins des Massenstart-Wettbewerbs in Oberhof führte. Verwunderlich ist es da nicht, dass die 33 Jahre alte Thüringerin die Veranstaltung vor der eigenen Haustür als etwas „ganz Besonderes“ bezeichnet.

Der aktuelle Weltcup gestaltet sich für Henkel womöglich sogar noch ein bisschen spezieller als sonst. Denn erstmals überhaupt findet er komplett als Flutlichtveranstaltung statt. Die deutschen Männer kamen mit den ungewohnten Lichtverhältnissen gestern prächtig zurecht. Das um 17.30 Uhr gestartete Staffelrennen gewann das DSV-Quartett mit großem Vorsprung vor den Teams aus Tschechien und Norwegen. Die Staffel der Frauen startet heute gar erst um 19.30 Uhr (live im ZDF) – und damit so spät wie noch nie. Warum das so ist? Ganz einfach: Weil es das Fernsehen so wollte und die Veranstalter damit vor einen „ziemlichen logistischen und finanziellen Mehraufwand“ stellte, wie es im Oberhofer Organisationskomitee heißt.

Doch nicht nur die zum Teil freiwilligen Helfer vor Ort müssen sich umstellen, auch für die Sportler ziehen die neuen Anfangszeiten so manche Umstellung nach sich. Der Bundestrainer spricht zwar lediglich von „zeitlichen Verschiebungen im täglichen Ablauf“, doch die Gefahr, aus dem Rhythmus zu geraten, ist nicht gerade gering. Schließlich begeben sich seine Athleten wie die anderen Starter für gewöhnlich schon vormittags auf die Runden.

Eine andere Hürde hat der Winter den Biathleten hinterlassen. Weil die Anlage am Grenzadler erst weiträumig von den Schneemassen befreit werden musste und sich danach auch noch die Langläufer der Tour de Ski dort breitmachten, blieben den Athleten im Vorfeld der Wettbewerbe kaum Möglichkeiten, im Oberhofer Stadion zu trainieren. Solch unangenehme Begleitumstände werden an einem Ort wie diesem jedoch schnell zur Nebensache. Magdalena Neuner sagt: „Auf Oberhof kann man sich als Biathletin nur freuen.“ Selbst wenn man nur einen Bruchteil des wirklichen Geräuschpegels mitbekommt.

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