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Biathlon: Süchtig nach Details

Er hat seinen eigenen Staubsauger mit, schüttelt keine Hände - wie Ole Einar Björndalen den Biathlonsport auch bei der WM dominiert.

Die Reservierungen haben sich gelohnt. Zur Sicherheit hatten die Fans aus Norwegen viele Tische in den Lokalitäten der schwedischen WM-Stadt Östersund schon Tage im voraus reservieren lassen. Lange Tische, auf die ganz viele Biergläser passen, mit denen die Norweger nun auf Ole Einar Björndalen anstoßen wollen. Jenen eigenbrötlerischen Kerl aus dem Dörflein Simostranda im Süden Norwegens, der die Biathlon-Szene seit einem Jahrzehnt beherrscht und gestern mit der 4 x 7,5-km-Staffel die Silbermedaille holte. Erster wurde Russland, die deutsche Staffel gewann knapp vor Österreich die Bronzemedaille.

Der 34-jährige Ausnahmeathlet Björndalen wird die örtliche Gastronomie also noch einmal für zwei Tage ankurbeln – und auch im eigenen Team erweist sich der Mann als Wohltäter. So griff er dem Kollegen Emil Hegle Svendsen vor zwei Jahren unter die Arme, als der vor Saisonbeginn ohne Geldgeber dastand. „Einer meiner Sponsoren hat ihn damals unterstützt“, erzählte Björndalen am Donnerstagabend, als er mit Silber und der zwölf Jahre jüngere Svendsen mit Gold gerade für einen norwegischen Doppelsieg auf der klassischen Strecke über 20 Kilometer gesorgt hatten.

Eine kleine Firma, die mit Fisch handele, sei das gewesen, berichtet Björndalen in seiner professionellen, distanzierten Art. Aber nach einem Jahr sei die Finanzierung wieder gestoppt worden. Warum? „Emil“, erklärt Björndalen, „hat jetzt einen großen Namen. Da müssen Sponsoren schon viel Geld auf den Tisch legen.“ So viel Geld hat der kleine Fischereibetrieb offensichtlich nicht – dafür wird Svendsen seit seinem ersten WM-Titel nun eifrig als Björndalens Nachfolger gepriesen.

Das mit dem sportlichen Erbe wird aber allein schon deshalb schwierig, weil Ole Einar Björndalen Biathlon nicht so rasch aufgeben wird. Die Olympischen Spiele in der Großstadt Turin vor zwei Jahren haben ihm zwar nicht sonderlich behagt. Trotzdem wird der Titelsammler bei den Winterspielen 2010 in der Großstadt Vancouver mit von der Partie sein. Und er macht sich für ein intimeres Olympia 2018 in Tromsö stark; die norwegische Stadt hat nur 50 000 Einwohner. Sogar mit seiner sechsten Olympiateilnahme 2014 im russischen Sotschi liebäugelt er bereits ernsthaft. Björndalen wird dann 40 Jahre alt sein. Aber was soll er machen? Wenn Goldmedaillengewinnerinnen wie Kati Wilhelm oder Andrea Henkel nach olympischen Wintern verzweifelt nach frischer Motivation suchen, trainiert Perfektionist Björndalen weiter – und zwar den ganzen Sommer über. Er engagierte auf eigene Kosten einen persönlichen Schießspezialisten, arbeitet seit zehn Jahren mit dem Mentaltrainer Oyvind Hammer zusammen – der eigentlich Staubsaugervertreter ist – und tüftelt unentwegt an allen erdenklichen Details herum. „Für mich ist das wie eine Sucht“, sagt er.

Es ist eine Abhängigkeit nicht allein vom Biathlon, sondern vom Sport allgemein. Um sich seine Vielfältigkeit zu beweisen, ging Björndalen im Herbst 2006 sogar fremd. Der Sohn einer einfachen Bauernfamilie („Neun Kühe, fünf Kinder“) startete damals beim Langlauf-Weltcup in Gällivare, siegte prompt gegen die Spezialisten und erklärte anschließend: „Das war ein Traum für mich.“ Inzwischen konzentriert sich Björndalen aber wieder voll auf Biathlon, hat in Östersund bei vier Starts schon wieder vier Medaillen (jeweils einmal Gold und Bronze sowie zweimal Silber) gewonnen und könnte mit seinen bislang zehn WM-Titeln am Sonntag im Massenstartrennen Frank Luck und Alexander Tichonow (jeweils elf Siege) einholen.

Dabei begeistert sich Björndalen im Grunde weniger für die Anzahl seiner Erfolge. Sondern vor allem dafür, wie sie zustande kommen. Nichts bleibt dem Zufall überlassen: Aus Angst vor Bakterien meidet Ole Einar Björndalen im dem Monat vor Saisonbeginn stets Flughäfen, hat einen eigenen Staubsauger im Gepäck und schüttelt niemandem die Hand.

Das mit dem Staubsauger hat er sich bei den Spezialisten abgeschaut. „Wir Langläufer und Biathleten sind wohl ein bisschen krank im Kopf“, sagt der fünfmalige Olympiasieger, der in Östersund im topmodernen Rennanzug daher kommt. Die Bekleidung des norwegischen Teams ist der letzte Schrei auf dem Markt und so körperfreundlich, dass Björndalen schwärmt: „Bis sieben Grad minus kann ich problemlos ohne Unterwäsche laufen.“

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