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Hat eine Vision: Andy Reid will die Kansas City Chiefs zum Super Bowl führen - auch mit mutigen Personalentscheidungen.

© Larry W. Smith/picture alliance / dpa

Big Four – die US-Sport-Kolumne: Andy Reid will den ganz großen Wurf

Als der Coach der Kansas City Chiefs seinen Quarterback entlässt, halten ihn viele für wahnsinnig – mittlerweile ist sein Team heißer Titelkandidat in der NFL.

Als Andy Reid seine ersten Schritte in der National Football League (NFL) macht, heißt der Präsident der Vereinigten Staaten noch: George Bush. George Bush Senior, wohlgemerkt. Man darf Andy Reid, mittlerweile 60 Jahre alt, also eine gewisse Routine attestieren. Wer es als Coach mehr als ein Vierteljahrhundert in der härtesten Liga der Welt aushält, der weiß, was er tut und wovon er spricht. Zumal Reids sportliche Kompetenz völlig außer Frage steht. Fachlich ist der Trainer der Kansas City Chiefs über jeden Verdacht erhaben, er gilt als einer der innovativsten, fleißigsten und beständigsten seiner Branche. In der NFL-Geschichte haben lediglich neun Trainer mehr Siege geholt als Reid.

Trotzdem haben vor gar nicht allzu langer Zeit, genau genommen im Januar 2018, viele Experten seine Zurechnungsfähigkeit angezweifelt. Damals traf Reid eine Entscheidung, die nur die wenigsten nachvollziehen konnten: Er setzte seinen langjährigen Spielmacher Alex Smith vor die Tür, einen Star, Leistungsträger und Topverdiener – und ersetzte ihn durch ein aufkommendes, hochgehandeltes Talent namens Patrick Mahomes, damals wie heute 23 Jahre jung. Für Smith war das kein großes Problem, der Quarterback fand auch im fortgeschrittenen Sportleralter von 34 Jahren locker einen neuen Klub; seine Dienste bei den Washington Redskins garantieren ihm 94 Millionen Dollar für die nächsten vier Jahre. Es hätte Smith also schlimmer treffen können.

Andererseits hätte es auch Andy Reid und die Kansas City Chiefs deutlich schlimmer erwischen können. Zur Halbzeit der NFL-Saison 2018/19 hat die Mannschaft aus dem US-Bundesstaat Missouri erst eine einzige Niederlage kassiert und alle anderen acht Spiele gewonnen. Am Sonntag im Heimspiel gegen Arizona, mit einer Bilanz von nur einem Sieg eines der schwächsten Teams des Klassements, müsste es schon mit dem Teufel zugehen, dass die zweite Niederlage dazukommt.

 Bis heute hat Reid noch die ein NFL-Endspiel gewonnen

Die Chiefs gelten als einer der heißesten Anwärter auf die Super-Bowl-Teilnahme 2019, ihre Spiele sind im Regelfall große Show, von offensivem Spektakel geprägt – oder wie man in den USA sagt: Must see TV. Im Schnitt erzielt das Team 36,3 Punkte pro Spiel – Liga-Bestwert. Nur die Offensive der Los Angeles Rams, eines anderen Titelkandidaten, hat noch mehr Raumgewinn erzielt als Kansas City. Und das liegt vor allem an: Patrick Mahomes, jenem jungen Mann also, für den Andy Reid das Risiko in Kauf nahm, wie ein Trottel dazustehen, weil er Routinier Alex Smith veräußert hatte.

Auf Mahomes angesprochen, hat sich Reid kürzlich geäußert wie ein professioneller Pokerspieler. „Für Patrick bin ich All-in gegangen“, sagte er – und, dass es keine einfache Entscheidung gewesen sei. Vorgänger Alex Smith und Coach Reid hatten einen ausgesprochen guten Draht zueinander und waren obendrein erfolgreich. Seit 2015 erreichten die Chiefs stets die Play-offs – keine Selbstverständlichkeit in einer Liga, in der die Sommerpause die Kräfteverhältnisse regelmäßig durcheinanderbringt. Trotzdem entschied sich der Coach für eine Neujustierung auf der wichtigsten Position im American Football, der Quarterback-Position.

Mahomes hat seinen größten Förderer und Fürsprecher bislang nicht enttäuscht, im Gegenteil: er ist wie ein Naturereignis über die NFL hinweggefegt, gerade an den ersten Spieltagen kam keine der zahlreichen Highlight-Sendungen im US-Fernsehen ohne Szenen des 23-Jährigen aus. Es dauerte bis zum fünften Spieltag, ehe sich Mahomes seine erste Interception als NFL-Profi leistete – zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 14 Touchdown-Pässe an den Mann gebracht, eine irre Quote.

Wer Mahomes auf dem Feld beobachtet, gerade in schwierigen und druckvollen Situationen, glaubt bisweilen einen NFL-Veteranen zu sehen. Der Quarterback leistet sich extrem wenige Fehler, er verfügt für sein Alter über eine herausragende Übersicht und hat einen Wurfarm, wie es ihn nicht oft in der NFL gibt. Zudem hat er in Kareem Hunt einen der besten und explosivsten Running Backs der Liga auf seiner Seite. Die Gegner der Chiefs wissen oft gar nicht, auf wen sie sich mehr konzentrieren und wen sie zuallererst attackieren sollen. Coach Reid spricht sogar von der „vielleicht besten Offensive, die ich jemals zur Verfügung hatte.“ In 25 Jahren Trainer-Dasein.

Mit Blick auf den Super Bowl im Februar sind das gute Aussichten für Reid und sein Team – zumal der 60-Jährige den Ruf genießt, ein unvollendeter NFL-Trainer zu sein. Bis heute hat Reid noch nie ein NFL-Endspiel gewonnen. Mit seinem vorherigen Arbeitgeber, den Philadelphia Eagles, scheiterte er vier Mal im Halbfinale und einmal, 2005 gegen die New England Patriots, denkbar knapp im Endspiel. In diesem Jahr, da sind sich die Experten einig, verfügt sein Team über so unfassbar viel Potenzial, dass es für den ganz großen Wurf reichen könnte.

Mehr zum US-Sport in unseren vorangegangenen Kolumnen:

Baseball - Saisonfazit zur MLB

Eishockey - Dominik Kahun setzt sich in der NHL durch

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