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Neue Helme passen gut. Ndamukong Suh (M.) ist seit kurzem der am besten verdienende Verteidiger der NFL-Geschichte.

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Big Four - die US-Sport-Kolumne: Ganz normaler Wahnsinn in der NFL

Wenn vertragslose Spieler neue Vereine suchen, beginnt in der National Football League (NFL) eine der verrücktesten Phasen der Saison. Wer geht für wieviel Geld wohin? Und sind die Trainer noch zurechnungsfähig?

Mit der üblichen Kategorisierung des Jahres in Frühling, Sommer, Herbst und Winter kann der durchschnittliche US-Sport-Fan nicht viel anfangen. Warum auch? Gibt ja viel schönere Eckdaten zur Orientierung. Angefangen beim Black Monday, also jenem ersten Montag nach Ablauf der regulären Saison in der National Football League (NFL). Kurz nach Weihnachten werden jahrein, jahraus die Trainer und Manager vor die Tür gesetzt, die durch anhaltenden Misserfolg oder anderweitig negativ aufgefallen sind. Weiter geht’s dann mit der so genannten „March Madness“. Im März ermitteln traditionell die besten Basketballer ihren Sieger beim größten und bedeutsamsten Nachwuchs-Turnier. Noch ein bisschen später generieren schließlich die „Draft Days“ der großen US-Ligen maximale Öffentlichkeit, wenn sich die Profiklubs fernsehwirksam aus dem Fundus talentierter Jungstars bedienen dürfen.

Da verwundert es kaum, dass die übertragenden Fernsehanstalten auch für die aktuelle Saisonphase der NFL einen schönen Begriff gefunden haben, obwohl seit dem ersten Februar-Wochenende gar nicht mehr gespielt wird: „Free Agency Frenzy“ heißt das Format, das dieser Tage Millionen Menschen vor die Bildschirme zieht. Frei übersetzt: Transfer-Wahnsinn. Als “Free Agent” werden Sportler ohne Vertrag bezeichnet, die einen neuen Arbeitgeber suchen. Wer könnte unter Umständen wohin wechseln? Wieviel Geld müssen die Klubs aufbringen, um ihre Wunschspieler doch zu halten? Und gibt es kurz vor Schluss noch eine Sensation zu vermelden?

Seit Dienstag ist das Transferfenster in der NFL geöffnet

Seit Dienstag 21 Uhr deutscher Zeit ist das Transferfenster in der NFL nun schon geöffnet, und wahnsinnig ist es seither allemal zugegangen. So viele spektakuläre Wechsel, da sind sich die Experten ausnahmsweise einig, hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Zwar haben es die Teams nicht ganz so wild getrieben wie vor einigen Wochen die Klubs der Natinonal Basketball Association; nach Ende der Free-Agent-Phase hatte im Grunde die halbe Liga einen neuen Verein gefunden. Davon ist die NFL weit entfernt. Am Urteil von Brian Billick ändert das aber nichts: „Die ganze Liga dreht durch“, sagt der ehemalige Coach der Baltimore Ravens. „Alle spekulieren und riskieren und hoffen, dass sie nächste Saison ein besseres Team beisammen haben als im Moment.“

Den bislang spektakulärsten Zugang haben die Seattle Seahawks im Mittwoch vermeldet: Die Mannschaft aus dem US-Bundesstaat Washington, die im jüngsten Super Bowl denkbar knapp den New England Patriots unterlag, zeichnet sich seit Jahren durch eine fantastische Defensive und seinen offensiven Superstar, Running Back Marshawn Lynch, aus. Jetzt haben die Seahawks an ihrer womöglich einzigen Schwachstelle gearbeitet: dem eigenen Passspiel. In Jimmy Graham kommt einer der besten Tight Ends der Liga zum amtierenden Vize-Meister, die Verpflichtung des 120-Kilo-Athleten von den New Orleans Saints dürfte die Optionen von Seattles Angriffsreihe um Quarterback Russel Wilson enorm steigern. Weil die Seahawks darüber hinaus alle Leistungsträger halten konnten, zählen sie bisher erneut zum Favoritenkreis auf den Titel.

Die Chancen des Berliners Björn Werner sind nicht gerade gesunken

Auch die Chancen des gebürtigen Berliners Björn Werner auf seine erste Super-Bowl-Teilnahme sind nicht gerade gesunken. Sein Team, die Indianapolis Colts mit dem aufstrebenden Quarterback Andrew Luck, hat sich auf zwei Schlüsselpositionen verstärkt und setzt dabei auf die Kraft der Erfahrung: In Frank Gore kommt ein arrivierter Running Back nach Indianapolis, der zuletzt sehr erfolgreich für die San Francisco 49ers gelaufen ist. Zudem wird die Offensive mit André Johnson aufgewertet. Der Wide Receiver zählt seit langem zu den Besten auf seiner Position, ist allerdings auch schon 33 Jahre alt.

Einen Deal der Superlative haben die Miami Dolphins eingefädelt. Das Team aus Florida sicherte sich die Dienste eines Mannes mit dem klangvollen Namen Ndamukong Suh. Der Defensive Tackle, zuletzt in Diensten der Detroit Lions, unterschrieb in Miami einen Sechs-Jahres-Vertrag, der ihm 114 Millionen Dollar einbringen soll. Suh ist damit der bestverdienende Verteidiger in der NFL-Geschichte. Ob die Dolphins durch die Verpflichtung des 28-Jährigen tatsächlich eine realistische Chance haben, ihre Division zu gewinnen, darf aber zumindest bezweifelt werden – weil sich, abgesehen von Super-Bowl Sieger New England, auch die anderen beiden Teams der Vierer-Staffel enorm verstärkt haben: die New York Jets angelten sich in Darrell Revis New Englands besten Verteidiger, die Buffalo Bills holten unter anderem Ex-Jets-Coach Rex Ryan und Running Back LeSean McCoy von den Philadelphia Eagles.

Nirgends ging es so wild zu wie bei den Philadelphia Eagles

Apropos Eagles: In keiner Stadt mit NFL-Franchise ist es in den letzten Tagen so drunter und drüber gegangen wie in Philadelphia. Coach Chip Kelly, ohnehin bekannt für unorthodoxe Methoden und Taktiken, trennte sich kurzerhand von sieben seiner besten Spieler, darunter eben McCoy und Quarterback Nick Foles. Bei den Spielern kam das überhaupt nicht gut an. „Ich habe die Offense fünf, sechs Jahre getragen“, sagte McCoy in einem Fernsehinterview, „aber niemand hat mir gesagt, dass ich in Zukunft nicht mehr wichtig sein soll.“ Auch von vielen anderen Seiten gibt es Kritik an Coach Chip Kelly. Eine Tageszeitung aus Philadelphia zweifelte gar die Zurechnungsfähigkeit des Trainers an, der für die neue Saison gleich zehn Spieler von den Oregon Ducks nach Philadelphia holte. Am College in Oregon hat sich Kelly einst einen Namen als gewiefter Taktiker gemacht, bevor er in die NFL wechselte. „Er vertraut in sein System und holt sich die Spieler, die er dafür braucht“, sagt Ex-Coach Brian Billick, „ich finde das sehr mutig.“ Man könnte auch sagen: wahnsinnig.

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