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Volle Ränge im Jordan-Hare-Stadium sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel bei den Auburn Tigers.

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Big Four - Die US-Sport-Kolumne: Im Epizentrum des College Footballs

Football in den USA ist nicht nur die NFL. In Gegenden, in denen es keine Profiteams gibt, stehen die Fans hinter ihren Universitätsmannschaften. In Alabama nimmt das zum Teil drastische Ausmaße an.

Die Einladungen sind ausgesprochen, die Ansetzungen stehen. Kurz vor Weihnachten steuert die Saison im amerikanischen College-Football traditionell seinem Höhepunkt entgegen: Der Bowl-Series. Dann treffen sich die besten Mannschaften des Landes, um mit einem Spiel, meist unter der Sonne Kaliforniens, Floridas oder Arizonas, den Saisonabschluss zu feiern. Aufgrund der gestiegenen Zahl an Sponsoren und dem großen Fernsehinteresse gibt es inzwischen eine schon inflationäre Zahl an Bowl-Spielen, was der Begeisterung der Amerikaner aber keinen Abbruch tut. Man fiebert mit der Schule mit, die man selbst vor Jahren besucht hat oder hält aufgrund regionaler Nähe zu einem Team. Vor allem im Süden ist die Begeisterung groß. So groß, dass sie teilweise in Fanatismus umschlägt.

Epizentrum der College-Football-Faszination ist Alabama. Nirgendwo sonst in den Vereinigten Staaten kann man die aus europäischer Sicht schwer begreifliche Begeisterung der Amerikaner für den Hochschulsport besser nachvollziehen, als hier in der Südstaatenprovinz. Alabama hat knapp fünf Millionen Einwohner auf einer Fläche, die ungefähr einem Drittel Deutschlands entspricht. Es gibt keine Großstädte und folglich auch kein einziges Team in einer der vier großen Profiligen, das Interesse am Profisport ist somit gering. Doch dafür gibt es den College-Football. Durch die jeweiligen Universitäten bestehen ein hoher regionaler Identifikationsfaktor und eine tiefe gesellschaftliche Verwurzelung. Ganz im Gegensatz zu vielen NFL-Teams mit ihren hochbezahlten und austauschbaren Söldnertruppen, deren Besitzer womöglich auch noch samt Mannschaft die Koffer packen, wenn sie woanders einen besseren Markt wittern. College-Football ist volksnäher. Schon der Zuschauerschnitt Auburns von gut 85 000 spricht Bände. Bei der University of Alabama mit ihrem kolossalen Bryant-Denny Stadion in Tuscaloosa kommen seit Jahren sogar konstant über 100 000 Zuschauer.

Es ist schwer, in Alabama jemanden anzutreffen, dessen Herz nicht entweder rot-weiß für die "Crimson Tide" der University of Alabama schlägt, oder blau-orange für die Auburn Tigers. Die Rivalität ist enorm, immer wieder machen Auseinandersetzungen Schlagzeilen. Autos wurden beschmiert, Kellnern wurde das Trinkgeld verweigert, es sollen sogar schon Ehen an der Football-Rivalität zerbrochen sein. Im Jahr 2010 hängten Auburn Fans ein Trikot ihres Quarterbacks an die Statue von Alabamas Trainer-Legende Paul Bryant. Als Gegenreaktion vergiftete ein Alabama-Fan die beiden Virginia-Eichen an der „Toomer‘s Corner“ in Auburn mit Chemikalien. Die Bäume sind eine Art Heiligtum für Auburn-Fans und der Platz ein traditioneller Treffpunkt für Feierlichkeiten nach den Spielen. Die symbolträchtigen Eichen überlebten den Giftangriff nicht, im April dieses Jahres wurden sie gefällt.

Man kann sich also ungefähr vorstellen, was in Alabama los ist, wenn der jährliche Iron Bowl auf dem Programm steht. Es gab schon viele packende Duelle zwischen den beiden Rivalen, bei denen oft nicht nur die Vorherrschaft in Alabama, sondern auch die Chance auf die nationale Meisterschaft auf dem Spiel steht.

Die beiden Colleges machen die Meisterschaft seit 2009 quasi unter sich aus

So auch vor knapp zwei Wochen. Auf der Uhr steht stand noch eine Sekunde, 87 451 Zuschauer im Jordan-Hare-Stadion von Auburn, der gesamte Bundesstaat Alabama und wahrscheinlich auch ein großer Teil der übrigen Amerikaner hielten den Atem an, während Kicker Adam Griffith aus 57 Yards Entfernung Maß nahm, um das ohnehin schon dramatische Duell mit einem Field Goal für seine University of Alabama gegen Auburn zu entscheiden. Die beiden großen Universitäten aus dem Bundesstaat Alabama gehören traditionell zu den Stärksten in den gesamten USA, seit 2009 ging der nationale Meistertitel immer an eines von beiden Teams. Dieses Mal ist die Ausgangslage noch dramatischer. Nur der Sieger würde die Chance haben, um den Titel am 6. Januar spielen zu können. Im Moment des Kicks sieht es so aus, als würde der große Favorit Alabama erneut Richtung Endspiel steuern, Griffith‘s Versuch sieht zunächst gut aus, auch wenn zehntausende Kehlen im Stadion versuchen, den Ball aus seiner Flugbahn zu schreien. Und tatsächlich, das Leder segelt einen Tick zu weit nach rechts und vielleicht auch einen Meter zu kurz. „No good!“ Das Stadion bebt, es bleibt beim 28:28, das Spiel wird in die Verlängerung gehen. Oder doch nicht?

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Auburns Trainerstab hatte offenbar einen Geistesblitz und Cornerback Chris Davis ans Ende des Feldes berufen. Dort fängt er nun den Fehlschuss ab und rennt los – eine legale aber eher selten angewandte Option bei Field-Goal-Versuchen. Gerechnet hat damit jedenfalls niemand, schon gar nicht die Mannschaft von Alabama, die für den finalen Spielzug nur stämmige Offensive-Line-Spieler aufgestellt hat. „Da sind keine Athleten auf dem Feld, nur fette Jungs“ wird CBS-Kommentator Gary Danielson später bei der Wiederholung zum Besten geben. In puncto Tempo und Wendigkeit kann es jedenfalls keiner von ihnen mit Davis aufnehmen. Und der rennt und rennt. Mit jedem Meter, jedem an ihm vorbeistolpernden Gegner, steigt der Lärmpegel weiter bis ins unermessliche. Als Davis den entscheidenden Haken schlägt und dann nur noch offenes Feld vor sich hat, kennt die Ekstase keinen Grenzen mehr. Touchdown, Auburn holt den nicht für möglich gehaltenen Sieg und vermasselt dem verhassten Rivalen mit diesem einen genialen Spielzug die gesamte Saison. 

Der Rest ist Delirium, Platzsturm der Auburn-Studenten und blankes Entsetzen in den Gesichtern aller "Crimson-Tide"-Spieler und Anhänger. "Als ich den Ball gefangen habe, bin ich einfach nur gerannt", stammelt der sichtlich überwältigte Held Davis ins Mikrofon, umringt von einer tobenden Masse. "So etwas wildes habe ich im College-Football noch nie gesehen", konstatiert Kommentator Danielson.

Die Ära der "Crimson Tide", die in den vergangenen vier Jahren drei nationale Meisterschaften gewannen, ist damit beendet. Nach einem weiteren Sieg am vergangenen Wochenende gegen Missouri wird Auburn nun am 6. Januar gegen Florida State um den Titel spielen. Ein modernes Football-Märchen. Im vergangenen Jahr hatten die Tigers kein einziges Spiel in ihrer Conference gewonnen. Seriensieger Alabama bleibt in diesem Jahr nur der Sugar Bowl gegen die Oklahoma Sooners.

Das Spiel zwischen Alabama und Auburn liefert trotz der bevorstehenden Bowl-Spiele noch immer Gesprächsstoff. Und leider auch die fast zu erwartenden unschönen Schlagzeilen. Alabamas Kicker Cade Foster, der im Spielverlauf drei Field-Goal-Versuche vergeigte und deswegen für den finalen Schuss von Griffith ersetzt wurde, erhielt auf Twitter zahlreiche Morddrohungen. Und auch ein tatsächlicher Mordfall vom Abend nach dem Spiel in Birmingham wird in direkte Verbindung zum Iron Bowl gestellt. Die mutmaßliche Täterin, Fan der University of Alabama, soll sich auf einer Party darüber echauffiert haben, dass andere Alabama-Fans nach der traumatischen Niederlage nicht traurig genug und sogar noch zu Scherzen im Stande waren. Der Streit eskalierte und endete mit tödlichen Schüssen auf eine dreifache Mutter.

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