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Angewidert von den Knicks: Einige Fans der New York Knicks wollen bei einem Besuch nicht erkannt werden.

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Big Four - die US-Sport-Kolumne: NBA-Draft: Kein Mitleid mit dem Heilsbringer

Die New York Knicks sehnen sich vor dem NBA-Draft nach besseren Zeiten - doch selbst im Verlieren scheitert der traditionsreiche Klub grandios.

Vermutlich wird es wieder Buh-Rufe setzen heute Abend Ortszeit im Barclays Center in Brooklyn. Beim Draft, der jährlichen Talentauswahl, bei der die 30 NBA-Klubs die begabtesten jungen Spieler von den US-Colleges und aus dem Ausland auswählen, bieten die Fans der New York Knicks ihren Neuankömmligen seit Jahrzehnten schon eher launige Empfänge. Die Anhänger am Hudson River sind Enttäuschungen gewohnt - ausgerechnet ein Hoffnungsträger ist zur größten geworden.

"Ich bitte nur um mehr Geduld", fleht Phil Jackson seit Monaten gebetsmühlenartig. Jackson ist seit März 2014 Präsident der Knicks, für die er als Aktiver bereits zwischen 1967 und 1978 auf dem Parkett stand und zwei Meisterschaften gewann - die einzigen der Klub-Geschichte. Er, der als Trainer mit den legendären Chicago Bulls um Michael Jordan und den Los Angeles Lakers um Kobe Bryant und Shaquille O'Neal insgesamt elf weitere Titel gewann, sollte nun auch endlich wieder die chronisch schwachen Knicks in die Liga-Spitze leiten. "Wir haben hier großartige Voraussetzungen. New York ist der beste Ort, um Basketball zu spielen" erklärte Jackson noch bei seiner euphorisch gefeierten Vorstellung. "Erfolg wäre das i-Tüpfelchen meiner Karriere." Die Euphorie ist längst verflogen. Es folgte eine unterirdische Saison, mit nur 17 Siegen bei 65 Niederlagen die schlechteste überhaupt seit Klub-Bestehen. Jacksons Ruf - auch im Gedanken an das üppige Salär von zwölf Millionen US-Dollar pro Jahr - ist arg ramponiert.

2014/15 waren die New York Knicks unterirdisch schlecht

"Ich glaube nicht, dass das noch etwas wird mit Jackson und den Knicks" sagt Jerry West. Das Wort des 77-Jährigen hat Gewicht in der Basketballwelt. Schon zu gemeinsamen Zeiten bei den Lakers um die Jahrtausendwende - West als Manager, Jackson als Trainer - wurde das Verhältnis der beiden schwierigen Charaktere als mindestens diffizil, wenn nicht gar zerrüttet beschrieben. "Es war sicher nicht das Jahr, das man sich in New York vorgestellt hat", meint West - und könnte danebenliegen. Die Chancen stehen hoch, dass die Saison als Lachnummer der Liga einkalkuliert war. Seit Jahren schon ist es ein offenes Geheimnis, dass Mannschaften ein Jahr im Tabellenkeller in Kauf nehmen, wenn nicht gar forcieren. Das Ziel: Eine gute Ausgangsposition beim jährlichen Draft - denn nach einem komplizierten System sind dort die schlechtesten Mannschaften stets zuerst an der Reihe und können sich die größten Talente sichern. Das "Tanking", so der Fachbegriff, ist bei Experten und Fans verhasst, bei den Klub-Machern als notwendiges Übel und möglicher Schritt in eine glorreiche Zukunft willkommen.

Wenn nicht das Schicksal erbarmungslos zugeschlagen hätte. Bei der Vorab-Auslosung der Draft-Reihenfolge im Mai landeten die Knicks nämlich überraschend nur an vierter Stelle. Die hochkarätigsten Talente auf den großen Positionen - die wohl größte Schwachstelle im Kader ist eben jene Defensivpräsenz - werden dann mit großer Wahrscheinlichkeit bereits einen Klub gefunden haben. Angedachte Hochkaräter wie Center Jahlil Okafor von der renommierten Duke-Universität oder Power Forward Karl-Anthony Towns aus Kentucky sind auch bei anderen Teams begehrt. "Es fällt mir sehr schwer, Mitleid mit diesen Knicks zu empfinden", sagt NBA-Analyst Sekou Smith. "Dieses Dilemma haben sie selbst zu verantworten - und es passt in die Geschichte der letzten Jahre." 

Durststrecke seit dem Jahr 2000

Die Draft-Misserfolge der Knicks sind mittlerweile ein Running Gag unter Fans wie Experten. 1985 noch konnte mit Patrick Ewing ein Volltreffer gelandet werden - der Center wurde zum Eckpfeiler der Mannschaft, die in den 90er Jahren zu den besten der Liga zählte. Der Weg dahin aber war steinig, ein Jahr später fing das Drama an. Das Klub-Management entschied sich an fünfter Stelle für Kenny Walker, einen hochgelobten College-Akteur - der Flügelspieler enttäuschte in fünf Jahren beim Team, konnte die hohen Erwartungen nie erfüllen. Es sollte die bis heute höchste Platzierung beim Draft bleiben. Angeführt von Ewing wurden die New Yorker gar zum Titelkandidaten. Auf dem Weg in die Finalspiele stand gleich fünf Mal einzig das übermächtige Chicago - ausgerechnet mit Trainer Jackson - im Weg. 1994 waren in den Endspielen die Houston Rockets zu stark. Im Erfolg blieben gute Draft-Positionen aus. 

Vor knapp 15 Jahren dann begann eine fast tragikomische Zeit zusätzlicher Transfer- und Vertragsdesaster. Höchstens mittelmäßige Akteure wurden mit hochdotierten Langzeitkontrakten ausgestattet, die den Knicks über Jahre bei Neuverpflichtungen die Hände banden. Für die überbezahlten Spieler fanden sich keine Abnehmer, die Gehaltsobergrenze war ausgeschöpft. 1999 noch stand der Klub im Finale, seitdem aber nur noch fünf Mal überhaupt in den Playoffs. Dazu wurden zukünftige Draft-Auswahlmöglichkeiten als Transfer-Beigaben verschachert - und die Führungsetage bewies in regelmäßigen Abständen die einmalige Gabe, selbst mit als Ergänzungsspielern angedachten College-Abgängern gepflegt daneben zu liegen. 

"Ich bin angewidert von den Knicks"

Mit Jackson sollte insgesamt alles anders werden: Im Duo mit General Manager Steve Mills löste der 69-Jährige überdimensionierte Spielerverträge, schuf Platz unter der Gehaltsobergrenze, um das Team für große Stars so attraktiv wie möglich zu machen. Im nächsten Jahr laufen dazu mehrere Kontrakte aus, was zusätzlichen finanziellen Spielraum bietet. "Damit habe ich doch einen tollen Job gemacht", zog Jackson erst vor wenigen Tagen Bilanz. Die Liga-Elite macht aber noch immer einen weiten Bogen um den "Big Apple". Mannschaftskapitän Carmelo Anthony ist schon länger der einzige überdurchschnittlich begabte Spieler. Das oft beschworene Sieger-Gen oder die Fähigkeit, Mitspieler besser zu machen, gehen ihm jedoch ab.

Volle Konzentration galt und gilt also dem Draft 2015. "Das passiert, wenn man alles auf eine Karte setzt", kommentierte TV-Kommentator und Ex-Knicks-Trainer Jeff van Gundy. "New York steht nun unter Druck wie kein anderes Team." Liga-Experte Stephen A. Smith vom Sportsender ESPN wurde noch deutlicher: "Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie angewidert ich von den Knicks bin. Ich war mit der Klubleitung in einem Raum, als bekannt wurde, dass sie erst an vierter Stelle draften dürfen. Es war unglaublich schmerzhaft."

Dem Vernehmen nach werden sich die Knicks nun entweder für Point Guard Emmanuel Mudiay entscheiden - oder für den lettischen Center Kristaps Porzingis. Beide gelten als talentiert, doch nicht als künftige Fixpunkte im Weltbasketball. Schon jetzt wird gemutmaßt, die Knicks könnten auf Tauschgeschäfte mit anderen Klubs spekulieren. Klar ist: Jackson braucht einen mittelgroßen Geniestreich, um die Stimmung wieder zu den eigenen Gunsten zu drehen. Ironischerweise war es gerade die Schlussphase jener historisch schlechten Saison, die am Ende wohl eine bessere Position beim Draft verhinderte. Durch zwei unerwartete Siege in den letzten drei Partien überließen die Knicks den Minnesota Timberwolves die rote Laterne der Liga. Die mindestens genauso chronisch schwachen "Wolves" dürfen nun zuerst wählen. Wie sagen New Yorker Fans bereits? "Die Knicks können nicht mal richtig verlieren."

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