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Sport: Bis es mal ins Auge geht

Dariusz Michalczewski findet kein Ende. Am Samstag boxt er um den Rekord von Rocky Marciano – eine Karriere auf der Kippe

Hamburg. Der Nikolaustag des vergangenen Jahres war ein besonderer Tag im Leben des Dariusz Michalczewski. Er, der polnische Berufsboxer, und Gerhard Schröder, der deutsche Bundeskanzler, brachten ihren gemeinsamen Freund, den italienischen Maler Bruno Bruni, unter die Haube. Michalczewski und Schröder waren Brunis Trauzeugen. Die drei Herren kennen sich ganz gut. Der Kanzler macht gerne Urlaub in Brunis Villa, der Maler entwirft gelegentlich den Kampfmantel des Boxers, und dieser erzählt bei gemeinsamen Essen gern von seinen Kämpfen. Beim nächsten Treffen muss Schröder vermutlich vom Ringen um Reformen erzählen und Michalczewski von seinem nächsten, einem historischen Kampf.

Am Samstag wird Michalczewski in der Hamburger Color Line Arena seinen 49. Profikampf bestreiten. Bei einem Sieg gegen den Mexikaner Julio Cesar Gonzales würde er den Weltrekord einstellen. Mit bisher 48 Siegen in Folge ist Michalczewski nur einen siegreichen Kampf von der Bestmarke des legendären Schwergewichtsweltmeister Rocky Marciano entfernt. Rocco Francis Marchegiano, so sein bürgerlicher Name, gewann in den Fünfzigerjahren 49 Kämpfe. Noch heute ist Rocky Marciano in den USA einer der populärsten Sportler – weil er als Champion ungeschlagen abtrat. Das ist nur ganz wenigen Boxern gelungen. Vielleicht gelingt es Dariusz Michalczewski, vielleicht auch nicht.

Dariusz Michalczewski ist ein sehr guter Boxer. Er ist seit 1994 Weltmeister im Halbschwergewicht und hat längst ausgesorgt. Ans Aufhören aber denkt der 35-Jährige nicht. „Ich möchte gern 50 Siege. Das habe ich immer betont, aber ich habe nie gesagt, dass ich danach aufhöre“, sagt Michalczewski und damit das, was viele befürchten.

Es ist noch gar nicht so lange her, da schien ein baldiges Karriereende unausweichlich. In seinen letzten beiden Kämpfen musste er viele Schläge einstecken. Michalczewski gewann zwar, doch sein Gesicht war böse zugerichtet. Es waren reine Materialschlachten, wie es in der Branche heißt, wenn sich zwei Boxer auf Biegen und Brechen die Fäuste an die Köpfe knallen. Kritische Beobachter schwankten zwischen Bewunderung und Sorge. Wie lange hält der Weltmeister solche Siege noch aus? „Meine Reflexe sind gut“, antwortet Michalczewski. Er suche eben den Knockout und „deswegen muss ich das Risiko eingehen, selbst getroffen zu werden“. Viele Schläge der Gegner würden hart aussehen, „aber ich ziehe den Kopf rechtzeitig weg, alles halb so schlimm“.

Dariusz Michalczewski boxt seit 23 Jahren. Anfang der Neunzigerjahre verließ er Polen, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an, wurde Europameister bei den Amateuren und dann Profi in Hamburg. Sein Trainer Fritz Sdunek hat mal über ihn gesagt: „Seine Power steht keiner durch.“ Einen anderen Kampf konnte er nie gewinnen: den um die Zuneigung der Öffentlichkeit. Michalczewski wurde nie so verehrt wie Henry Maske und nie so geliebt wie die Klitschkos. Jetzt boxt er wieder unter polnischer Flagge. In Danzig sieht er seine berufliche Zukunft.

Der begabte Boxer ist in die Jahre gekommen. „Jetzt brauche ich zwei Monate, um wieder Lust aufs Boxen zu haben, früher war es eine Woche“, erzählt Michalczewski. Heute mache ihm das Training mehr Mühe, „aber ich freue mich auch mehr darüber. Meine gesamte Koordination ist besser geworden. Beim Boxen kann man sehr viel über seinen Körper lernen.“ Vielleicht ist das der Grund, warum er sich dieser Quälerei immer noch aussetzt. Vielleicht ist aber ein Leben ohne Boxen für ihn die viel größere Quälerei. Wie wird es wohl sein, ein Leben ohne tobendes Publikum und ohne Kämpfe um die Weltmeisterschaft?

„Mein Leben ohne Boxen hat doch längst begonnen“, sagt Michalczewski. Er erzählt von seiner Stiftung für Kinder in Polen und von einer eigenen Show im polnischen Fernsehen, „samstags zur Prime Time“. Abhalten vom Boxen werden ihn diese Aufgaben nicht. „Erfolg macht einfach Spaß, und das Geld spielt auch eine Rolle.“

Für den Rekordkampf am Samstag haben sich 250 Journalisten akkreditieren lassen, 25 Fernsehstationen werden berichten. „Das ist ein wahnsinniger Rekord. Wenn ich Gonzales bezwinge, wäre das Boxgeschichte“, sagt Michalczewski. Selten aber stand der Ausgang des nächsten Kampfes so auf der Kippe. Julio Cesar Gonzales ist größer und jünger als Dariusz Michalczewski. Von seinen 35 Kämpfen konnte er 34 gewinnen, davon 22 durch K. o. „Gonzales ist ein Boxer wie ich, denn ich weiß, was es bedeutet, hungrig zu sein“, sagt Michalczewski. „Damit bin ich ziemlich weit gekommen im Ring.“

Noch sieht Dariusz Michalczewski die Vorteile auf seiner Seite. Die meisten Gegner sind erstaunt, „was für ein harter Hund ich bin, aber die meisten wissen nicht, was ich dafür tun musste. Sie alle wollten mir den Titel wegnehmen. Geschafft hat es bisher keiner“. Mal sehen, wie lange sich diese Geschichte noch erzählen lässt.

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