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Sport: Boliden ohne Seele

Proteste gegen die neuen Regeln und überhöhte Preise: Der Formel 1 laufen die Fans davon – auch beim Rennen in Hockenheim

Hockenheim. Hans-Joachim Hermannutz hat einfach nicht mehr zugeschaut, „aus reinem Protest“. Es war ein stummer Protest. Wer bekam denn schon mit, dass in Hermannutz’ Wohnzimmer, irgendwo in Wangen im Allgäu, der Fernseher dunkel blieb, während die Formel-1-Boliden über die Rennpisten von Melbourne, Imola oder Barcelona jagten? Wer registrierte schon, dass der 47-Jährige damit gegen die horrenden Eintrittspreise und die neuen Regeln protestierte? „Klar fiel es nicht leicht“, sagt Hermannutz, „aber es musste sein.“ Erst beim siebten Rennen der Grand-Prix-Serie 2003 schaltete er den Fernseher wieder ein. Der Große Preis von Monaco. Das Kult-Rennen.

Aber einer wie Hermannutz ist so etwas wie ein fleichgewordenes Alarmsignal. Er müsste es jedenfalls sein für Formel-1-Funktionäre. Denn mit Hermannutz protestieren die Idealisten, die echten Fans. Der Allgäuer fuhr seit 1990 zu drei Rennen pro Jahr, zuvor, 20 Jahre lang, jeweils mindestens zu einem. In diesem Jahr wieder zu einem, nur zu einem. Hockenheim, der Große Preis von Deutschland, am Sonntag. Aber der 47-Jährige hat sich den Trip lange überlegt. Er hat dann doch noch zugesagt, es war wohl ein letzter Rest des Gefühls von alter Liebe.

Aber sein Zögern passt ins Gesamtbild. Rund 250 000 Fans hatten sie in Hockenheim im vergangenen Jahr. „Dieses Jahr werden es wohl weniger“, sagt Andreas Hornung, Geschäftsführer des Veranstalters Hockenheim GmbH. Wie viel weniger? Schwer zu sagen, auf jeden Fall sind noch genügend Karten da. Das gab’s früher nicht.

Sie fehlen überall, die Fans. In Silverstone waren vor knapp zwei Wochen 70 000 Zuschauer, halb so viele wie früher. 50 Prozent Einbruch auch beim Großen Preis von San Marino. Monaco 2003 – miserable Bilanz. Ein auf Sportreisen spezialisierter Unternehmer, schreibt die Deutsche Presse-Agentur, beklage Einbußen von 40 Prozent.

Auch RTL laufen die Formel-1-Zuschauer weg. „Wir haben rückläufige Quoten“, sagt Matthias Bolhoefer von der RTL-Pressestelle. Warum? Bolhoefer weiß es auch nicht genau. „Wir haben nur Erklärungsversuche. Der Boom der Formel 1 musste irgendwann vorbei sein, der Zenit ist jetzt überschritten.“

Einer wie Hermannutz, einer von der Basis quasi, kann es genauer sagen: „Es wird doch nichts geboten für das teure Geld.“ 270 Euro zahlt er für ein Drei-Tageticket, Platz in der Spitzkehre, wo die Rennwagen von 330 km/h auf 80 km/h herunterbremsen. „Aber jetzt ist das Warm up am Sonntagvormittag weg. Am Sonntag kann ich eigentlich bis zwölf Uhr im Bett bleiben und dann für 90 Minuten Rennen auftauchen.“ Und für so ein Programm fährt er nicht fast 400 Kilometer – den einfachen Weg. Und dann der Sonnabend. „Ich will beim Qualifying ein Rennen sehen. Ich will nicht bloß jeweils einen Fahrer auf der Piste haben.“ Die neuen Regeln schreiben Solofahrten aber vor.

Fans wie Hermannutz fehlt die Seele des Sports. Die Überholmanöver, die Positionskämpfe, jene Atmosphäre, die bisher selbst im High-Tech-Zirkus nie ganz verschwand. Aber jetzt gelten die neuen Regeln. Und jetzt spürt Hermannutz keine Atmosphäre mehr. Es ist ja nicht bloß eine Frage des Geldes. Es liegt an dem, was ein Idealist wie Hermannutz für sein Geld bekommt.

Eine Stuntshow bekommt er in Hockenheim. Und ein Entertainmentprogramm auf riesigen Video-Leinwänden. Und eine Renault Clio Speed Trophy, ein Rennen vor dem Formel-1-Grand-Prix. Alles neu im Programm in diesem Jahr. „Wir wollen damit den Grand Prix noch attraktiver machen“, sagt Andreas Hornung, der Geschäftsführer der Hockenheim GmbH.

Stuntshow, Entertainment-Programm, „davon sehen wir doch von unserem Platz aus nichts“, sagt Hermannutz. Hätten die mal die Preise gesenkt, in Hockenheim, signalisiert er. Zwischen 125 und 400 Euro kostet ein Wochenend-Ticket. So teuer waren sie auch schon 2002. Aber man hätte sie ja senken können, die Preise. Der Zuschauerrückgang hat ja schon im vergangenen Jahr begonnen. „An eine Preissenkung war nicht gedacht“, sagt Hornung. „Wir finden, das Produkt Formel 1 ist attraktiv.“ Und hat damit seinen Preis, will er sagen.

Außerdem muss seine GmbH ja Geld verdienen. Die Strecke ist schließlich für rund 60 Millionen Euro umgebaut worden. Kürzer ist sie jetzt, und sie bietet mehr Platz zum Überholen. Aber das Geld muss refinanziert werden, da klingt es schon wie eine gute Nachricht, dass Hornung sagt: „Die Ticket-Preise werden auch im nächsten Jahr nicht erhöht.“ Sie bleiben aber hoch.

Für einen wie Hermannutz könnte Hornungs Satz deshalb wie eine Drohung klingen. In diesem Jahr ist er mit zwei Kumpels in Hockenheim. 2002 waren sie zu acht. „Die anderen haben für sich dieses Jahr die Rennen gestrichen.“ Wie viele Rennen? „Alle.“

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