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Boris Becker, 48, (r.) war Nr.1 der Weltrangliste. Seit Dezember 2013 arbeitet er als Trainer des Serben Novak Djokovic (l.), der vor Kurzem erstmals die French Open gewann.

© AFP/Gouhier

Boris Becker zum Wimbledonstart: "Für mich wäre es schwerer, Federer zu coachen"

Tennislegende Boris Becker spricht im Interview vor dem Wimbledonstart für das neue Magazin "No Sports" über seine Zusammenarbeit mit Novak Djokovic.

Herr Becker, erkennen Sie Parallelen zwischen Novak Djokovic und dem Tennisspieler Becker?

Novak ist wie ich ein sehr emotionaler Spieler, der besser spielt, wenn er seine Emotionen richtig einsetzt, und schlechter, wenn er sie falsch einsetzt.

Und deswegen sind Sie der richtige Mann für ihn?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass unsere Partnerschaft schon einige Zeit recht erfolgreich ist.

Wie lenkt man die Emotionen bei einem Nummer-eins-Spieler?
Es kommt sehr genau darauf an, welches Wort zu welcher Zeit in welcher Tonlage gesprochen wird. Dafür braucht es ein sehr gut eingespieltes Team, denn jedes Match ist anders und braucht eine spezielle Vorbereitung. Als jemand, der fast 15 Jahre lang Top-Ten-Spieler war, kann ich in etwa einschätzen, wie es Novak am Abend vor, am Morgen vor und zehn Minuten vor einem Finale geht.

Das heißt?
Natürlich sprechen wir auch mal über seine Vorhand, aber vor allem geht es um die Strategie und die Bereitschaft, große Kämpfe richtig anzugehen. Wir gehen ähnlich mit Emotionen um. Aber ich bin zwanzig Jahre älter und habe eine andere Distanz zu den Dingen. Eine Form von Erfahrung, die ihm offenbar ganz gut tut.

Und das können Sie ihm vermitteln?
Ja, denn wir ähneln uns auch in dem Punkt, dass weder Novak noch mir das Tennisspielen in die Wiege gelegt worden ist. Ich würde mich sehr viel schwerer tun, Roger Federer zu coachen.

Neuer Aufschlag. "No Sports" erscheint sechs Mal im Jahr.
Neuer Aufschlag. "No Sports" erscheint sechs Mal im Jahr.

© promo

Warum?
Roger ist der talentierteste Tennisspieler aller Zeiten, er hat eine ganz andere Persönlichkeitsstruktur. Novak und ich mussten dieses Defizit durch Fleiß und Arbeit wettmachen um Erfolg zu haben. Dazu kommt die familiäre Situation. Novak ist im Jugoslawienkrieg aufgewachsen, ist im Mangel groß geworden. Meine Mutter war Flüchtling im Zweiten Weltkrieg. Wir haben von Zuhause ähnliche Werte mitbekommen, was Kämpfen bedeutet und was es bedeutet, über Grenzen zu gehen.

Sie hatten schon früher Anfragen, Trainer zu werden, haben aber stets abgelehnt.
Auch von Grand-Slam-Spielern, allerdings war deren Perspektive eher das Viertel- oder Halbfinale. Das reizte mich nicht. Außerdem muss ein Trainerjob auf dieser Ebene auch zur Lebenssituation passen. Trainer eines Weltklassespielers zu sein, das macht man nicht nebenbei. Als mein Sohn ein paar Wochen alt war, wollte ich nicht ständig reisen. Als Novaks Anruf kam, war Amadeus schon drei, da fiel es mir leichter zuzusagen.

Das Ziel hieß: Hilf mir, wieder Nummer eins zu werden.
I am in the Business of Winning. Er hat mich gefragt, damit er wieder das Gewinnen lernt. Mir gefiel diese Perspektive. Denn ich spiele in meinem Leben gern auf Sieg, nie auf Unentschieden.

Hatten Sie nie Zweifel, dass das gut geht?
Mentale Zweifel nicht. Die Gretchenfrage war aber: Würde ich dem Job körperlich gewachsen sein? Auch als Trainer muss man den Druck auf die Straße bringen. In den Wochen, nachdem Novak angerufen hatte, stand mir jedoch meine zweite Hüftoperation bevor. Ich hatte furchtbare Schmerzen, nahm ständig Tabletten und war kaum in der Lage zu reisen, geschweige denn, lange zu sitzen. In dieser Zeit fiel es mir sehr schwer, gute Laune beim Training zu versprühen. Ich stand im April 2014 kurz nach der OP mit Krücken auf dem Platz. Als Novak das sah, hat er wohl erst richtig verstanden, warum es mir vorher nicht immer leicht fiel, gesellig zu sein.

Man sieht Ihnen an, dass Sie Schwierigkeiten beim Gehen haben.
Kann ich je wieder richtig rennen? Nein! Aber ich bin nach Jahren wieder schmerzfrei und muss keine Tabletten mehr nehmen, das ist das Wichtigste. Ich bin jedoch in Behandlung und hoffe, dass mein Sprunggelenk wieder elastischer wird.

Wie ist es für Sie, sich in dieser Situation in der Öffentlichkeit zu bewegen?
Das ist für Fans und Außenstehende schwerer zu ertragen als für mich. Viele haben immer noch den Jungsiegfried vor Augen. Aber, glauben Sie mir, älter zu werden, bleibt niemanden erspart, und nichts wird leichter mit der Zeit.

Ist Novak Djokovic als Spieler talentierter als Sie?
Schwer zu sagen. Sicher ist, dass ich ohne Talent nicht mit 17 Jahren Wimbledon gewinnen hätte können. Mein größtes Gut war meine Power. Ich hatte schon als Teenager mehr Energie als die meisten 25-Jährigen. Novak hat verglichen damit deutlich weniger Körperlichkeit.

Neigen Spieler seiner Kategorie zu besonderer Sensibilität? Sie haben zur aktiven Zeit auf dem Platz gerne mal Launen ausgelebt.
Vorab: Jeder, der mich lange und gut kennt, wird Ihnen bestätigen, dass ich nicht zur Divenhaftigkeit neige. Aber: Ja, große Tennisspieler sind sensibel, auch Novak ist keine Maschine, und es gibt Tage, an denen seine Laune nach dem Training, auf deutsch gesagt, beschissen ist. Dann liegt es am Team, also letztlich an mir, ihn wieder auf die Bahn zu bringen. Im Tenniszirkus ist es normal, dass sich die Top-Spieler vor Matches die Kabine teilen, mitunter sogar dieselbe Dusche und Toilette in den Stadionkatakomben benutzen. Da ist es wichtig, dass ein Trainerteam den Spieler auffängt und abschirmt.

Wie gehen Sie mit schlechter Laune bei Djokovic um?
Das kann über private oder berufliche Fragen funktionieren, manchmal auch durch Gespräche mit seiner Frau oder, wenn es sein muss, sogar indem ich ihn ignoriere. Jedes Match, jedes Turnier verlangt einen anderen Umgang.

Kommt es vor, dass Sie sich richtig fetzen?
Ich bin kein Typ, der aus der Haut fährt. Aber Novak hat Phasen, in denen er übers Ziel hinausschießt. Und dann ist es an mir, ihm zu sagen, dass er überreißt. Wenn es alle denken, muss es einer sagen. Bei mir war es Ion Tiriac, bei Novak bin ich es.

Das Gespräch führte Tim Jürgens für das neue Sportmagazin "NoSports", das an diesem Freitag erstmals am Kiosk zu kaufen ist. Das Magazin aus dem Hause des Tagesspiegel-Kooperationspartners "11 Freunde" kostet 6,80 Euro. Alles zum neuen Heft unter www.nosports.com.

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