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Was sich bei den Borussen tut, ist ein Rätsel, auch dem Trainer.

© Reuters

Borussia Dortmund in der Krise: Jürgen Klopp als Werkmeister der Zukunft

Dortmund steht nach 13 Spieltagen auf dem letzten Platz der Tabelle. Für den deutschen Fußball ist das ein Drama. Doch gegen solch unfassbare Fatalität hilft keine Taktik, kein Trainerwechsel, da hilft nur das Wissen, dass jede Strähne irgendwann reißt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Wenn wir von allen wirklich ernsten Dingen der Welt (Syrien, Ebola, IS, Flüchtlinge und so weiter) ausnahmsweise mal absehen, dann ist das derzeit größte Drama natürlich das um Borussia Dortmund: personifiziert in der Gestalt von Jürgen Klopp. Hätte irgendjemand zu Beginn dieser Bundesligasaison gewettet, dass Dortmund nach 13 (13!) Spieltagen auf dem letzten Platz der Tabelle stehen oder liegen würde, er/sie wäre beim Einsatz von 1000 Euro heute wohl Millionär. Vielleicht ein trauriger Millionär, aber immerhin.

Eine Tragödie ist es nicht. Die Borussen sind nicht die Perser und Klopp nicht ihr geschlagener König Xerxes – „Die Perser“ hieß das Stück, das vor 2500 Jahren die Weltgeschichte des Theaters mit einem Trauerspiel über fremdes Leid eröffnet hat. Der Autor Aischylos war ein siegreicher Grieche, doch voller Empathie. Heute ist Thomas Müller nicht Aischylos, zumal er wie einst Sepp Maier und Karl Valentin eher fürs Komödienfach begabt ist. Trotzdem hat der Bayernstürmer gerade sehr ernst und anständig sein Mitleid mit Klopp und der Borussia geäußert. Worauf ihn (und die Dortmunder) ein paar schreibende Kanaillen gleich angeätzt haben. So, als sei Mitgefühl vom Gegner nur eine weitere Höchststrafe.

Keine Tragödie. Aber für den deutschen Fußball, der seine Glanzlichter sonst allein noch in München und in der Nationalmannschaft hätte, ein Drama. Ein Schicksalsthriller. Alfred Hitchcock hat mal gesagt, er wolle nicht, dass in seinen Krimis „die Wahrscheinlichkeit ihr gemeines Haupt erhebt“. Unwahrscheinlicher als das, was zurzeit sein Haupt oder auch den Fuß erhebt, kaum dass Dortmund spielt, kann es kaum gehen. Selbst Tore, die ausnahmsweise mal für den BVB fallen, wirken da mitunter schon superkurios. Dennoch ist diese Misserfolgsmannschaft die zweitbeste, die wir haben. Und Meistertrainer Klopp einer der Allerbesten. Wie kommt das alles nur?

Das ganze Drama kann niemand rational erklären

Detailerklärungen für diese irrwitzige Disproportion von Talent und Ergebnis gibt es viele: Verletzungen, Verkrampfungen, periodische Formschwächen. Außerdem gilt hier, wie kaum je zuvor, die Weisheit des Fußballphilosophen Jürgen Wegmann (zwei Mal Stürmer bei Borussia Dortmund, ein Mal beim FC Bayern): „Zuerst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.“ Das ganze Drama jedoch kann niemand rational erklären. Manche zucken da nur die Achseln und sagen: „Schicksal!“

Vermutlich haben sie recht. Und gegen eine unfassbare Fatalität hilft keine Taktik, kein Trainerwechsel, da hilft nur das Wissen, dass jede Strähne, ob von Glück oder Pech, irgendwann reißt. Es ist das geheimnisvolle Gesetz der Serie. Jeder kennt das: Man hat einen Menschen, der in der eigenen Nachbarschaft wohnt, jahrelang nie gesehen. Trifft man ihn nun zum ersten Mal, dann trifft man ihn vermutlich bald wieder. Das Gleiche gilt für die, sagen wir: extrem seltene Begegnung mit blauen Dackeln, mit Albinodrillingen oder Fußballspielern, die regelmäßig nur den Innenpfosten treffen. Passiert es ein Mal, dann steigt die Möglichkeit der Wiederholung immens. Es ist dies ein durch keine logische Kausalität bestimmbares Phänomen, über das der Wiener Biologe, Musiker und Frauenheld Paul Kammerer im Jahr 1919 sein Buch „Das Gesetz der Serie. Eine Lehre von den Wiederholungen im Lebens- und Weltgeschehen“ veröffentlicht hat. Kammerer widerlegte mit Forschungen zur Geburtshelferkröte, dem blinden Grottenolm oder der Gottesanbeterin Darwins Evolutionslehre, er wurde weltweit gefeiert, disputierte mit Einstein, schlief mit Alma Mahler und stellte die Frage „Sind wir Sklaven der Vergangenheit oder Werkmeister der Zukunft?“. Im Alter von 46 Jahren schoss er sich dann eine Kugel in den Kopf.

Einstein bestritt die Macht des Zufalls, er sagte: „Gott würfelt nicht.“

Gelöst hatte auch er nicht das rätselhafte Seriengesetz. Warum fällt im Roulette die Kugel plötzlich zwölfmal hintereinander auf Rot? Oder auf Schwarz? Spieler würden hierbei gerne das Prinzip des Zufalls als geheimen seriellen Mechanismus ergründen. Einstein dagegen bestritt die Macht des Zufalls, zumindest im Großen und Ganzen, er sagte: „Gott würfelt nicht.“

Und was macht Jürgen Klopp? Als Werkmeister der Zukunft kann er nurmehr auf Münchhausens Methode vertrauen: sich und die Seinen am eigenen Schopf aus der Kacke zu ziehen. Schon hat er die „Krise als Chance“ bezeichnet. Eigentlich ist ja die ganze Theatergeschichte eine der Krisen. Ohne Katastrophe und Zuspitzung kein lebendiges Drama. Nur Tote kriegen keine Krise mehr und keine unmöglichen Gegentore.

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