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Der neue Marco Reus? Auf Patrick Herrmann fokussieren sich bei Borussia Mönchengladbach die Hoffnungen, dass die Mannschaft trotz prominenter Abgänge ihren positiven Trend fortsetzt. Gegen die Bayern und Manuel Neuer erzielte er am Freitag zwei Tore.

© dapd

Borussia Mönchengladbach: Weiter geht’s

Borussia Mönchengladbach widerlegt nach den feststehenden Abgängen von Marco Reus und Roman Neustädter mit dem Sieg gegen den FC Bayern das Gerede vom drohenden Zerfall.

Es ging auf Mitternacht zu, der Kabinentrakt war inzwischen fast menschenleer, nur Patrick Herrmann erteilte weiter geduldig Auskunft. Als Rolf Hülswitt, der Zeugwart von Borussia Mönchengladbach, den 20-Jährigen in einem Rudel von Journalisten erblickte, legte er ein strenges Gesicht auf. „Schluss jetzt!“, sagte er. „Der Junge muss ins Bett.“ Herrmann sieht auf den ersten Blick in der Tat so aus, als müsste er nach den Jugendschutzbestimmungen spätestens um 22 Uhr Diskotheken und andere Vergnügungsstätten verlassen haben. Er hat die Statur eines Neuntklässlers und immer noch etwas Lausbubenhaftes. Sein Wachstum aber hat sich zuletzt deutlich beschleunigt.

Eine letzte Frage also noch, eine, die Patrick Herrmann an diesem Abend nach eigenem Bekunden schon 20-mal gehört hatte. Es ging um die Perspektive seiner Mannschaft, um Europapokal und Meisterschaft – was man halt so gefragt wird, wenn man gerade zum Rückrundenauftakt der Fußball-Bundesliga den Herbstmeister Bayern München mit 3:1 abgefertigt hat und bis auf einen Punkt an den Tabellenführer herangerückt ist. „Wir bleiben bodenständig“, sagte Herrmann.

Das war insofern eine Neuigkeit, als die Gladbacher nach ihrer überragenden Hinserie schon in ganz anderen Sphären verortet wurden und sich nach Ansicht des kundigen Publikums erst im Laufe der Rückrunde wieder auf dem Boden der Tatsachen einfinden sollten. Mit großer Skepsis war in der Winterpause darüber spekuliert worden, ob die Borussia ihre überraschenden Leistungen der Vorrunde würde bestätigen können. Eher nicht, lautete der Tenor. Und als dann auch noch Marco Reus und Roman Neustädter zum Sommer ihren Abschied ankündigten, brach das ganz große Wehklagen los.

Natürlich war die Nachricht ein Schlag gegen die Fantasie, die sich 35 Jahre nach Borussias letztem Meistertitel wieder leise regte. Auch Trainer Lucien Favre fühlte sich getroffen. „Ich bin ein Mensch“, sagte er. Aber die Deutung, dass bei der Borussia in Kürze alles auseinanderfliegt, darf nach dem Auftritt gegen die Bayern endgültig als überzogen gelten. Stürmer Mike Hanke jedenfalls wertete den Sieg gegen den Tabellenführer als Beweis, „dass wir einiges aushalten“.

Bayerns Trainer Jupp Heynckes prophezeit der Borussia schon jetzt, dass sie „sicher im nächsten Jahr europäisch spielt“. Dieses Urteil ist wohl nicht nur der Verbundenheit zu seinem alten Klub geschuldet; es lässt sich durchaus fachlich begründen. Die Bayern haben beide Saisonspiele gegen die Borussia verloren. In 44 gemeinsamen Bundesligajahren ist ihnen ein solches Missgeschick erst ein einziges Mal unterlaufen: in der Saison 1995/96, an deren Ende die Gladbacher Vierter wurden.

Borussias Spieler wirkten fast überrascht, dass sich alle von ihrer weiter guten Form überrascht zeigten. „Es gibt keinen Grund, dass wir aufhören, Fußball zu spielen, nur weil Winterpause ist“, sagte Patrick Herrmann. Nein, weiter geht’s, und Herrmann wird immer mehr zum Symbol für den neuen Fortschrittsglauben. Ob er der Spieler sei, der Marco Reus ersetzen könne, wurde Lucien Favre gefragt. „Er ist sehr schnell und vor dem Tor sehr gut“, antwortete Borussias Trainer, „aber ein Vergleich mit Marco Reus wäre im Moment übertrieben.“

Dabei sind die Parallelen offensichtlich. Herrmann spielt auf exakt der Position, die Reus noch bis vor wenigen Monaten besetzt hat, dazu ist er schnell, ballsicher und im Abschluss extrem kaltblütig. Gegen die Bayern sah sich Herrmann zweimal dem direkten Duell mit Manuel Neuer ausgesetzt: Beim ersten Mal traf er mit einem platzierten Schuss ins lange Eck zum 2:0, vor dem 3:0 umkurvte Herrmann den Nationaltorhüter auf leichten Sohlen. Nicht nur wegen seiner beiden Tore hinterließ der U-21-Nationalspieler sogar einen stärkeren Eindruck als Reus. Auch an dessen Treffer zum 1:0 war Herrmann beteiligt, indem er Neuer derart in Bedrängnis brachte, dass der den Ball Marco Reus genau in den Fuß spielte.

„Im Moment läuft’s ganz gut für mich“, sagte Herrmann nach seinen Saisontoren vier und fünf. Die spannende Frage aber wird sein, ob er nur von den Erfolgen der Mannschaft mit nach oben gespült wurde oder ob er auch per se stark genug ist, um einmal eine herausragende Rolle zu spielen wie Reus. Bei Roman Neustädter zeigt sich, welch positiven Effekt ein funktionierendes Team auf die Form eines Einzelnen haben kann. Der Mittelfeldspieler war einmal ein echtes Sensibelchen, das beim ersten Fehlpass in eine Sinnkrise verfiel. Inzwischen stolziert er mit durchgedrücktem Kreuz übers Feld und signalisiert seiner Umwelt: Ihr könnt mir gar nichts.

Mit dieser Haltung ist Roman Neustädter bei Borussia Mönchengladbach im Moment nicht allein.

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