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Sport: Botschafter in eigener Sache

Das Vertrauen in den jungen Mann scheint grenzenlos. In Dortmund ist es eben anders.

Das Vertrauen in den jungen Mann scheint grenzenlos. In Dortmund ist es eben anders. Da erzählt keiner, Sebastian Kehl sei wankelmütig und großmäulig. Dort zieht die Karawane der Aktiengesellschaft Borussia Dortmund zum Uefa-Cup nach Prag, und dem Neuen aus Freiburg sagt Pressesprecher Josef Schneck nebenbei, "wir haben beschlossen, dass du diese Woche für die Außendarstellung zuständig bist". "Kehli", wie sie ihn in Dortmund nennen, grinst dann bei der Computerfachmesse Cebit am Stand der BVB-Sponsoren in die Kamera, oder er "überzeugt sich von der ansprechenden Architektur des Dortmunder Flughafens", wie die PR-Abteilung des Regional-Airports mitteilt.

Kehl als Botschafter, da doch diesmal sogar Börsenkurse auf dem Spiel stehen? Die Wandlung zum Aushängeschild und Spieler mit Führungsanspruch trug sich in Dortmund in Windeseile zu. "Der hat eine beachtliche Ausstrahlung auf dem Platz", sagt Kapitän Stefan Reuter staunend. Kehl selbst redet als Rädchen im Kollektiv artig von den Wünschen der ganzen Mannschaft und "riskiert keine dicke Lippe" (Reuter). In Freiburg, bei seinem früheren Klub, hätten sie alle zur Cebit geschickt, nur nicht ihn. Der Junge habe es im tosenden Wechseltheater zwischen Bayern München und Dortmund mit der Wahrheit nicht so genau genommen, sagt Freiburgs Trainer Volker Finke. Und Manager Andreas Rettig war froh, als Kehl für 3,3 Millionen Euro in der Winterpause nach Dortmund ging, "weil er den ganzen Verein verrückt gemacht" habe, als er erst bei den Bayern zugesagt hatte und dann seine Meinung änderte.

Jetzt stehen die Freiburger vor dem Duell mit Dortmund, und Kehl steckt im Abstiegskampf. Es heißt, einer wie Kehl würde ihnen fehlen. "Die wollten unbedingt, dass ich gehe", sagt er. "Ich hätte mir vorstellen können, noch bis zum Sommer zu bleiben." Auch Wochen danach ist längst nicht alles ausgeräumt, was da an Missverständnissen und konträren Ansichten herumschwirrte. "Ich hoffe, die sehen mich als positive Erscheinung, die gerne an Freiburg zurück-denkt", sagt Kehl.

Am Ende seiner Freiburger Zeit haben viele in ihm neben dem lebenslustigen Kollegen auch den Selbstdarsteller gesehen, der sich in erster Linie um seine eigene Wirkung sorgt. All das habe ihn nachdenklich gemacht, sagt er. "Ich konnte wochenlang nichts mehr beeinflussen. Es gab so viele Unwahrheiten. Vielleicht war es gut, dass mir das jetzt passiert ist. Ich weiß nun besser, wie alles läuft." Trainer Matthias Sammer hat ihm erst einmal ein Interviewverbot gegeben. Vor dem ersten Training gab es noch abends im Hotel eine einstündige Einweisung in den Verhaltenskatalog des BVB. "Die Gespräche mit dem Trainer haben sehr gut getan", sagt Kehl. "Ich wollte mit Leistung alles gerade rücken." In München verstummten die Pfiffe, als Kehl das Duell mit Stefan Effenberg gewann. "Ich hoffe, in Freiburg wird es keine Pfiffe geben, und wenn doch, bin ich darauf vorbereitet, mich auf Fußball zu konzentrieren."

Wie nett der Junge aus Lahrbach sei, davon berichtete dann auch der Dortmunder Ältestenrat nach Kehls Antrittsbesuch. Bei der Fan-Delegierten-Tagung des BVB empfingen sie den Jungnationalspieler mit Jubel, und schon wird der geläuterte Luftikus mit den Größen vergangener Tage verglichen, die sein Vater Dieter früher als BVB-Anhänger "im Bus mit 50, 60 Leuten" regelmäßig im Westfalenstadion besuchen fuhr. "Führungsspieler? Ich gebe auf den Kram nichts mehr", sagt Sebastin Kehl. "Einen Tag bist du der Depp und dann wieder der King. Ich spiele Fußball und lese kaum noch Zeitung."

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