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Offizielles Wiegen: Wladimir Klitschko vs Ruslan Chagaev

© ddp

Box-WM auf Schalke: Nicht Teddy, sondern Tyson

Der Usbeke Ruslan Tschagajew will am Samstagabend mit dem Box-Kampf gegen Wladimir Klitschko berühmt werden. Er ist es gewohnt unterschätzt zu werden, denn er boxt unspektakulär - aber effektiv.

Er möge jetzt böse sein. Nur für ein paar Minuten. Ein grimmiger Blick und eine grollende Stimme sind gefragt. Ruslan Tschagajew steht mit nacktem Oberkörper vor einer grellgrünen Leinwand im Scheinwerferlicht und gibt sich redlich Mühe, so etwas wie den „Weißen Tyson“ zu mimen, denn das ist sein Kampfname, und der verpflichtet in gewisser Weise. Eigentlich nennen sie ihn hier, im Universum-Boxgym im Hamburger Stadtteil Wandsbek, anders: Teddy. Wegen seiner brummig-sanften Art und den braunen Knopfaugen. Das Kamerateam von RTL will aber nicht Teddy, sondern Tyson.

Ruslan Tschagajew gilt als der gefährlichste Gegner für Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko. Der Kampf der Superlative, der am Samstagabend  vor 60 000 Zuschauern im Gelsenkirchener Stadion über die Bühne geht (live bei RTL, Übertragung ab 22 Uhr), ist das logischste Duell, das das Schwergewicht derzeit zu bieten hat. In der unabhängigen Weltrangliste wird Tschagajew (30), der vom Weltverband WBA noch immer offiziell als „Weltmeister im Wartestand“ bezeichnet wird, hinter Wladimir Klitschko (33), der die Gürtel der IBF und WBO hält und dessen Bruder Witali (37/WBC-Titel) auf Rang drei geführt. Ob er heute seinen WBA-Titel aufs Spiel setzten darf, hatte der Verband bis gestern noch nicht entschieden.

Keine Sekunde habe Tschagajew gezögert, als das Angebot kam: „Das ist die Chance meines Lebens.“ Wer mit ihm spricht, ihm dabei in die Augen schaut, der merkt schnell, dass es nicht eine der üblichen Kampfansagen ist, sondern seine echte Überzeugung, wenn er sagt: „Ich habe gute Chancen, Klitschko zu schlagen. Ich glaube an den Sieg.“

Ungewöhnlich: Die  Rechte ist die Führhand

Den bestmöglichen Gegner wollte Wladimir Klitschko nach der Absage des Briten David Haye vor zweieinhalb Wochen für seine Titelverteidigung verpflichten. Das ist ihm gelungen und hoch anzurechnen. In Tschagajew (26 Kämpfe, 25 Siege, ein Remis) geht Klitschko aber auch das größtmögliche Risiko. Mit seinen 1,85 Metern und der geringeren Reichweite ist der Usbeke vom Volksstamm der Tartaren eigentlich wie gemacht für den Zweimetermann mit dem gewaltigen linken Jab – wäre da nicht die Rechtsauslage Tschagajews. Anders als die meisten Boxer schlägt der gelernte Sportlehrer die Rechte als Führhand. Klitschko musste sich innerhalb kurzer Zeit im Training umstellen. Tschagajew hingegen, dessen für 30. Mai angesetzte WM-Revanche gegen Nikolai Walujew kurzfristig abgesagt worden war, ist auf einen Gegner vorbereitet, der deutlich größer und schwerer ist als er. Ein Vorteil? „Das wird sich zeigen“, brummt Tschagajew. Er sei optimal präpariert. „Aber Wladimir ist schneller, technisch besser und schlägt härter als Walujew.“

"Ich habe viel durchgemacht. Deshalb fürchte ich im Ring nichts"

Als Underdog steigt Tschagajew ins Seilgeviert. Der Moslem, der mit einer armenischen Ärztin verheiratet ist und zwei Söhne hat, ist es gewohnt, unterschätzt zu werden. Das mag an seiner unauffälligen Erscheinung und zurückhaltenden Art liegen, zum anderen an seiner Kampfesführung. Tschagajew boxt anders als Mike Tyson eher unspektakulär, aber höchst effektiv. Er verfügt über eine gute Technik, Schlagkraft, kämpft taktisch diszipliniert, klug und mit einer fast stoischen Ruhe. Die größte Stärke Tschagajews, sagt sein Trainer Michael Timm, sei aber „Ruslans unbändiger Siegeswille. Er ist bereit, bis zum Umfallen zu kämpfen, auch wenn es weh tut.“ Das sei in der Lebensgeschichte seines Schützlings begründet. 2004 verlor Tschagajew seinen Vater, zwei Jahre später starb seine Mutter. Kurz vorher war der Sohn zu einem Kampf in den Ring geklettert, um mit der Börse eine 40 000 Dollar teure Herzoperation seiner todkranken Mutter zu finanzieren. Im vergangenen Jahr setzte ihn ein Achillessehnenriss monatelang außer Gefecht. Er dachte sogar ans Aufhören. „Ich habe viel durchgemacht im Leben, deshalb fürchte ich im Ring nichts“, sagt Tschagajew.

Nils Weber[Hamburg]

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