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Formvollendet. Tyron Zeuge mit einem Aufwärtshaken aus der Distanz.

© Settnik/dpa

Boxen: Tyron Zeuge will WM-Titel verteidigen: Ritter aus Neukölln

Der Berliner Tyron Zeuge ist aktuell der letzte deutsche Boxweltmeister – am Samstag geht es in Potsdam für ihn um alles.

Tyron Zeuge ist irgendwie ein Heinrich-Zille-Berliner – kess, schlagfertig, bengelhaft. Die Augen des 24 Jahre alten Boxers aus Neukölln blitzen frech, er lacht breit, in seinem Mund flitzt ein Kaugummi so schnell hin und her, wie seine Fäuste im Boxring. Das mit dem Kaugummi könnte man dem jungen Mann vielleicht als Unhöflichkeit auslegen, wo er doch auf dem Podium vor einem Dutzend Journalisten sitzt. Doch man neigt dazu, ihm es durchgehen zu lassen. Vermutlich ist er ein wenig nervös, so kurz vor seinem großen Kampf.

Am Samstag wird er in der MBS-Arena zu Potsdam seinen Weltmeistertitel nach WBA-Version im Super-Mittelgewicht zu verteidigen haben (22.50 Uhr/Sat. 1). Herausgefordert wird er vom bulligen Isaac Ekpo aus Nigeria. Auf Zeuge lastet ein gewaltiger Druck. Denn Zeuge ist der letzte verbliebene deutsche Boxweltmeister in einem der großen vier Weltverbände, sozusagen der letzte seiner Art. Und das, obwohl er noch als junger Hüpfer gilt. Er habe sich gewissenhaft auf diesen Kampf vorbereitet, sagt Zeuge und fügt keck hinzu: „Am Samstag gebe ich alles für den Sieg – ich tue das aber für mich und für niemand anderen.“

Unter der Woche, beim öffentlichen Training, dem „Public work out“, hat Zeuges Gegner ein paar Mätzchen gemacht. Der kräftige Mann aus Nigeria mit einer Knockout-Quote von 75 Prozent hat boxerisch nicht wirklich viel gezeigt. Es waren mehr hübsch angedeutete Schläge, die er in die Luft schlug. Bis der 34-jährige Ekpo sich plötzlich das T-Shirt auszog und seine Muskeln spielen ließ. „Sah einwandfrei aus, fast wie ich“, sagt Zeuge und kontert: „Muskeln sind nicht alles!“

Tyron sei stark, aber eben noch recht jung, sagt Kalle Sauerland

Damit hat der junge Neuköllner recht, doch seinem Promoter steckt neben einem feinen Einstecktuch auch ein wenig Mulmigkeit im Anzug. Eigentlich wollte man erst eine freiwillige Titelverteidigung bestreiten, doch der Weltverband hat gleich die Pflicht angesetzt. „Wir setzen auf Tyron, er ist nicht ohne Grund Weltmeister, aber er ist eben noch recht jung“, sagt Kalle Sauerland.

Der 40 Jahre alte Sohn von Boxstall-Gründer Wilfried Sauerland, 77, lenkt seit geraumer Zeit die Geschicke des größten deutschen Profistalls. „Eine Niederlage wäre eine Katastrophe“ für das Boxen in Deutschland, sagt Sauerland junior, der in London aufwuchs: „Ich sage, wie es ist, denn ich will kein Bullshiter sein.“

Im November vergangenen Jahres ist Tyron Zeuge an gleicher Stätte Weltmeister geworden. In einem packenden Kampf besiegte er den Römer Giovanni de Carolis durch Technischen K. o. in der zwölften Runde. Damit ist Zeuge nach Graciano Rocchigiani der zweitjüngste deutsche Weltmeister im Profiboxen überhaupt. Vor allem aber ist Zeuge eben der letzte Ritter des deutschen Boxens. Vor wenigen Wochen hatte der Berliner Jack Culcay seinen WBA-Gürtel im Mittelgewicht verloren – wie vor ihm auch die ehemaligen Aushängeschilder Arthur Abraham und Jürgen Brähmer.

Letzterer verlor seinen Titel im vorigen Herbst verletzungsbedingt und bekommt seinen Rückkampf vermutlich im Frühsommer. Doch der 38-Jährige hat binnen nicht mal einen Jahres Tyron Zeuge zum WM-Titel geführt – als Aktiver, eine Seltenheit.

Klingeln gehört zum Geschäft, gerade und erst recht im Berufsboxen

Man habe sich zwölf Wochen lang und in mehr als 150 Sparringsrunden intensiv auf den Kampf vorbereitet, deshalb sei man ganz entspannt, sagt nun Jürgen Brähmer: „Isaac wird sich ganz schön erschrecken. Ruft Tyron sein Potenzial ab, kann nichts passieren.“

Klingeln gehört zum Geschäft, gerade und erst recht im Berufsboxen. Insofern ist es schade, dass es Isaacs gewiefter Manager, die inzwischen 85 Jahre alte Promoter-Legende Don King, es nicht möglich machen konnte vorbeizuschauen. Die Gesundheit des Großmeisters des Trash Talk mache es derzeit nicht möglich, sagt Theodore Singleton. Der Entsandte des King-Clans wedelt nun stellvertretend mit den Fähnchen der USA und Nigerias, wie es zum Markenzeichen des schrillen King geworden ist. Er erzählt ein wenig über die beschwerliche Anreise seines Boxers über Ghana und der Türkei nach Berlin. Isaac hört nickend zu und schiebt seine weiße Strickmütze zurecht. Aber natürlich gehörte Mister Singleton nicht zum Clan des Box-Paten, würde er nicht in bester King-Art einen prahlerischen Satz über seinen Schützling zurücklassen: „Niemand möchte mit diesem Biest in den Ring steigen.“

Biest hin oder her, von 33 Kämpfen verlor Isaac Ekpo nur zwei. Einen davon bei seinem bisher letzten Deutschland-Besuch vor knapp vier Jahren in Leipzig gegen Robert Stieglitz.

Etwas deutlicher wird Stacey McKinley – als Trainer eine ziemliche Nummer im Weltboxen. Er sekundierte einst Mike Tyson, als dieser 1995 aus dem Knast kam sowie andere Weltmeister wie Tony Tucker, Ray Mercer und Shannon Briggs. Nun ist er kurzfristig Isaac Ekpo zur Seite gesprungen. Das komplette Gewicht des deutschen Boxen liege auf Zeuges Schultern, sagte er und wiegt seinen Kopf hin und her. Zeuge sei ein toller Junge, gut ausgebildet, aber Isaac sei eben erfahren und schlage aus merkwürdigen Winkeln. „Stilistisch kann das für einen wie Tyron, der aufs saubere Boxen Wert legt und technisch beschlagen ist, ein sehr gefährlicher Kampf werden“, murmelt McKinley. Allerdings könne er den jungen Deutschen aus Berlin auch beruhigen: „Er wird nach dem Kampf wieder aufstehen und zurückkommen.“

Tyron Zeuge hört sich das brav an, er muss diese Ansichten nicht teilen, doch der Kaugummi saust nicht mehr so sorglos in seinem Mund umher. Ach was, mischt sein Trainer Jürgen Brähmer sich ein und sagt: „Wir sind in allen Belangen stärker.“

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