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Hoch überlegen. Meist drückte der zehn Zentimeter größere Wladimir Klitschko ohne Grund seinen Kontrahenten Alexander Powetkin nach unten. Foto: AFP

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Boxen: Wladimir Klitschko: Dominant? Ja! Brillant? Naja!

Wladimir Klitschko bleibt der dominierende Mann im Schwergewichtsboxen. Nach dem Sieg über den Russen Alexander Powetkin gibt es dennoch kritische Stimmen - auch vom ukrainischen Champion selbst.

Der für Wladimir Putin reservierte Ehrenplatz in der ersten Reihe blieb leer. Als hätte er es geahnt, ersparte sich der russische Präsident die Schmach, vor Ort zuzuschauen, wie sein so patriotischer Landsmann von einem Ukrainer nach Strich und Faden verprügelt wurde. Schiere Tapferkeit, die einzige Tugend, die Alexander Powetkin, 34, zwölf Runden lang gegen den dominanten Wladimir Klitschko, 37, zu bieten hatte, ist für einen Macho wie Putin keine Ruhmestat.

Dabei versäumte es der so souveräne Weltmeister im Schwergewicht nach vier Niederschlägen, einem in der zweiten, drei in der siebten Runde, seine Überlegenheit mit dem Knock-out zu toppen. Worüber sich der Champion selbst am meisten ärgerte: „Es klingt wahrscheinlich nicht cool. Aber ich hätte es besser machen können“, sagte Klitschko.

Und es klingt grotesk, nach einem so klaren Punktsieg (119:104) den Schönheitsfehler hervorzuheben: Das ständige Auflehnen Klitschkos auf den permanent geduckt angreifenden Powetkin. Diese Ringerszenen nahmen dem Boxkampf die Klasse. Der fehlende Punkt zu den maximalen 120 resultierte allein aus einer Verwarnung von Ringrichter Luis Pabon (Puerto Rico) in der 11. Runde. Dennoch: „Ich bin nicht besonders beeindruckt von Wladimir. Ich hatte mehr von ihm erwartet. Er hat seine Rechte nicht gebracht“, nörgelte Ex-Weltmeister Lennox Lewis, 48. „Ich verstehe nicht, warum Wladimir bei seiner Überlegenheit sich andauernd auf Powetkin gelehnt hat, anstatt ihn wegzuschieben und auszuboxen.“

Das tat Klitschko in der mit 14 000 Zuschauern ausverkauften Olympiahalle natürlich auch. Fast im Ali-Stil umkreiste der 109,6 Kilo schwere Ukrainer mitunter leichtfüßig tänzelnd seinen zwar unentwegt, aber hilflos angreifenden Gegner (102,4 Kilo) und bearbeitete dessen Kopf mit seinem florettartigen linken Jab. Das russische Publikum stöhnte auf, die ukrainischen Fans jubelten, wenn in den Rundenpausen auf den Videotafeln über dem Ring die Treffer in Zeitlupe wiederholt wurden: Powetkins Gesicht verformte sich, der Kopf flog nach hinten, Schweißperlen spritzten durch die Luft.

Mit verbeultem Gesicht gratulierte Powetkin nach seiner ersten Niederlage im 27. Profikampf seinem Bezwinger. „Er war stärker, Wladimir ist nun einmal momentan der Beste auf der Welt.“ Sprach’s im Ring und wurde – wie es hieß – ins Krankenhaus gebracht. Der introvertierte Russe war seinem Gelübde treu geblieben: „Ich werde bis zum bitteren Ende kämpfen.“ George Foreman, 64, neben Lewis der zweite Ex-Olympiasieger und Ex-Weltmeister unter der Prominenz am Ring, machte dem Besiegten Komplimente: „Powetkin geht als Held aus dem Ring. Er hat nicht gewonnen, aber so möchte ich jemanden kämpfen sehen.“

Der zweite Schönheitsfehler wurde nachts um Viertel vor drei sichtbar: Ein geschwollenes rechtes Jochbein. „Da habe ich nicht aufgepasst“, sagte Klitschko. Immerhin: Für ihn, den seit über neun Jahren unbesiegten Herkules, waren es leicht verdiente 17,5 Millionen Dollar. Er behält seine drei wichtigen WM-Titel (WBA, IBF und WBO).

Mit Alexander Powetkin hat Wladimir Klitschko den letzten ernst zu nehmenden Herausforderer der von ihm und seinem Bruder Witali, 42, ausgedünnten Schwergewichtsszene ad acta gelegt. Er fühle sich mit 37 besser als mit 27, hatte er vor dem Kampf gesagt. Vermutlich wird er noch lange die Szene beherrschen.

Hartmut Scherzer

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