zum Hauptinhalt
Boxen

© ddp

Boxen: Wucht schlägt Willen

Arthur Abraham bleibt Weltmeister im Mittelgewicht, weil im Boxen manchmal auch die Kraft zählt.

Berlin - Die Sanitäter gingen leer aus. Nachdem Khoren Gewor regungslos unter den Ringseilen gelegen hatte, hockte er völlig benommen in seiner Ringecke. Trotzdem verschmähte der schwer ausgeknockte Boxer die Bahre und schickte die Sanitäter aus dem Ring. Zehn Runden lang hatte er sich tollkühn, bisweilen die Grenzen der Vernunft ignorierend, dem schlagstarken Weltmeister Arthur Abraham in den Weg gestellt, ehe er nach dem finalen Schlag erst in die Knie sackte und schließlich rücklings wegkippte. Nach Minuten hektischer Betriebsamkeit der Betreuer und Ringärzte stand Gewor schließlich auf und verließ halbwegs aufrecht, aber wie auf fremden Beinen den Ring. Es war der letzte Willensakt des 28-Jährigen nach einer Ringschlacht, die in ihrer Intensität selbst für Betrachter fast unerträglich war.

Die Intensität hing auch Arthur Abraham nach. Der Weltmeister im Mittelgewicht brauchte ein paar Kunstpausen, um sich ein Jubeln in sein gezeichnetes Gesicht zu zaubern. Bedenklich wankte er auf den Schultern seines Bruders, ehe er japsig ein paar markige Worte an die 6000 Zuschauer in der Max-Schmeling-Halle richtete: „Wer meinen Titel will, muss bestraft werden.“

Der Kampf war eine Strafe – für beide. Gewor präsentierte sich sehr beweglich, schlug im Takt einer Nähmaschine, traf aber vornehmlich die Deckung des Weltmeisters. Wie eine lästige Mücke umschwirrte Gewor den Champ. Er setzte Abraham ruhelos zu. Dessen Taktik bestand darin, den Herausforderer sich austoben zu lassen, ehe er, jeweils zum Rundenende hin, mit harten Händen Eindruck hinterlassen wollte. Immer wieder trieb Gewor den Weltmeister in die Ecke, deckte ihn mit Schlägen ein. Allein es fehlte dem einzelnen Schlag an Wucht, nur so war zu erklären, dass der vor einem Jahr doppelt gebrochene Kiefer hielt. Der Professor, der Abraham damals zwei Titanplatten samt 22 Schrauben in den Kiefer gepflanzte hatte, überzeugte sich noch in der Kabine von der Unversehrtheit des operierten Gesichts. Während Gewor auf die Summe seiner Treffer setzte, verließ sich Abraham auf die pure Wucht seiner wenigen Schläge. Zehn Runden lang konnte er sich seinen widerspenstigen Herausforderer nicht vom Hals halten. Denn selbst nach den härtesten Schlägen stand Gewor wie unverändert vor ihm. Bis in jene elfte Runde hinein.

Dem finalen Schlag vorausgegangen war ein rücksichtsloser Schlagabtausch mit Treffern auf beiden Seiten. Als Gewor einer rechten Hand Abrahams ausgependelt und wieder aufgetaucht war, erwischte ihn ein linker Haken. Es war eine eher instinktiv geschlagene Linke Abrahams, die Gewor den Kopf bedenklich über die Schulterlinie drehte und die Besinnung raubte. Sicherheitshalber wurde Gewor nach dem Niederschlag in ein Krankenhaus zur Computertomographie gefahren. Die Ärzte diagnostizierten eine schwere Gehrinerschütterung, in den Morgenstunden wurde der Boxer auf eigene Verantwortung aus der Klink entlassen.

„Arthur, das war dein härtester Kampf, stimmts?“, keuchte Abrahams Trainer Uli Wegner in der Nacht. „Wir sind froh, dass wir gewonnen haben. Wir brauchen den Weltmeister mehr als ihr.“ Ihr, das sind Gewors Trainer Fritz Sdunek und die Hamburger Universum-Box-Promotion, bei der ein halbes Dutzend Weltmeister unter Vertrag ist.

Sdunek hatte mehrmals überlegt, seinen Schützling aus dem Kampf zu nehmen. Nach der achten und nach der zehnten. „In der Pause vor der K.-o.-Runde bat mich Khoren, es noch einmal probieren zu dürfen.“ Was sein Boxer an Nehmerqualitäten bewiesen habe, „ist nicht mehr gesund“, sagte ein nachdenklicher Trainer. Dann fügte er hinzu: „Abraham ist ein starker Champion.“

Der will jetzt Super-Champion im Mittelgewicht werden. „Und dann steige ich eine Gewichtsklasse hoch“, sagte Arthur Abraham, ehe er sich in den Urlaub an die Côte d’Azur begab. Sein Manager Wilfried Sauerland strebt einen Kampf gegen den US-Amerikaner Jermain Taylor an, den Champion der Konkurrenzverbände WBC und WBO. Vermutlich ist dieser Kampf erst 2008 und nur in den USA realisierbar. „Aber die boxerische Heimat von Arthur bleibt Deutschland, bleibt Berlin“, sagte Sauerland.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false