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Evander

© dpa

Boxen: Zwei Fäuste auf Zeitreise

Evander Holyfield ist 46, er boxt seit 38 Jahren - am Samstag gegen Weltmeister Nikolai Walujew.

Berlin, im Winter 2008: Evander Holyfield lümmelt hinter dem Podiumstisch wie einst Günter Schabowski im Mauerfallnovember. Holyfield blinzelt und guckt und redet wie eine historische Figur. Vor ihm sitzen Leute, die wissen wollen, warum er wieder boxt. Oder immer noch. Holyfield hat vier Mal die Krone im Schwergewicht gewonnen. Und er ist 46 Jahre alt. Durch seine Worte schleppt sich Müdigkeit. Das kann am Flug liegen, der Holyfield in den Knochen steckt. Vielleicht aber auch an den Strapazen der vielen Kämpfe, die er in den zurückliegenden 38 Jahren bestritten hat. "Ich will Geschichte schreiben und der älteste Weltmeister aller Zeiten werden", sagt Holyfield. Heute kann diese Geschichte wahr werden, wenn er in Zürich Nikolai Walujew (22.25 Uhr, ARD) herausfordert.

Der älteste Weltmeister aller Zeiten. Das ist das Problem - weil es heutzutage keine richtigen Weltmeister mehr gibt in der Königsklasse des Boxens. Deswegen muss er wieder ran. Oder immer noch. Für PR-Strategen ist es ein Duell der Superlative: Holyfield, der letzte seiner Art, trifft auf den längsten Weltmeister aller Zeiten, WBA-Titelträger Walujew, der 2,13 Meter misst. Holyfield könnte den Altersrekord von George Foreman brechen, der 1994 Michael Moorer im Alter von 45 Jahren besiegt hatte. Wenn das heute gelingt, erreicht die einzigartige Zeitreise eines Boxers einen neuen Höhepunkt.

Atmore (US-Bundesstaat Alabama), im Oktober 1962: Evander Holyfield kommt als jüngstes von acht Kindern zur Welt. Sie werden von der Mutter aufgezogen. Mit acht bearbeitet er zum ersten Mal einen Sandsack, den es in der Nachbarschaft gibt. Eigentlich will er Footballer werden, wechselt aber zum Boxen. Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles scheint ihm die Goldmedaille niemand nehmen zu können. Im Halbfinale verabreicht er dem Neuseeländer Barry eine Tracht Prügel. Den entscheidenden Schlag aber setzt er nach einem Break-Kommando des Ringrichters an. Wegen Nachschlagens wird Holyfield disqualifiziert und muss sich mit Bronze zufriedengeben. Anschließend wechselt er zu den Profis.

Las Vegas, im Oktober 1990: In seinem 25. Profikampf kriegt er James "Buster" Douglas vor die Fäuste, der zuvor den schlampig vorbereiteten Superchamp Mike Tyson vom Thron gehämmert hatte. "Warrior" Holyfield braucht drei Runden, um Douglas die WM-Gürtel der Verbände WBC, WBA und IBF abzujagen. Anschließend schlägt der "Krieger" eine Garde der alternden Stars wie George Foreman und Larry Holmes, die schon gegen Muhammad Ali boxten. Schließlich verliert Holyfield im November 1992 die Titel an Riddick Bowe. Ein Jahr später schlägt er Bowe und holt sich die Titel zurück.

Las Vegas, im November 1996: In der Spielerstadt kommt es zum lang ersehnten Showdown mit Mike Tyson, der infolge seiner Haftentlassung den WBA-Titel zurückerobert hatte. Nachdem ein sehr beweglicher, unerschrockener Holyfield die ersten Runden gegen den als unbesiegbar geltenden Tyson übersteht, kippt der Kampf ab der sechsten Runde, als er Tyson das erste Mal zu Boden schickt. Holyfield gelingt die Sensation, in der elften Runde ist Tyson am Ende. Damit ist Holyfield nicht nur ein steinreicher Mann, sondern nach Muhammad Ali der zweite Boxer, dem es gelungen ist, dreimal Weltmeister im Schwergewicht zu werden. Zum Revanchekampf kommt es ein halbes Jahr später, wieder in Las Vegas. Wieder erregt der Kampf weltweite Aufmerksamkeit: Im Verlauf der ersten beiden Runden verliert Tyson die Kontrolle. In der dritten Runde beißt er Holyfield ein Stückchen vom Ohr ab und spuckt es nach einem Weilchen auf den Ringboden aus. Tyson wird für ein Jahr gesperrt. Nachdem Holyfield die Titel 1999 an Lennox Lewis verliert, ergibt sich 2000 eine erneute Titelchance. Holyfield schlägt seinen Landsmann John Ruiz und wird zum vierten Mal Weltmeister, was ihm den Spitznamen "The Real Deal" einbringt. Der "einzig Wahre" verliert aber den Rückkampf gegen Ruiz.

Atlanta, bis heute: Als Holyfield drei Jahre alt ist, verlässt die Familie die Kleinstadt Atmore und geht nach Atlanta. Holyfield, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt, hat in seiner Karriere mehr als 300 Millionen Dollar erboxt. Allerdings lebt er auf großem Fuß. Seit Jahren bewohnt er in Atlanta ein 5000 Quadratmeter großes "Haus", das einem Loire- Schloss nachempfunden ist: 17 Badezimmer, Bowlingbahn, Garagenpark für zehn Autos und ein 135-Personen-Kino inklusive. Heute hat der bibelfeste Holyfield offiziell elf Kinder von fünf Frauen. Angeblich ist ihm nicht mehr viel Geld geblieben. "Es gibt viele Geschichten über mein Leben, über meine Finanzen. Ich mache das nicht des Geldes wegen. Ich will noch einmal Weltmeister werden, und ich danke Gott für diese Chance", sagt Holyfield jetzt in Zürich.

New York, im November 2004: Nach einem Kampf gegen Larry Donald, bei dem Holyfield einen schlechten Eindruck hinterlässt, entzieht ihm die Boxbehörde die Lizenz. Man wolle ihn vor sich selbst schützen, heißt es. Immer mal wieder ist Holyfield zurückgetreten und wiedergekommen. Einmal hieß es, er habe einen Herzfehler. Dann sagen Kritiker, er sehe nicht mehr richtig, habe keine Reflexe mehr. Und schließlich gibt es Dopinganschuldigungen, die nie bewiesen werden. Auf die Frage nach der fehlenden Lizenz antwortet er: "Mal war sie weg, jetzt ist sie wieder da." Im November dieses Jahres unterzieht er sich in Bayreuth einem fünfstündigen Medizincheck. Hinterher bescheinigen ihm die Ärzte "uneingeschränkte Boxtauglichkeit". Holyfield habe Werte wie ein 35-Jähriger, tönt dessen Manager Kenneth Sanders. "Er ist ein besonderer Mensch." Seinen bislang letzten Titelkampf hat Holyfield vor einem Jahr gegen den Titelträger Sultan Ibragimow verloren. Er bleibt chancenlos.

Berlin, im Winter 2008: Ein wenig reizt es ihn, dass er immer wieder auf sein Alter angesprochen wird. "Ich bin 46 und kann tun, was ich will", sagt Holyfield. Seine Stimme klingt wie die einer Soullegende. Holyfield ächzt die Worte. "In diesem Kampf kommt es nicht auf das Alter an, sondern auf Spirit, also darauf, seine Individualität durchzubringen." Nikolai Walujew, der die ganze Zeit stumm wie ein Baum geblieben ist, will auch mal etwas sagen. In Russland gebe es ein Sprichwort, brummt der Riese aus St. Petersburg: "Seine Fähigkeiten kann man nicht versaufen. Und da ich davon ausgehe, dass Evander nicht trinkt, wird er seine Fähigkeiten nicht verloren haben." Immer noch nicht.

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