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Den Kampf im Blick. Marco Huck kann am Samstag in Dortmund gegen den Letten Mairis Briedis den WBC-Titel im Cruisergewicht holen.

© Nordphoto/Imago

Boxer Marco Huck: Braunlage statt Las Vegas

Cruisergewichtler Marco Huck musste noch einmal von vorn anfangen – am Samstag kann er wieder zum WBC-Champion werden.

Als Ulli Wegner um die Ecke biegt, liegt Marco Huck im Hochring auf dem Rücken und macht Sit-ups. Als Huck den besonderen Gast zwischen den Schaulustigen erblickt, rollt er nach links ab, streckt seinen Kopf durch die Seile und drückt Wegner ein Küsschen auf die Stirn. Der 74 Jahre alte Boxtrainer ist gerührt, er rückt seinen Schal zurecht und sagt: „Das Wichtigste ist, dass Marco seine Verteidigung in den Griff kriegt.“

Marco Huck, den Wegner zehn Jahre lang trainiert und gleichwohl durchs Leben gelenkt hat, klettert am Samstag in den Ring der Dortmunder Westfalenhalle (22.45 Uhr/RTL). Dort setzt der Cruisergewichtler gegen den schlagstarken Letten Mairis Briedis nicht nur seinen Titel des eher wenig bedeutenden Verbandes IBO aufs Spiel, sondern kann den prestigebeladenen Gürtel des WBC gewinnen. Dann wäre er wieder ein richtiger Champion, einer, der er sechs Jahre lang schon einmal war.

In den vergangenen zwei Jahren ist dem 32-Jährigen einiges dazwischengekommen. Im Herbst 2014 hatte er sich von Sauerland Event getrennt und seine Karriere in die eigenen Hände genommen. Huck gründete wie die Klitschkos zuvor seine eigene Firma, die „Huck Sports Promotion“. Doch sein erster WM-Kampf in Eigenregie ging in die Hose. In Newark (New Jersey) unterlag er dem Polen Krzysztof Glowaki, den er normalerweise aus den Stiefeln gehauen hätte. Eigentlich wollte Huck als WBO-Champion Amerika erobern, das Mekka des Boxens. „Das Dümmste war, dass ich mich sechs Wochen lang in der Gluthitze von Las Vegas vorbereitet habe“, erzählt Huck. Es ist nur die eine Hälfte der Wahrheit, denn die Trennung von Sauerland Event bedeutete auch die Trennung von Trainer Ulli Wegner. Jetzt hat Huck sich im Harz vorbereitet, in Braunlage.

Huck musste von vorn anfangen und ging den harten Weg. Im Februar 2016 schlug er Ola Afolabi und wurde IBO-Weltmeister. Dieser Titel ist nicht die Welt, aber immerhin einer. Ohne Titel gibt es keine Aufmerksamkeit und keine großen Gagen. Im vorigen November verteidigte er den Titel erfolgreich gegen den Ukrainer Dmitro Kutscher – trotz eines Bruchs des Mittelhandknochens in der vierten Runde.

Seit Anfang Februar lässt Huck sich von Oktay Urkal trainieren. Der inzwischen 47 Jahre alte Berliner war selbst Europameister bei den Profis. Ulli Wegner sagt: „Er ist der erfolgreichste Amateurboxer, den ich je hatte.“ 1996 holte Oktay die olympische Silbermedaille bei den Spielen von Atlanta – mit Wegner in der Ringecke. Auch Urkal herzt Wegner, den er immer noch „mein Trainer“ nennt. „Beide haben Persönlichkeit“, sagt Wegner. Der eine, Urkal, solle als Trainer am besten das ausbauen, was der andere, Huck, am besten kann. „Ihn daran erinnern, ihn stabilisieren!“, lautet der Rat des Altmeisters.

Ulli Wegner hat auch schon andere Sätze über Huck gesagt. Er hat ihn einmal für untrainierbar erklärt und als einen beschrieben, der mit dem Erfolg nicht umgehen könne. Viele Jahre hat Wegner das mitunter schwer beherrschbare Ungetüm streng geführt.

Marco Huck ist ein eigenwilliger, aber auch offener und gradliniger Mann. Auf die Frage, womit er sich nach Kämpfen verwöhne, antwortete er einmal: „Mit dem Ausschlafen danach.“ Er hat dem Tagesspiegel damals seine Geschichte erzählt, wie sein Vater ihn selbst noch im Urlaub geweckt habe, um sieben in der Früh. Er solle aufstehen und laufen: „Guck mal deine Muskeln, die sind so schlaff geworden. Tu was!“

Man muss dazu die Geschichte kennen. Marco Huck ist im November 1984 in Ugao, einer Gemeinde im frühere Jugoslawien, heute Serbien, als Muamer Hukic geboren. Er ist bosniakischer Abstammung. 1993 floh seine Familie nach Deutschland. Zuerst mit dem Bus von Novi Pazar nach Tschechien. Ein erster Versuch mit Schleusern durch den Wald scheiterte, es folgten drei Nächte im Gefängnis in Teplice. Der zweite Versuch klappte, mit dem Auto. Huck sagt: „Mutter und Vater vorn, wir Kinder alle im Kofferraum des Kombis, das vergisst man nie.“

2009 wurde Marco Huck WBO-Weltmeister und Deutscher Staatsbürger

Es ging nach Bielefeld, Asylbewerberheim, ein Zimmer für alle, der Vater war damals 33, Sohn Marco acht. Der Vater erhielt lange keine Arbeitserlaubnis, obwohl er eine Firma hatte, die ihn einstellen wollte und das schriftlich hinterlegte. Die Zeit verging, die Familie kam durch. „Immer wenn ich oben im Ring stehe, wenn ich mich überwinden muss, denke ich daran, was für ein großer Mann mein Vater ist“, erzählt Huck. 2004 nahm ihn Ulli Wegner im Boxgym auf, gab ihm eine Chance, „Er hat mich aus dem Nichts geholt. Das werde ich ihm nie vergessen“, sagt Huck. 2009 wurde er WBO-Weltmeister und Deutscher Staatsbürger.

Marco Huck sitzt am Tisch eines Restaurants in Charlottenburg und streicht sich über den Rücken seiner rechten Schlaghand. Die ist zuletzt im November zu Bruch gegangen. Er sei gerade beim Arzt gewesen, zum Röntgen. „Alles ist prima verheilt“, berichtet Huck und sagt: „Jetzt kann ich die letzten schweren Gedanken beiseiteschieben.“ Huck kann also wieder hauen.

Derweil erzählt Oktay Urkal aus dem Trainingsalltag. Und damit den Wandel Hucks. Dieser habe sich nie über das hohe Pensum beschwert. „Er will wirklich wieder ganz nach oben, das sehe ich in seinen Augen.“ Beide kennen sich aus gemeinsamen Jahren in der Trainingsgruppe Wegners im Sauerland-Gym. Diese Schule wollen sie nicht verleugnen. „Einen besseren Lehrmeister gibt es nicht“, sagt Urkal. Mit Huck habe er eine Vereinbarung, die bis zum 1. April, dem Kampftag geht. „Dann bin ich frei, und er ist es auch. Mal sehen, was kommt“, sagt Urkal.

Als Schützling sei Huck ein wenig komplizierter als andere, die er bisher hatte, „aber hey, er war ja schon ganz oben“, sagt Urkal. Er wolle jetzt noch an Kleinigkeiten arbeiten. „Er muss mir vertrauen“, sagt Urkal noch, denn der Gegner sei ein ganz schöner Brocken. 300 Runden des Letten habe er studiert, „es sind so viele, ich glaube, mein Laptop will die nicht mehr zeigen“. Selbst dessen Kämpfe, die er noch als Kickboxer bestritten hat, habe er sich angesehen. Sein Schützling hat nicht einen gesehen. Die Videoanalyse überlässt er seinem Trainer. „Ich muss nur wissen, ob er ein Links- oder Rechtshänder ist, das reicht mir“, sagt Huck und schiebt nach, rechtzeitig einzuschalten: „In jeder Runde kann es vorbei sein.“

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