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Brasilianische Fans gehen nicht nur beim Beachvolleyball emotional mit.

© AFP

Brasiliens Fans bei Olympia: „Es ist nicht bösartig gemeint“

Sportanthropologe Martin Curi spricht im Interview über die Lust der brasilianischen Fans, bei Olympia in Rio laut und emotional zu sein.

Herr Curi, bei diesen Olympischen Spielen wird gebuht, Sportler werden ausgepfiffen, sogar beim Tennis, Fechten oder Stabhochsprung. Warum?

Brasilien ist eben kein olympisches Land wie die USA, sondern eine Fußballmonokultur. Das heißt: Du unterstützt dein Team und versuchst dem Gegner zu schaden. Beim Stabhochsprung ist so eine Stimmung sicher eher selten, und es kann unfair wirken. Es ist aber nicht bösartig gemeint. Es hat auch viel mit der Lust der Brasilianer zu tun, laut zu sein und Emotionen auszudrücken. Es gibt keine richtige oder falsche Art, Fan zu sein. So feiert man hier. Und wenn man sich nicht entscheiden kann, wie beim Boxkampf zwischen einem Aserbaidschaner und einem Kasachen, dann jubelt man dem brasilianischen Schiedsrichter zu.

Ansonsten unterstützt das Publikum in Rio prinzipiell die Schwächeren, mögen sie ihnen auch noch so fremd sein. Wieso?

Die Brasilianer betrachten sich als Außenseiter, insbesondere im Vergleich mit Europäern oder US-Amerikanern. So finden sie sich wieder im angolanischen Frauenhandballteam, dem übergewichtigen Schwimmer aus Äthiopien oder den Rugbyspielern aus Kenia. Eine weitere Besonderheit ist das Verhältnis zum Nachbarn und Erzrivalen Argentinien. Sportler von dort haben einen schweren Stand. Aber auch die Argentinier provozieren die Brasilianer, wann immer sie können. Das Internationale Olympische Komitee wollte Olympia in Südamerika populärer machen – jetzt kriegt es eben südamerikanische Spiele.

Es fällt auf, dass kein Spiel und kein Wettkampf ausverkauft ist. Selbst als Usain Bolt zum 100-Meter-Finale antrat, blieben Sitze leer. Woran liegt das?

Es liegt an den Ticketpreisen, die bei der Leichtathletik umgerechnet zwischen 100 und 300 Euro liegen. Selbst wenn die billigsten Tickets für andere Wettkämpfe nur 13 Euro kosten, so kann sich das eine Familie mit bescheidenem Einkommen nicht leisten. Man muss ja noch die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr zahlen. Für 50 Prozent der Brasilianer ist das nicht drin, vor allem inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise. Es ist ähnlich wie bei der Fußball-WM. Das Publikum in den Arenen gehört größtenteils der weißen Oberschicht an.

Martin Curi, 40, ist Anthropologe mit dem Schwerpunkt Sport und Fankultur. Der gebürtige Freisinger lebt seit 14 Jahren in Brasilien, wo er an der Bundesuniversität UFF in Rio forscht und lehrt.
Martin Curi, 40, ist Anthropologe mit dem Schwerpunkt Sport und Fankultur. Der gebürtige Freisinger lebt seit 14 Jahren in Brasilien, wo er an der Bundesuniversität UFF in Rio forscht und lehrt.

© Lichterbeck

Wie werden die Spiele von Rio im Rest Brasiliens wahrgenommen?

Nur am Rande. Ich war vor einigen Tagen im Nordosten des Landes. Dort ist es den meisten Menschen egal, ob die Spiele in London, Tokio oder Rio de Janeiro stattfinden. Die gefühlte Distanz ist die Gleiche. Sobald ein Fußballspiel der brasilianischen Liga läuft, wird der Fernseher in den Kneipen sofort umgeschaltet. Die brasilianische Liga wurde ja nicht ausgesetzt. Man kann Ähnliches auch in Rio beobachten. Wenn eins der vier großen Teams aus Rio spielt, hat Olympia in den meisten Bars keine Bedeutung mehr, besonders in den einfachen Vierteln.

Vor den Spielen gab es Aufrufe, Olympia abzusagen, unter Verweis auf die Gefahr des Zika-Virus’. Wie sehen Sie das nun?

Es war reine Panikmache. Ich bin kein Mediziner, aber ich wusste, dass es im August in Rio keine Moskitos gibt. Es ist ein Muster zu beobachten: Wenn Spiele in Europa oder den USA stattfinden, hat man keine Zweifel, das alles klappen wird. Sobald sie in die Peripherie wandern, bricht Hysterie aus. Sobald der sportliche Teil beginnt, sind diese dann schlagartig vergessen. Ich finde vor dem Hintergrund der Vorhersagen, dass Olympia in Rio eine Katastrophe werden würde, laufen diese Spiele bisher ziemlich gut.

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