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Protestwand. José Marin, Präsident des brasilianischen Fußball-Verbandes, steht inzwischen nicht mehr nur wegen umstrittener Infrastrukturprojekte in der Kritik. Foto: Reuters

© REUTERS

Sport: Brasiliens Filbinger-Problem

Fußballverbands-Chef Marin agitierte 1975 gegen einen Journalisten, der später zu Tode gefoltert wurde.

Rio de Janeiro - „Raus, Marin!“ Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis José Marin seinen Posten als Chef des Organisationskomitees für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien räumt. Die Liste seiner Gegner reicht mittlerweile von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff über die großen Zeitungen des Landes bis hin zum Weltverband Fifa. In den Stadien hängen Transparente mit dem Aufdruck: „Fora Marin!“ Marin raus!

Ob der 80-Jährige nach einem möglichen Rücktritt noch als Präsident des brasilianischen Fußballverbands CBF haltbar ist, wird bereits jetzt diskutiert. Marin hat während der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 eine dubiose Rolle gespielt. Brasilien hat nun ein Problem, wie es Deutschland Ende der siebziger Jahre mit Hans Filbinger hatte, dem damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der in der NS-Zeit als Marinerichter Todesurteile unterschrieben hatte.

Die Vorwürfe gegen Marin reichen 38 Jahre zurück. Er soll 1975 als Politiker im Landesparlament von São Paulo dazu beigetragen haben, dass der Fernsehjournalist Vladimir Herzog verhaftet und zu Tode gefoltert wurde. Marin gehörte damals der Arena-Partei an, dem demokratischen Feigenblatt der Militärjunta. In einer Parlamentsrede im Oktober 1975 nahm Marin den Fernsehsender TV Cultura ins Visier, weil dieser einen Beitrag über Ho Chi Minh gebracht hatte. Der Direktor von TV Cultura hieß Vladimir Herzog. Er hatte die Reportage über den vietnamesischen Revolutionär von der BBC übernommen, für die er selbst drei Jahre lang gearbeitet hatte.

Marin sagte damals: „Es geht nicht nur darum, was sie veröffentlichen, sondern um die Unruhe, die sie in politischen Kreisen und in den Familien São Paulos provozieren.“ Er appellierte an die staatlichen Autoritäten, endlich etwas zu unternehmen und schloss seine Rede mit den Worten: „Es ist notwendig zu reagieren, damit wieder Ruhe in diesem Hause sowie den Heimen São Paulos einkehrt.“

Die Militärs ließen sich nicht zweimal bitten. 16 Tage nach Marins Rede wurde Vladimir Herzog festgenommen und zu Tode gefoltert. Er sollte zugeben, Kommunist zu sein, und die Namen seiner Genossen verraten. Sein Tod wurde von der Polizei als Selbstmord dargestellt, doch die Folterspuren sprachen für sich. Der verantwortliche Polizeichef hieß Sergio Fleury; er war für seinen Sadismus berüchtigt. Über diesen sagte Marin ein Jahr nach Herzogs Tod: „Ohne Zweifel liebt Fleury seine Arbeit. Wir sind sehr stolz darauf, dass er für unsere Polizei tätig ist. Er bekommt nicht die Anerkennung, die ihm zusteht.“

Marins Redebeiträge wurden im Juni 2012 von dem brasilianischen Journalisten Juca Kfouri veröffentlicht. Drei Monate zuvor hatte Marin die Nachfolge des korrupten CBF-Patriarchen Ricardo Teixeira angetreten. Unterstützung erhielt Kfouri von Ivo Herzog, dem Sohn Vladimirs. Ihnen schloss sich der populäre Parlamentsabgeordnete und frühere Nationalspieler Romario an. Er hat Marin bereits in den Ausschuss eingeladen, um über den Fall Herzog Auskunft zu geben. Ebenso soll er vor der Wahrheitskommission in São Paulo erscheinen, die die Verbrechen der Militärdiktatur untersucht. Die Zeitung „O Globo“ schrieb mit Blick auf die Fußball-WM 2014: „Und der oberste Dirigent des Ereignisses ist eine Kanaille, ein Befürworter des Militärputsches von 1964. Dieses Subjekt hat das Sagen über unseren Fußball, (…) ein gewohnheitsmäßiger Lügner und Hochstapler.“

Seit einigen Wochen betreibt auch die Fifa Marins Ablösung als Chef des WM-Organisationskomitees. Aufsichtsratsmitglied Ronaldo, der bereits als möglicher Nachfolger gehandelt wird, sagte in einem Zeitungsinterview, dass der brasilianische Fußball neue Ideen brauche. In die Ecke gedrängt, verteidigt sich José Marin nun mit dem Argument, er habe in seiner Rede 1975 die Aufmerksamkeit auf die tendenziöse Berichterstattung von TV Cultura lenken wollen. Die Anschuldigungen bezeichnete er als Verleumdungen und Lügen. Philipp Lichterbeck

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