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Sport: Brüder im Sturm

Gomez und Kuranyi treffen sich in der Nationalelf

Die „Zwillinge“ meinten es gut mit den Journalisten. Zur Pressekonferenz am Dienstag trug Kevin Kuranyi schwarz, Mario Gomez rot. Nur so hatten Außenstehende eine Chance, die beiden verblüffend ähnlich aussehenden Fußballer zu unterscheiden.

Überhaupt ist es nicht leicht, Unterschiede zwischen Kuranyi und Gomez zu entdecken. Beide sind Stürmer. Beide entstammen der Nachwuchsschule des VfB Stuttgart, beide sind oder waren Teil einer bekannten schwäbischen Jugendbewegung. Kuranyi gehörte früher mit Philipp Lahm und Andreas Hinkel zu den jungen Wilden, mit Gomez lebt der VfB das Jugendkonzept wieder auf. Und nun sind sie auch noch zum selben Länderspiel erstmals in die deutsche Nationalmannschaft berufen worden.

Ganz stimmt das natürlich nicht, da Kuranyi in seinem früheren Leben ja schon einmal Nationalspieler gewesen ist. Aber das zählt kaum noch. „Das ist Vergangenheit“, sagt er selbst. „Ich fange von null an.“ Im November 2005 bestritt der Schalker sein 35. und bisher letztes Länderspiel, aber die Vergangenheit endete erst im Mai 2006 endgültig, als Kuranyi einen Anruf von Jürgen Klinsmann bekam – und die Mitteilung, dass er bei der Weltmeisterschaft nicht benötigt werde. Seitdem galt der Original-Kuranyi für viele als so vergangen, dass Mario Gomez schon unwidersprochen als der neue Kuranyi gehandelt wurde.

Es ist eine nette Idee von Bundestrainer Joachim Löw gewesen, dass er beide nun gleichzeitig zur Nationalmannschaft befohlen hat und dass es heute in Düsseldorf gegen die Schweiz ein doppeltes Debüt geben könnte: das des neuen Kuranyi und das des neuen alten Kuranyi. „Ich denke, dass ich das verdient habe“, sagt Mario Gomez, was sich für einen 21-Jährigen schon ziemlich großspurig anhört. Aber die Aussage bezieht sich ausschließlich auf die aktuelle Leistungsbilanz, die den Stuttgarter mit elf Toren an die Spitze der Torschützenliste der Bundesliga gebracht hat. „Mario hat eine Chance bei uns verdient“, sagt Löw. „Aber er muss jetzt auch zeigen, wie er mit diesem Erwartungsdruck fertig wird.“

Der alte Kevin Kuranyi ist weniger am Erwartungsdruck gescheitert als am schnellen Erfolg zu Beginn seiner Karriere, der bei ihm eine gefährliche Genügsamkeit zur Folge hatte. Eine Anekdote illustriert seine frühere Haltung: In der Winterpause vor dem WM-Jahr verbrachte Kuranyis Schalker Kollege Gerald Asamoah seinen Urlaub bei Klinsmanns Fitnesstrainern in den USA, um sich dort freiwillig auf die WM vorzubereiten. Bei seiner Rückkehr wurde er von Kuranyi als Streber gehänselt. Asamoah stand später im WM-Aufgebot, Kuranyi nicht. „Ich habe viel für mich gelernt in dieser Leidenszeit“, sagt Kuranyi heute.

Bundestrainer Löw hat diese Leidenszeit künstlich verlängert, indem er Kuranyi auch noch ignorierte, als der Ende des Jahres zu alter Stärke zurückfand. Es war ein Test, wie sehr sich der Lernfortschritt bereits verfestigt hatte. Würde Kuranyi stillhalten oder sich mit einer Beschwerde an die Öffentlichkeit richten? Der Schalker, unterschwellig immer einer Schwäche im Sozialverhalten verdächtig, bestand die Prüfung. Er schwieg.

Für seine ehrenhafte Wiederaufnahme in den Kreis der Nationalmannschaft war das vermutlich genauso wichtig wie die sportliche Entwicklung, die bei Kuranyi seit Mitte November zu beobachten ist. „Er hat seine alte Torgefahr wieder“, sagt Löw. „Er ist sehr beweglich, physisch sehr stark und spielt sehr mannschaftsdienlich.“ Kuranyi hat in dieser Saison acht Tore geschossen – genauso viele hat er auch vorbereitet. Das macht den 24-Jährigen nicht nur auf längere Sicht, sondern auch kurzfristig wieder interessant für die Nationalmannschaft. In einem Monat, beim wichtigen EM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien in Prag, muss Löw auf den gesperrten Miroslav Klose verzichten. Für dessen Position und den Platz an der Seite von Lukas Podolski kommen neben Mike Hanke vor allem Kuranyi und Gomez in Frage. Die Zeitschrift „Kicker“ hat deshalb schon den „Zweikampf der Zwillinge“ ausgerufen. Man kann es natürlich auch positiv sehen: Egal, wie dieser Zweikampf ausgeht – es bleibt in der Familie.

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