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Kaum zu glauben. Herthas Pierre-Michel Lasogga vergab beim Stand von 1:2 die große Chance zum Ausgleich. Foto: dapd

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Sport: Brutale Schläge

Hertha BSC erarbeitet sich gegen den VfL Wolfsburg viele Torchancen, verliert aber am Ende 1:4.

Berlin - Nach zwölf Minuten wurde es ganz einsam um Otto Rehhagel. Weit und breit keine bekannten Gesichter mehr, der Trainer von Hertha BSC saß völlig verlassen auf seiner Bank, links und rechts nur noch freie Plätze. Vor ihm tobte derweil der Wahnsinn. Die Ersatzspieler, das Trainerteam und der ganze Rest, sie feierten das Führungstor des Berliner Fußball-Bundesligisten gegen den VfL Wolfsburg. Für Rehhagel hingegen ist ein 1:0 noch lange kein Grund, die Fassung zu verlieren. Und das aus gutem Grund. Die Berliner unterlagen den Wolfsburgern am Ende 1:4 (1:2). „Wenn man das Ergebnis sieht, täuscht das natürlich“, sagte VfL-Trainer Felix Magath. Hertha bot eine überzeugende kämpferische Leistung, erspielte sich viele Chancen – stellte sich vor dem Tor aber selten stümperhaft an. So endete zum ersten Mal seit elf Jahren wieder einmal ein Heimspiel gegen Wolfsburg mit einer Heimniederlage für Hertha.

„Wir sind in einer bedrohlichen Situation“, sagte Rehhagel, „aber wir geben den Kampf nicht auf.“ Die Berliner bleiben durch die Niederlage auf dem vorletzten Tabellenplatz, der Abstand auf Rang 15 ist auf vier Punkte angewachsen, immerhin ist der Relegationsplatz noch in Reichweite. Rehhagel sprach nach dem Spiel davon, dass es nun keine gegenseitigen Schuldzuweisungen geben dürfe, „man muss in der Wahl seiner Worte vorsichtig sein“. Damit hatten Herthas Spieler kein Problem. Sie sagten lieber: gar nichts. Kein einziger äußerte sich vor den Journalisten, wortlos schlichen die Verlierer durch die Mixedzone. Auch Manager Michael Preetz tat das, was er nach Niederlagen gerne tut. Er tauchte einfach ab.

Dabei hatte der Abend durchaus vielversprechend für die Berliner begonnen. Die Mannschaft, die in exakt derselben Formation spielte wie vor einer Woche beim Sieg in Mainz, begann mit Feuereifer. Von dem Druck, den die Konkurrenten Hamburg, Mainz, Freiburg und Augsburg mit ihren Siegen am Nachmittag aufgebaut hatten, war wenig zu spüren. Hertha nahm den Abstiegskampf an. Schon vor dem 1:0 hatte die Heimmannschaft vor 46 388 Zuschauern in Olympiastadion eine exzellente Chance zur Führung. Nach einem Missverständnis der beiden Wolfsburger Verteidiger Felipe und Ricardo Rodriguez lief Raffael allein auf das Tor des VfL zu. Sein Schuss ging knapp am Pfosten vorbei. Dass die Wolfsburger so etwas wie Herthas Lieblingsgegner sind, war in der Anfangsphase gut zu sehen, ein Klassenunterschied ließ sich nicht erkennen.

Auch mit der extrem hoch stehenden Viererkette der Gäste kamen die Berliner einigermaßen zurecht. Zwar liefen sie einige Male ins Abseits, oft aber kamen die Anspiele in die Spitze zum richtigen Zeitpunkt. So auch vor dem 1:0, als der aus der Tiefe startende Nikita Rukavytsya perfekt bedient wurde. Den Schuss des Australiers konnte der starke Wolfsburger Torhüter Diego Benaglio noch abwehren, Lewan Kobiaschwili aber reagierte schneller als VfL-Innenverteidiger Marco Russ und lenkte den Ball über die Linie.

Von den Gästen, die immerhin die drei vorangegangenen Spiele gewonnen hatten, war bis dahin wenig zu sehen. Herthas Torhüter Thomas Kraft hätte einen an sich ungefährlichen Kopfball von Patrick Helmes aus spitzem Winkel beinahe ins Tor gelenkt. Sein Kollege Christoph Janker hatte nicht ganz so viel Glück. Von seinem Fuß sprang eine Hereingabe des früheren Berliners Ashkan Dejagah zum 1:1 ins Tor. Mit diesem Treffer war jede Zuversicht bei den Berlinern erst einmal verloren. Nur fünf Minuten später hatten die Wolfsburger das Spiel gedreht. Mario Mandzukic konnte einen Flankenball von Marcel Schäfer im Berliner Strafraum unbedrängt mit der Brust annehmen, er spielte Dejagah frei, und dessen Hereingabe lenkte Patrick Helmes zum 2:1 für die Wolfsburger über die Linie.

Hertha hatte vor der Pause noch eine gute Gelegenheit: Benaglio aber klärte nach der präzisen Hereingabe von Rukavytsya vor Adrian Ramos. Zur zweiten Hälfte schickte Rehhagel mit Pierre-Michel Lasogga einen zweiten Stürmer aufs Feld. Für ihn blieb Linksverteidiger Felix Bastians in der Kabine, Kobiaschwili rückte zurück in die Viererkette, Raffael ins defensive Mittelfeld. Die Berliner hatten sich in der Pause wieder gesammelt, sie begannen die zweite Hälfte mit neuem Schwung: Änis Ben-Hatira scheiterte an Benaglio, ebenso Roman Hubnik, der am Fünfmeterraum völlig frei zum Kopfball kam, Lasogga wurde nach einer Hereingabe an den ersten Pfosten im letzten Moment noch geblockt.

Die Wolfsburger stürzten in dieser Phase von einer Verlegenheit in die nächste, im Mittelfeld verloren sie Ball um Ball – und gerieten anschließend mit fast jedem Pass in die Tiefe in Bedrängnis. Hertha hatte gegen den VfL so viele Chancen wie wohl noch nie in dieser an Tormöglichkeiten of armen Saison, nutzte sie aber nicht.

Es war fast wie ein interner Wettbewerb: Wer schafft es, die beste Chance zu vergeben? In der engeren Auswahl: Pierre-Michel Lasogga, der den Ball nach einer Stunde aus sechs Metern freistehend am Tor vorbei schoss. Außerdem Adrian Ramos, der von der Mittellinie allein auf das Wolfsburger Tor zulief und aus unerfindlichen Gründen noch vor der Strafraumgrenze abzog, obwohl sich weit und breit kein Wolfsburger in der Nähe befand. Und noch einmal Ramos mit seinem Kopfball aus vier Metern über die Latte.

Wie es geht, zeigten die Wolfsburger eine gute Viertelstunde vor Schluss, als Mandzukic mit dem ersten Torschuss in der zweiten Hälfte das 3:1 erzielte. Vier Minuten später erhöhte Patrick Helmes mit seinem zweiten Treffer auf 4:1. Es waren brutale Schläge, die Hertha einstecken musste, Abstiegskampf kann manchmal richtig weh tun. „Wir müssen uns jetzt gegenseitig wieder aufbauen“, sagte Otto Rehhagel. „Nervlich vor allem.“ Es hat schon leichtere Übungen gegeben.

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