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Seit wann geht’s nur ums Schminken? Nationalspielerin Fatmire Bajramaj hat derzeit vor allem sportliche Sorgen.

© dapd

BUCHKRITIK Sport und Diskriminierung: Was Frauen dürfen

Klein und doch fein. So könnte man das neueste Buch des nordamerikanischen Politologen und Soziologen Andrei S.

Klein und doch fein. So könnte man das neueste Buch des nordamerikanischen Politologen und Soziologen Andrei S. Markovits beschreiben. Darin präsentiert der früher für seine Arbeiten etwa zu Gewerkschaftspolitik, sozialen Bewegungen, und Anti-Amerikanismus berühmt gewordene aber inzwischen zunehmend Fußball-, Baseball-, und Basketball-orientierte Markovits den großen Wurf der modernen Sportgeschichte. Die unter dem Titel „Sport: Motor und Impulssytem für Emanzipation und Diskriminierung“ beim Wiener Picus Verlag erschienene Abhandlung liefert Forschungskonsens und Neuland. Wer sich über den heutigen Stand der Sportgeschichte informieren und mit provozierenden Thesen und offenen Fragen inspirieren lassen möchte, ist hier zum erschwinglichen Preis von 8,90 Euro sehr gut aufgehoben.

Wie es von einem Autor, der zwei glänzende Sportbücher veröffentlicht hat, nicht anders zu erwarten war, fasst Markovits die heutige Sportforschung auf engstem Raum zusammen. Die Entwicklung der variablen Regelwerke zu modernen, dann durchorganisierten globalen Sportarten; die Rolle der unterschiedlichen politischen und sozialen Systeme in England, Frankreich, den USA und Deutschland bei der jeweils anders eingeschlagenen Richtung der Körperkulturen; Identitätsfragen, die zur Verdrängung des Crickets zugunsten des Baseballs führten; der Triumphzug des Sports über das in Nordeuropa besonders weit verbreitete Turnen – das alles ist hier wunderbar präzise zu lesen. Markovits schreibt mit dem Enthusiasmus von einem, der stark daran glaubt, dass der Sport zu einer „aktiven Aneignung einer neuen Kultur, einem Interesse und einer Anteilnahme an etwas Fremdem“ führen kann, „das man sich durch intellektuelles und emotionales Engagement zu eigen macht“. Diese Begeisterung spürt man auf fast jeder Seite.

Umso einschneidender also die Kritik des Autors an dem von ihm so beliebten Thema. Denn so „verbindend und integrativ“ der Sport bei den Akteuren selbst wirkt, desto differenzbetonender fällt er außerhalb des Feldes aus. Richtig spannend wird es aber bei den Frauen, besonders den Frauen von heute.

Trotz aller Fortschritte, die Frauen seit den siebziger Jahren in fast allen sozialen Bereichen gemacht haben, stecken sie im Sport deutlich zurück. Hillary Clinton möge wohl 2008 um eine Haaresbreite um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten gebracht worden sein, aber keiner käme auf die Idee, zu fordern, dass die Rolle des Quarterbacks bei den Green Bay Packers oder die des Centerfielders der New York Yankees von einer Frau bekleidet werden sollte. Oder gar die zentrale Position in der Viererkette von Bayern München. Mit scharfsinnigen Analysen und Abstechern in neue Felder der Sozialforschung plädiert Markovits für ein Gender-integratives Denken im Sport. Angesichts der Schmink-Debatte im Vorfeld der Frauenfußball-Weltmeisterschaft sind solche Überlegungen wohl an der Zeit.

Als geistige Ablenkung bei der Frauen-WM bietet Markovits den idealen Reiseführer durch die Welt des Sports mit all ihren Widersprüchen, Irritationen, Wonnen und Freuden. Christopher Young

– Rezensent Christopher Young ist englischer Sporthistoriker und Germanist. Aus Anlass der Fußball-Weltmeisterschaft spricht Andrei S. Markovits heute um 17 Uhr in der Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin.

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