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Joachim Löw, 58, ist seit 2006 Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft.

© dpa

Bundestrainer Joachim Löw: "Ich wollte niemanden mehr hören oder sehen"

Bundestrainer Joachim Löw gibt im Interview ungewöhnlich persönliche Einblicke in sein Gefühlsleben nach der WM 2014, sein Leben in der Öffentlichkeit und Probleme mit jungen Spielern.

Er werde sich wohl nie daran gewöhnen, dass er immerzu beäugt und beobachtet wird, sagt Joachim Löw. „Du spürst die Blicke“, erzählt der Trainer von Fußball-Weltmeister Deutschland. „Was macht er, was tut er? Ich weiß nicht, ob man das lernen kann, dass man sich irgendwann so frei fühlt, dass einem das nichts mehr ausmacht.“

Nach fast zwölf Jahren im Amt des Bundestrainers hat Löw freilich längst für sich ein Konzept entwickelt, mit seiner Popularität und Bekanntheit umzugehen. Während im Trainingslager in Eppan (Südtirol) einige Nationalspieler den Sportplatz in Nobelkarossen mit verdunkelten Scheiben verlassen, lässt es sich Joachim Löw nicht nehmen, in der Kantine auf einen Espresso vorbeizuschauen. „Ich versuche, mich so normal wie möglich zu benehmen“, sagt der 58-Jährige.

Auch wenn es ihm nicht immer leicht fällt. Wenn etwa daheim in Freiburg wildfremde Menschen an der Tür klingeln und nach Eintrittskarten für WM-Spiele fragen. Oder wenn er wie zuletzt in Eppan mit dem Fahrrad zum Trainingsplatz fährt und ihm die Fans zu Hunderten den Weg versperren. „Da sind so viele Leute auf mich zugesprungen. Ein Foto hier, ein Foto da. Wenn du da stehen bleibst, bist du verloren.“

Herr Löw, wie ist denn das Leben als öffentliche Person?
Es kommt immer darauf an, wo und wann ich gerade unterwegs bin. Ich lass’ es mir zum Beispiel nicht nehmen, ins Kino zu gehen. Daheim in Freiburg ist es sowieso nicht so schlimm. Da kennen mich die Leute, und wahrscheinlich habe ich da inzwischen alle schon durch mit einem Foto.

Wann und wo wird’s für Sie unangenehm?
In anderen Städten ist es schlimmer. Überhaupt auf Flughäfen und in Bahnhöfen. Da hast du keine Sekunde Ruhe. Wenn ich zum Beispiel im Zug sitze und es steigen Fans ein und die erkennen mich und singen ein Lied. Ehrlich, da würde ich manchmal am liebsten aus dem Fenster springen. Ich weiß, dass es nett gemeint ist, aber es nicht immer einfach für mich.

Sie besuchen in Eppan die öffentliche Kantine, Sie reagieren entspannt auf die letzten Testspielergebnisse. Ist das die Gelassenheit eines Weltmeisters?
Ich weiß mittlerweile genau, was mich erwartet und was auch so alles passieren kann bei einem großen Turnier. Du kannst vier Spiele gut sein und mit einem schlechten Tag, wenn irgendetwas vorfällt, bist du raus. Ich erinnere mich noch gut an die EM in Frankreich.

An das Halbfinal-Aus gegen Frankreich...

Der Schweini macht ein Handspiel, es gibt Elfmeter und dann ist es dahingegangen. Du kannst bei so einem langen Turnier nicht alles planen, du brauchst auch sehr viel Glück, um es bis ins Endspiel oder überhaupt zum Titel zu schaffen. Ich weiß, dass wir vor vier Jahren das Finale gegen Argentinien auch hätten verlieren können. Wenn Higuain das Tor macht, dann wäre vielleicht alles anders gekommen.

Er hat es nicht gemacht, und so sind Sie jetzt Weltmeister. Wie haben Sie diese Stunden des WM-Triumphes erlebt?
Am Anfang bist du voll aufgedreht und auch in einer wahnsinnigen Euphorie.

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Und dann?
Dann kommt schon sehr bald die Müdigkeit heraus. Ich war einfach nur fertig und wollte eigentlich niemanden mehr hören oder sehen. Nach dem Finale in Rio habe ich vielleicht zwei Gläser getrunken und gegen zwei, halb drei gesagt: „Ich geh’ jetzt ins Bett.“

Was war die Antwort?
Da ist gerade die größte Party im Gange, da kannst du doch nicht ins Bett gehen.

Sind Sie nach dem WM-Titel etwa in ein Loch gefallen?
Die ersten Tage nach dem Turnier war ich allein auf Sardinien unterwegs. Irgendwann ist dann auch mein Berater gekommen, und nach einem Tag hat er gemeint: „Hey, du bist Weltmeister! Was ist eigentlich los mit dir?“ Ich hab’ ihm gesagt: „Lass mich in Ruhe, ich will nichts mehr wissen von Weltmeister.“

Aufgedreht. Joachim Löw kurz nach dem Sieg im WM-Finale 2014.
Aufgedreht. Joachim Löw kurz nach dem Sieg im WM-Finale 2014.

© AFP

Wie haben Sie sich dann wieder aufgerafft, wann ist die Motivation zurückgekommen?
Nach der WM habe ich mir schon die Frage gestellt: „Was wollen wir jetzt eigentlich?“ Jeder von uns. Beim ersten Länderspiel nach der WM im September habe ich gemerkt, dass irgendwas anders ist.

Was war anders?
Das WM-Finale war gerade einmal sechs Wochen her, in dem Moment war einfach kein Zug drin. Keine Dynamik, keine Power. Man hatte bei allen von uns das Gefühl: „Okay, wir machen das schon, wir sind ja Weltmeister.“ Und ich nehme mich da jetzt gar nicht aus. Ich habe dann irgendwann reagiert.

Inwiefern?
Nach den ersten Spielen als Weltmeister habe ich gespürt: So geht’s nicht, auf diese Art und Weise wird es nicht funktionieren. Irgendwann musst du den Schalter umlegen, auch ich als Trainer habe wieder anziehen müssen. Nach zwei Monaten habe ich den Jungs gesagt: „Leute, wir müssen jetzt wieder fighten, wenn wir oben bleiben wollen.“ Und oben zu bleiben, ist bekanntlich noch schwieriger als raufzukommen.

"Alles verändern": Löws Weg zurück aus dem Loch

Teamarbeit. Bundestrainer Joachim Löw und Team-Manager Oliver Bierhoff führen die Nationalmannschaft.
Teamarbeit. Bundestrainer Joachim Löw und Team-Manager Oliver Bierhoff führen die Nationalmannschaft.

© dpa

Haben Sie etwas verändert?
Wir haben dann im Trainerteam beschlossen, dass wir alles verändern müssen. Die Abläufe, die Systeme, auch die Spielweise. Nichts sollte mehr so bleiben, wie es war. Das hat mich selbst auch wieder extrem motiviert. Es hat mich gepackt.

War es in dieser Phase auch ein Vorteil, dass viele verdienstvolle Spieler nach der WM ihre Karriere beendet haben?
Der Generationswechsel und die vielen neuen Spieler waren sicher nicht schlecht. Auch wenn es am Anfang schon ein bisschen komisch war.

Es war komisch?
Ja, ich habe mir gedacht: „Mensch, der Lahm war doch immer dabei.“ Klose, Mertesacker, Poldi, Schweini, die habe ich als Typen schon auch ein bisschen vermisst. Die waren ja alle von Anfang an dabei.

Wie geht’s Ihnen mit den 20-jährigen Spielern von heute?
Die ticken völlig anders. Das ist eine ganz andere Generation als früher Lahm, Klose oder Mertesacker.

Was ist anders?
Manchmal hast du richtig Schwierigkeiten, auf gemeinsame Themen zu kommen. Die verhalten sich auch mir gegenüber relativ ruhig. Mit anderen älteren Spielern wie Khedira oder Hummels kannst du schon einmal auch über Dinge abseits des Fußballs reden. Über alles Mögliche. Aber die junge Generation ist anders, alles läuft nur noch übers Handy. Und sie reagieren fast nur noch visuell und auf optische Reize. Da sind sie aufnahmefähig. Normale SMS lesen die nicht. Vielleicht sollte man wirklich Instagram verwenden.

Sie haben gerade Ihren Vertrag bis 2022 verlängert. Wird man Sie irgendwann noch einmal als Klubtrainer sehen?
Es würde mich schon interessieren, ich hatte zwischenzeitlich auch immer wieder gute Anfragen. Aber Trainer bei der deutschen Nationalmannschaft zu sein, das ist natürlich schon etwas Besonderes.

Könnten Sie den Job als Klubtrainer überhaupt noch? Sie sind ja jetzt doch schon einige Zeit weg vom Tagesgeschäft.
Es wäre sicher eine Umstellung. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel zwei, drei Wochen mit der Nationalmannschaft arbeite, dann bin ich wieder voll drin. Klar sind die Pausen zwischen den Länderspielen manchmal lang, aber andererseits sehe ich in dieser Zeit auch viele Spiele. Vor allem im Ausland. Und da lerne ich immer noch sehr viel dazu. Als ich noch Klubtrainer war, hatte ich keine Ahnung, was im Ausland für ein Fußball gespielt wird.

Blicken wir in die Zukunft: Sie werden das deutsche Nationalteam auch bei der WM 2022 betreuen, die in Katar und im Dezember stattfindet.
Dieses Turnier wird ganz anders werden. Soweit ich informiert bin, sollen dann zwischen Meisterschaft und WM auch nur acht, neun Tage Pause sein. Es wird also keine richtige WM-Vorbereitung geben. Andererseits haben die Spieler dann erst 20 Partien in den Beinen, der Reisestress fällt in Katar auch weg, die Temperaturen dürften auch passen. Aber vielleicht wird das am Ende ja sogar eine WM, bei der die Leute sagen: „Wow, was für ein Tempo.“ Vielleicht werden wir ja wirklich alle überrascht sein von diesem Turnier.

Apropos Turnier: Wie anstrengend ist so eine WM-Endrunde für Sie?
Bei einer Weltmeisterschaft mit so weiten Wegen wie in Russland kommst du komplett aus dem Rhythmus. Du musst zu den meisten Spielen fliegen, kommst danach teilweise erst um 4 Uhr früh zurück ins Basecamp, drei Tage später sollst du wieder spielen – das ist teilweise ermüdend. Wobei bei mir die Unruhe erst nach den Turnieren kommt. Da wache ich dann manchmal mitten in der Nacht auf.

Wirklich?
Ja, und dann tauchen da die Szenen wieder auf. Dann wird mir alles wieder richtig bewusst. Während des Turniers bin ich in einem Tunnel drin. Da bist du konzentriert, machst deine Arbeit und funktionierst einfach.

Der Bundestrainer ganz persönlich

- So kam es zu dem Interview: Interviews mit Bundestrainer Joachim Löw sind selten und drehen sich meistens ums Sportliche. Über die Person Löw, über das, was er denkt und fühlt, ist wenig bekannt. Dem österreichischen Journalisten Christoph Geiler ist es zuletzt jedoch gelungen, ein viel beachtetes, sehr privates Gespräch mit Löw zu führen – und zu veröffentlichen. Die beiden kennen sich, seit Löw den FC Tirol Innsbruck trainierte und pflegen seit mehr als 15 Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Löw hat immer wieder betont, wie sehr er die Zeit in Innsbruck genossen habe, wo er 2002 Meister wurde. Danach musste der Klub Insolvenz anmelden, was Löw als „die größte Enttäuschung seiner Trainerkarriere“ bezeichnet. Der 58-Jährige kommt immer wieder gerne nach Tirol zurück. So auch diesmal, als die Nationalelf ihr Trainingslager dort absolvierte. „Wir saßen bei einem Espresso mit einem ehemaligen Spieler des FC Tirol zusammen“, sagt Geiler. Der Bundestrainer sei total relaxt gewesen. Fragen zu der Debatte um Özil und Gündogan, die sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan ablichten ließen, hat der „Kurier“-Redakteur explizit ausgespart. Anders als es sonst nicht nur beim DFB üblich ist, wollte Löw das Interview nicht noch einmal gegenlesen. Der Tagesspiegel darf es in Deutschland exklusiv verwenden. (ks)

Christoph Geiler

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