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Champions League: Die gelbe Gefahr - für Michael Ballack

Bei der WM 2002 hat Michael Ballack das Endspiel verpasst, weil er sich im Halbfinale eine Gelbe Karte eingehandelt hat. Das Schicksal droht ihm auch während des Champions-League-Finales gegen Barcelona.

„Nein, wir haben noch nie darüber gesprochen“, sagt Michael Ballack, und muss ein wenig lachen. Der unerbittliche Rhythmus des Fußballs sieht ja keine Intervalle für Reminiszenzen vor; im Gegenteil: Er treibt immer wieder gnadenlos Menschen in Kabinen und auf Plätzen zusammen, die aufgrund ihrer Erfahrungen in der Vergangenheit partout nicht zusammengehören. Den Beteiligten bleibt, um nicht völlig kirre zu werden, nichts anderes übrig, als mit überdimensionalen Scheuklappen durch das Fußballleben zu rennen. Man schaut nach vorne, nur nach vorne. Denn hinten, da wohnen die Enttäuschungen, die Niederlagen, die zerplatzten Träume.

Ballack und seinem Trainer beim FC Chelsea, Guus Hiddink, fällt das Verdrängen vielleicht leichter, weil sie ein seltenes Schicksal teilen. Beide standen sich vor knapp sieben Jahren in Seoul in einem Halbfinale auf unterschiedlichen Seiten gegenüber, beide wurden damals zu tragischen Verlierern. Ein Weitschuss des Mittelfeldspielers hievte die Deutschen ins WM-Finale. Für das von Hiddink trainierte Gastgeberland SüdKorea, diese ausgiebig rennende Kampftruppe der Namenlosen, war somit das Turnier beendet – für Ballack allerdings auch: Ein mannschaftsdienliches Foul gegen Chun So Lee hatte ihm eine Gelbsperre eingebracht. Ballack hat nach der Partie in der Kabine ein wenig geweint.

Seitdem Hiddink, der weit gereiste Fußballlehrer, im Februar den Trainerjob bei Chelsea von Luiz Felipe Scolari übernommen hat, waren die schmerzhaften Geschehnisse vom 25. Juni 2002 kein Gesprächsthema. Doch am Mittwochabend (20.45 Uhr, live auf Sat1 und Premiere), wenn die Londoner es an der Stamford Bridge im Halbfinale der Champions League mit der universal vergötterten Zaubermannschaft vom FC Barcelona aufnehmen müssen (Hinspiel 0:0), droht ähnliches Ungemach. Der 32 Jahre alte Kapitän der deutschen Nationalmannschaft geht mit einer Gelben Karte belastet in die Partie. Ein einziges Foul, und er könnte schon wieder ein großes Finale gesperrt verpassen; das wäre für den Mann mit den vielen Silbermedaillen besonders tragisch.

Hiddink kann keine Rücksicht auf die brenzlige Lage des Deutschen nehmen. Ballack, der beim ultradefensiven Hinspiel im Nou Camp zeitweise einen von drei Liberos vor der Abwehr der Blauen geben musste, wird mit seiner körperbetonten Spielweise dringend gebraucht, um den Kombinationsfluss der Katalanen einzudämmen. Die Beschwerden Barcelonas, Chelsea habe im Hinspiel den Mannschaftsbus vor dem Tor geparkt und sich nicht am Fußballspielen interessiert gezeigt, tangieren Ballack nicht: „Alle Fußballer äußern sich so, wenn das Spiel nicht nach ihren Wünschen verlaufen ist.“ Am Mittwoch werden die Hausherren wahrscheinlich nur um Nuancen offensiver auftreten. „Wir wissen genau, wo unsere Stärken und die der Gegner liegen. Man kann es sich nicht leisten, gegen Barcelona offen zu spielen“, sagt Ballack, der im Auftrag Hiddinks schon beim Pokalhalbfinalsieg gegen Arsenal (2:1) sehr tief im eigenen Mittelfeld Ruhe ins Spiel der Londoner tragen musste.

Der 62 Jahre alte Niederländer, der nach den unterschiedlichsten Erfahrungen in Vereinen und Verbänden bequem ohne Modernisierungsrhetorik und visionäre Ansprüche auskommt, hat erkannt, dass sein Team außer José Mourinhos wuchtigem Geduldsspiel im 4-3-3-System über wenige Varianten verfügt. „Es dauert Jahre, bis ein Verein seinen Stil verändern kann“, merkte Ballack bereits kritisch an, als Avram Grant den egomanischen Chef-Ideologen Mourinho im September 2007 mit dem leeren Versprechen vom „attraktiven Fußball“ beerbt hatte.

Doch eine gute, perfekt umgesetzte Idee kann im Fußball schon reichen. Barcelona, das in der Innenverteidigung Carles Puyol (Gelbsperre) und Rafael Marquez (Knieverletzung) verzichten muss, wird besonders bei Flanken in den Strafraum und den weiten, hohen Bällen auf Stürmer Didier Drogba anfällig sein. Der Ivorer zeigt sich rechtzeitig zu den Gesprächen über eine Vertragsverlängerung von seiner unwiderstehlichsten Seite. „Man sieht es immer wieder, dass Spieler im April und Mai auf einmal zu ganz großer Form auflaufen“, sagt Hiddink süffisant.

Chelsea wird – unabhängig vom Abschneiden in der Champions League – unter Hiddinks Nachfolger, dem fünften Trainer in fünf Jahren, nicht um einen mittelgroßen Umbruch in der Mannschaft herumkommen. Michael Ballack darf trotz seines im Juni auslaufenden Vertrages allerdings mit großer Gelassenheit nach vorne schauen: sein Verbleib in London über das Saisonende hinaus gilt als gesichert.

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