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Champions-League-Finale: Pro Familia - alle mögen die Bayern

Sie waren nie beliebt, weil sie einfach zu erfolgreich waren und zu reich. Doch beim Champions-League-Finale am Samstag ist halb Deutschland FC-Bayern-Fan. Denn etwas Entscheidendes hat sich geändert.

Es ist jetzt wieder viel von der Familie die Rede.

„Wir sind so außergewöhnlich zusammengewachsen, das ist ein Zusammenhalt wie in einer Familie“, sagt Mark van Bommel.

„Franck Ribéry hat sich für unseren Einsatz bedankt, er hat gemerkt, welche Qualität und Loyalität die Bayern-Familie hat“, sagt Karl-Heinz Rummenigge.

„Ich bin unglaublich stolz auf den ganzen Verein, auf die Familie FC Bayern, wie hier gearbeitet wurde, mit welchem Schwung, welcher Leidenschaft, vom Vorstand, den Direktoren, dem Trainer, den Medizinern, von allen, schauen Sie sich allein den Platz an: Die Saison ist zu Ende, und der Rasen hat immer noch die Qualität eines Golfplatzes.“ Das sagt Uli Hoeneß.

Der ist offiziell der Präsident des FC Bayern München, aber eigentlich ist er der Patriarch, der Familiengründer und ihr Oberhaupt, und als solcher wird er gerne gefühlig, wenn’s der Familie gut geht. Am Samstagabend geht es in Madrid gegen Inter Mailand, das Endspiel der Champions League, die Krönung. Vor ein paar Tagen haben seine Bayern in Berlin gegen Werder Bremen den DFB-Pokal gewonnen. Und kurz davor hatten sie bereits auf dem Münchner Rathausbalkon die 22. Deutsche Meisterschaft gefeiert. Ein Sieg nach dem nächsten. Und dann werden die Bayern plötzlich auch noch überall gemocht.

Hoeneß strahlt im Münchner Mediencenter, ein wenig zittert seine Stimme, ein kleines bisschen Glanz schwimmt in seinen Augen. So hat sich der Präsident, jahrzehntelang Manager und in diesem Job der Archetyp, seinen Verein stets gewünscht. Erfolgreich bis zum Gehtnichtmehr, aber auch immer zusammengehörig. Noch keiner, der dem Verein irgendwann irgendwie gedient hat, wurde verstoßen, es sei denn, er hat es so gewollt, wie zum Beispiel Lothar Matthäus. Und so ist das Trainingsgelände des FC eine Art Museum der Vereinsgeschichte mit lebenden Exponaten geworden, viele ehemalige Spieler sind hier unterwegs, als Fanbeauftragte, Fanartikel-Beauftragte, Amateurtrainer, Torwarttrainer, Talentsucher. Was aus den einstigen Spielern Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge wurde, ist ja bekannt. Und auch Jürgen Wegmann („Zuerst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu“), der ein bisschen schlecht ausgebildet war für das Leben nach dem Fußball, wurde zurückgeholt in den Familienschoß und arbeitet heute als Lagerist im Bayern-Fanshop Oberhausens. Die Familie hält zusammen. Oder, wenn man böser formulieren will: der Clan.

Denn das war ja immer das Leid der Familie: Lange Jahre hat niemand sie gemocht. Höchstens mal ein bisschen Mitleid hatte die breite Masse für sie übrig, als sie 1999 in letzter Sekunde das Finale gegen Manchester United verlor, aber ansonsten: nur Hohn und Spott und Häme. „Der FC Bayern hat ja immer polarisiert“, sagt der Vorstandsvorsitzende Rummenigge. Das ist ein wenig untertrieben. Aber plötzlich sei „alles anders“, sagt Rummenigge auch. Das kann man wohl sagen. Landauf, landab werden die Bayern mit guten Wünschen und Sympathie zugeschüttet. Weil der Verein plötzlich ein anderer ist. „Die Spielweise und die Art des Auftretens, die man wohl nicht als arrogant bezeichnen kann“, nennt Rummenigge heute als Gründe für die neue, erstaunliche Popularität. Selbst Campino, gleichermaßen Sänger der Toten Hosen wie Bayern-Hasser ist übergelaufen: „Man kann mit Bayern München nur ordentlich als Feind umgehen, wenn man unsachlich bleibt“, gestand er der „Süddeutschen Zeitung“. Torsten Frings, Spielmacher bei Werder Bremen und einst im Unfrieden von den Bayern geschieden, schwärmt von der „spielerischen Klasse“ des ungeliebten Gegners. Und die Fans des gepflegten Balles, auch die im Norden und im Osten und im Westen, sind verzückt, wenn sie den FC Bayern spielen sehen.

Für den Wandel verantwortlich ist ein Mann, der in schwierigster Situation zu den Bayern kam und dem schon sehr bald die absolute Familienuntauglichkeit attestiert wurde: Louis van Gaal. Als der Niederländer zu Beginn der Saison seinen Job antrat, lag der FC Bayern noch immer ein wenig in Schockstarre und kurierte die Wunden, die das Trainer-Experiment Jürgen Klinsmann gerissen hatte. Der hatte versucht, den Verein nach Art eines Assessment Centers umzustrukturieren und ihn mit Business-Plänen, Power- Point-Präsentationen, Potenzialanalysen („Wir werden jeden Spieler jeden Tag etwas besser machen“) und anderen Evaluationen in die Irritation gestürzt. Zudem stand die Verabschiedung von Hoeneß aus dem Manager- in den Präsidentenjob an, sowie die Beckenbauers, der im Vereinsheim eigentlich nur noch als ruhmreicher Opa in einem ehrenpräsidialen Bilderrahmen präsent sein mochte. Zwar hatte Jupp Heynckes, der alte Freund der Familie, als zwischenzeitlicher Coach den sportlichen Gau – der ist in Bayern erreicht, wenn die Mannschaft sich nicht für die Champions League qualifiziert – gerade noch abwenden können. Aber dennoch: Der Ruf war ruiniert, die nationale Dominanz nivelliert und die Familienphilosophie vom Zusammenhalten nahezu eliminiert.

Und in diese Gemengelage kam dieser Niederländer, 58 Jahre alt, schwer erfolgreich als Champions-League-Sieger mit Ajax Amsterdam, Meister und Pokalsieger mit dem FC Barcelona, Meister in der Heimat mit dem Klübchen AZ Alkmaar. Allerdings, so sein vorauseilender Ruf, auch schwer erträglich. Zu verbohrt, zu starrsinnig, zu autoritär. Mit dem starteten die Bayern noch schlechter als mit Klinsmann in die Saison und fanden sich im November des Vorjahres im stürmischsten Herbst wieder. Die Mannschaft spielte miserabel, der Trainer, der Star, spielte verrückt. Geschichten wurden lanciert, die sein mittelalterliches Menschenbild darstellen sollten, sein autoritäres Gehabe, mit dem er die Spieler bis zu den Tischmanieren gängelte. Als bekannt wurde, dass sich van Gaal von seinen erwachsenen Töchtern siezen lässt, hatte er in etwa den Status eingenommen, den Klinsmann innehatte, als er zur Vervollkommnung des Bayern-Menschen Buddha-Figuren im Trainingszentrum aufstellen ließ.

Hätte Uli Hoeneß in diesem tristen November seine Gedanken und Gefühle auch in Worte gefasst, sie hätten ungefähr so geklungen: Lieber heute als morgen würde ich den Kerl rausschmeißen! Bis Weihnachten noch durchhalten, dann weitersehen, so die Parole in bleierner Zeit. In der Not wurde Arjen Robben verpflichtet, 25 Millionen Euro teuer und bei Real Madrid wegen seiner Verletzungsanfälligkeit nicht mehr gelitten. Schon wieder ein Wagnis.

Am 8. Dezember gewann der FC Bayern bei Juventus Turin 4:1. Es wurde danach kolportiert, die Mannschaft habe sich emanzipiert vom Trainer, habe gegen ihn gespielt, aber was hätte das für einen Sinn gemacht mit einem Sieg? Beschwert hatten sich die Spieler über den Trainer nie, zumindest nicht öffentlich. Vielleicht brauchte es nur seine Zeit, bis sie van Gaal begriffen und van Gaal den FC Bayern verstand. Fortan auf jeden Fall spielten sie sich wieder an die Spitze und diesmal sogar auch in die Herzen.

Erfolgreich war der FC Bayern immer schon, allein, das hat ihn nicht beliebter gemacht. Jetzt wirkt er plötzlich sympathisch: Die Spielweise ist offensiv, leidenschaftlich, nie satt, selbst wenn der Sieg schon gesichert ist. Und der ehemals arrogante Auftritt?

Zwei Tage nach dem Pokalfinale lud der FC Bayern zum Pressegespräch. Der Andrang war gewaltig, was nicht erstaunlich war vor dem Finale der Champions League. In der Kantine des Klubs hatte die Pressestelle die Journalisten an fünf Tische verteilt, zu jedem Tisch gesellte sich ein Spieler, auch der Trainer nahm Platz. Nach einer Viertelstunde wurde gewechselt, Speed-Dating mit Fußballprofis. Es war die Creme des FC Bayern, die da Rede und Antwort stand, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, zwei der deutschen Hoffnungen für die Weltmeisterschaft in Südafrika, Ivica Olic, der Torschütze und Torschütze und Torschütze, Arjen Robben, der erstmals in seiner Karriere aufspielte, als sei er unverwundbarer als Siegfried, Mark van Bommel, der sein Kapitänsamt ausübt als Lotse und Herbergsvater zugleich, und Louis van Gaal, der seine verbreitete Verachtung von Journalisten zumindest gut verbergen konnte.

Wie anders war das als früher die Gespräche mit den Bayern-Profis, mit Oliver Kahn etwa, der niemandem in die Augen schaute, so gering schätzte er die Gesprächspartner. Mit Lothar Matthäus, der die immer gleichen Phrasen drosch. Mit Stefan Effenberg, dem der Hochmut und die Lustlosigkeit aus allen Poren strömte. Auch Michael Ballack hatte diese Unnahbarkeit, die Verschlossenheit, und das ist tatsächlich ein Unterschied zu den heutigen Leistungsträgern des FC Bayern, die sich weder stinkstiefelig gebärden noch hochnäsig und kaum gestelzt. Als Lahm und später Schweinsteiger gefragt wurden, was sie sich denn von der zu erwartenden Prämie für all die Titel kaufen würden, und ob das, wie weiland 2001 bei einigen Spielern des bislang letzten Bayern-Triumphs in der Champions League der Fall gewesen sei, auch der Kauf eines Ferrari sein könne, da lachten beide sehr verwundert und sehr vergnügt auf, als sei die Vorstellung absurd, sie hätten irgendetwas gemein mit der Welt der Protzbeutel. Mark van Bommel, der schon einmal den Pokal gewann, mit dem FC Barcelona, wurde gefragt, wie sich der denn anfühle, gab ziemlich ehrlich und erfrischend zur Antwort: „Puh, das weiß ich nicht mehr, ist vier Jahre her, ich glaube kühl und glatt wie sich Metall eben anfühlt.“

Die Bayern legen ihr Image ab. Auch mit der Entkräftung des alten Vorwurfs, sie würden nur mit Geld herumschmeißen. Im aktuellen Kader stehen neun Spieler, die dem Verein schon beitraten, bevor sie 16 Jahre alt wurden, Lahm, Schweinsteiger, Contento, Badstuber und Müller sind erste Wahl bei der Aufstellung. Jung, dynamisch, sympathisch, der FC Bayern München scheint in der Form seines 110-jährigen Lebens zu sein.

Und Uli Hoeneß, der stolze Präsident? Hat er jetzt seinen Frieden gemacht mit Louis van Gaal, der für all die Strahlkraft seines FC Bayern gesorgt hat? „Ich habe höchsten, allerhöchsten Respekt vor der Arbeit des Trainers“, sagt Hoeneß 48 Stunden bevor die entscheidenden Schritte zur Krönung im Bernabeu-Stadion von Madrid getan werden sollen. Die Herzlichkeit, mit der er seine Trainerfreunde Ottmar Hitzfeld und Jupp Heynckes innigst umarmte, wird es in der Liaison Hoeneß–van Gaal wohl nicht mehr geben. Obwohl. Im Falle eines Sieges gegen Inter Mailand ..., ob dann Uli Hoeneß nicht doch am Hals von van Gaal hängt, ob er ihn dann nicht doch als neues Familienmitglied adelt? Im Falle eines Sieges ist für nichts zu garantieren.

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