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Sport: Champions League: Gedreht wie ein Brummkreisel

Manchmal bietet das Fußballer-Leben schon seltsame Geschichten. Beispielsweise, dass man erst als Opfer einer Aktion zu größerer Prominenz gelangt, die im zivilen Leben den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt hätte.

Manchmal bietet das Fußballer-Leben schon seltsame Geschichten. Beispielsweise, dass man erst als Opfer einer Aktion zu größerer Prominenz gelangt, die im zivilen Leben den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt hätte. Wie bei Jochen Kientz: 28 Jahre, Berufsfußballer, "Wandervogel", Reservist beim Hamburger SV. Am Dienstag hat er seinen Job gemacht, auch wenn es ihm einen fürchterlichen Brummschädel und eine Jochbeinprellung eingetragen hat.

Jochen Kientz also, der in der Bundesliga bislang genau einen Fünf-Minuten-Einsatz für den HSV absolvierte, wurde zum entscheidenden Spieler beim 3:1 (1:0)-Sieg bei Juventus Turin. 29 Minuten lang ist er Turins Superstar und Spielmacher Zinedine Zidane als permanenter Schatten derartig auf die Nerven gegangen, dass der Franzose völlig die Kontrolle über sich verlor: Kopfstoß, Rote Karte, raus aus dem Spiel!

"Jochen sollte Zidane aus dem Spiel nehmen", sagte HSV-Trainer Frank Pagelsdorf nach der Partie, durch die der HSV zum Millionengeschäft der Champions League zurückgefunden hat. Das passierte dann auch im wahrsten Sinne des Wortes, aber gemeint war die Aufforderung des Trainers natürlich ein wenig anders. "Er hat seine Aufgabe sehr gut gelöst", lobte Pagelsdorf, "er hatte die strikte Anweisung, keinesfalls in der Offensive zu erscheinen. Jochen Kientz hat seine Aufgabe ohne Fouls gelöst, Zidane ist deshalb überhaupt nicht zur Entfaltung gekommen."

Die Taktik von Pagelsdorf ging in jeder Beziehung voll auf. Roy Präger (24.), Anthony Yeboah (48.) und Andrej Panadic (62.) erzielten bei einem Gegentreffer von Darko Kovacevic (56.) die Tore gegen die Italiener, die den größten Teil der Partie nur mit neun Spielern bestreiten mussten. Denn nur vier Minuten nach Zidane rastete auch noch Edgar Davids aus und stieß Stig Töfting um. Gelb-Rot - ebenfall raus! Mit einem Erfolg im abschließenden Vorrundenspiel in zwei Wochen daheim gegen Deportivo La Coruña hat der HSV auf jeden Fall den Uefa-Cup-Platz für den Gruppendritten sicher. Sollten Panathinaikos Athen und Turin unentschieden spielen, ist sogar noch die Zwischenrunde zu erreichen. "Wir wollten in Turin gewinnen, diese Aufgabe hat die Mannschaft sehr gut gelöst", sagte Pagelsdorf. "Möglicherweise hat uns Juventus ein wenig unterschätzt." Jedenfalls kam die Millionentruppe mit den Norddeutschen nicht zurecht, auch als sie noch vollzählig war.

Pagelsdorf hatte eben seine Hausaufgaben gemacht, akribisch wie immer. Seine Erkenntnisse nach intensivem Studium von Statistiken und Video: "80 Prozent der Angriffe von Juventus laufen über Zidane", hatte der Coach herausgefunden, "fast alle gefährlichen Aktionen entstehen im zentralen Bereich."

So fasste er den Plan, vor allem die Mitte abzudichten, und Nico Kovac war für diese reine Manndeckung nun doch zu wertvoll. So schlug die Stunde von Jochen Kientz. "Zidane war schon vor dem Kopfstoß entnervt, er hat ständig gehalten und gestoßen", erzählte der Verteidiger. "Ich habe jetzt starke Kopfschmerzen." Fast die gesamte zweite Halbzeit hatte er letztlich auf dem Rücken liegend in der Kabine verbringen müssen. Gehirnerschütterung, so lautete die Diagnose von Mannschaftsarzt Dr. Gerold Schwarz. Zwei Wochen Pause.

Das ist für den HSV durchaus ein Handikap. Durchgesetzt hatte sich der erst kurz vor der Saison von 1860 München ausgeliehene Ergänzungsspieler allerdings beim HSV noch längst nicht. In Turin endlich war seine Bewährung gekommen, deshalb wollte er auch nach der Pause unbedingt weitermachen. "Er hat gesagt, dass er es probieren möchte", begründete Pagelsdorf, warum er Kientz nach dem Wiederbeginn zunächst weiterspielen ließ. "Aber in der ersten Szene im Strafraum drehte er sich wie ein Brummkreisel und wußte gar nicht, wo er stand." Also musste er das Feld doch wieder verlassen. Der Kientz hatte ja auch seine Schuldigkeit getan.

Claus Günter

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