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Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger jubeln über den Wembley-Sieg.

© rtr

Champions-League-Sieger Bayern München: Lahm, Schweinsteiger und die Generation Gold

Nach dem Sieg im Wembley-Stadion gegen Borussia Dortmund gäbe es viele Kandidaten für eine Heiligsprechung, Heynckes beispielsweise. Oder Arjen Robben. Bastian Schweinsteiger und Phillip Lahm jedoch haben mehr als nur einen Titel errungen.

Den größten Lärm in dieser lauten Nacht von London macht Señor Dante. Man hört ihn schon lange, bevor er seine Starkstromwuschelmähne um die Ecke schiebt, auf der Schulter eine Art moderner Ghettoblaster, aus dem irgendetwas zwischen Samba oder Bossanova in die Katakomben des Wembley-Stadions scheppert. Dazu singt er laut und falsch und glücklich, bis er im Mannschaftsbus verschwindet.

Der Brasilianer Dante ist die lebende Antithese zu der Behauptung des früheren Weltmeisters Paul Breitner, der FC Bayern München sei ein „Scheißverein, in dem man nicht mal richtig feiern kann“. Und wie sie feiern werden nach diesem 2:1-Sieg im deutschen Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund.

Vor dem Stadion kämpfen die Münchner und Dortmunder Fans vereint gegen die Tücken der Londoner Sperrstunde, die eben nur theoretisch abgeschafft ist. Bastian Schweinsteiger hat die Feierlichkeiten bereits in der Kabine eröffnet. Sein Blick ist jedenfalls schon recht glasig, als er mit einer Bierflasche in der Hand durch die Katakomben schunkelt. Wie die Kollegen trägt er ein Shirt mit der Aufschrift „Football is coming hoam“, was schon eine gewagte Anspielung ist auf einerseits einen englischen Mythos und andererseits das vorjährige Champions-League-Endspiel in München, die Bayern hatten es als „Finale dahoam“ gefeiert. Und es dann in der vereinseigenen Arena gegen den FC Chelsea verloren. Das ist, bis zum Sonnabend, ein Trauma in der Vereinsgeschichte.

Neben Schweinsteiger marschiert Philipp Lahm aus den Katakomben und vor ihnen Thomas Müller, wie gewohnt etwas vorlauter, diesmal mit der Ansage: „Macht doch mal Platz für die Führungsspieler!“

Jede große Nacht hat ihre Helden. Der Triumph des FC Bayern München im Champions-League-Finale hat viele Kandidaten für eine Seligsprechung. Den Trainer Jupp Heynckes, der sich mit dem größtmöglichen Erfolg aus dem internationalen Fußball verabschiedet, der am kommenden Sonnabend in Berlin das Triple aus Champions League, Meisterschaft und Pokal vollenden kann und der „froh sein kann, dass er 68 ist und nicht 25, sonst müsste er jetzt sehr jung zurücktreten, nach so einer Saison“ (wieder der vorlaute Müller).

Den Siegtorschützen Arjen Robben, weil er nach seinem vergebenen Elfmeter im vorjährigen Endspiel mit dem späten Siegtor im richtigen Augenblick die richtige Antwort gegeben hat. Und ein bisschen auch den Präsidenten Uli Hoeneß, weil er endlich mal nicht zu hinterzogenen Steuern befragt und von Spielern wie Fans gefeiert wird, „da kann ich in den letzten zehn Jahren ja nicht alles falsch gemacht haben“.

Das war ihr Ruf: Nette Jungs, aber eben keine Sieger-Typen

Die wahren Helden aber sind Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Hintereinander sind sie den langen Weg zur Ehrentribüne geklettert, 107 Stufen vom heiligen Rasen bis zur Ehrenloge, vorbei an der Bundeskanzlerin, die zu Bastian Schweinsteiger bekanntlich ein besonders liebevolles Verhältnis unterhält. Als er dann an Angela Merkel vorbeiflaniert, herzt sie ihn spontan links und rechts, und weil danach gleich Lahm defiliert und der ja immerhin der Kapitän ist, bekommt auch er auf beste bayerische Art ein Busserl.

Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm haben den FC Bayern über Jahre geprägt, und dass es gerade in der Champions League im entscheidenden Augenblick nicht geklappt hatte, war auch und vor allem ihnen angelastet worden. Schweinsteiger und Lahm kämpften schwer gegen den Ruf, sie seien die netten Jungs von nebenan, die mit der Nationalmannschaft und im Klub alle Schönheitspreise der Welt einheimsen und doch unpässlich sind, wenn es um alles oder nichts geht. Beide sind sie beim FC Bayern groß geworden und stehen für jene Münchner Generation, die daheim die Bundesliga beherrscht und in drei Jahren zweimal das Champions-League-Finale erreicht – aber es beide Male auch verloren hat.

Die Münchner feiern in Wembley den fünften Sturm auf Europas Gipfel, aber der letzte lag auch schon zwölf Jahre zurück. Das sind ein paar Jahre zu viel für einen Klub mit den Ansprüchen des FC Bayern. Als die Nationalmannschaft im vergangenen Sommer das Halbfinale der Europameisterschaft gegen Italien vergeigte, wurde das auch interpretiert als Übergriff der Münchner Krankheit auf ganz Fußballdeutschland. Also auch auf Kollegen wie Marco Reus oder Mats Hummels, die Dortmunder, mit denen es die Bayern am Sonnabend zu tun hatten. Ihre Borussia stand auf einmal für das neue, das innovative, das erfolgreiche Deutschland und das Lahm-Schweinsteiger-Bayern nur noch für Stillstand, wenn nicht sogar Rückschritt.

„Wir haben im letzten Jahr viel einstecken müssen“, sagt Philipp Lahm. „Bastian und mir ist es endlich gelungen, einen internationalen Titel zu holen“, und daran werde nun mal gemessen, „ob eine Generation eine goldene ist“.

Ihr ehemaliger Kollege Oliver Kahn hatte die Diskussion losgetreten über Führungsspieler, die leider keine seien. Damit hat er sich in München nicht so sehr beliebt gemacht, aber so etwas ist Kahn bekanntlich egal. Auch der vorlaute Thomas Müller hatte vor Wembley schon mal angedeutet, bei einer erneuten Niederlage würde wohl das Etikett der ewigen Zweiten an den Bayern pappen.

Dieses Etikett hätte natürlich vor allem an den Leibchen der Herren Schweinsteiger und Lahm gepappt. Die beiden sind ja schon ein paar Jahre länger dabei und hatten sich mit jedem Jahr ohne ganz großen Titel mit den Bayern oder der Nationalmannschaft lauter vorhalten lassen müssen, da fehle doch noch etwas für eine dem Selbstverständnis der Bayern angemessene Karriere. „Für Philipp und Bastian wurde es langsam Zeit, einen großen Titel zu gewinnen“, bemerkt Jupp Heynckes in dieser German Endspiel-Night von Wembley ganz richtig.

Diese Diskussion hat sich mit Samstag erledigt.

Schluss mit Ästhetik. Jetzt geht's den Bayern nur noch ums Gewinnen

Bastian Schweinsteiger hat vor einem Jahr im Elfmeterschießen gegen die Fußballverweigerer vom FC Chelsea den entscheidenden Schuss gegen den Pfosten gesetzt und daraufhin, sichtlich verwirrt, bei der Siegerehrung dem Bundespräsidenten den Handschlag verweigert. Und so unglücklich, wie es damals in München endete, ist es in London erst einmal weitergegangen.

Beim Aufwärmen rasselt Bastian Schweinsteiger mit seinem Kollegen Mario Mandzukic zusammen, er muss kurz am Knöchel behandelt werden, hält sich nach Anpfiff merklich zurück und wird dann auf dem Rasen mit einem Dortmunder Überfallkommando konfrontiert. Schweinsteiger zieht sich am Anfang tief in die eigene Hälfte zurück und interpretiert seine Position im zentralen Mittelfeld so ultradefensiv, dass man ihn in einer anderen Zeit Libero genannt hätte. Für ihn im Besonderen wie für die Bayern im Allgemeinen gilt: Sie haben schon besser gespielt. Aber die Klasse großer Spieler und Mannschaften zeigt sich vor allem in Momenten, in denen nicht alles nach Plan läuft. Und in London läuft für die Bayern erst einmal gar nichts nach Plan.

Die Dortmunder Leidenschaft dominiert die Münchner Brillanz. Bastian Schweinsteiger ringt eine halbe Stunde mit sich und den Mitspielern und der Dortmunder Aggressivität. Dann erst gelingt es ihm an der Seite des Spaniers Javi Martinez, das Münchner Spiel zu stabilisieren, bis hin zur gewohnten Hegemonie, sie findet ihren Ausdruck in Mandzukics Führungstor. Und später, als nach dem Ausgleich des Dortmunders Ilkay Gündogan das Chelsea-Trauma durch Wembley geistert, stellt sich Schweinsteiger selbst als Stürmer auf. Bei jedem Eckball und Freistoß wetteifert er mit den Balljungen, um Zeit zu sparen und den Dortmundern den psychologischen Vorteil einer immer länger werdenden Fußballnacht zu nehmen. Bloß kein Elfmeterschießen!

Es ist ein seltsames, ein völlig Bayern-untypisches Spiel. Die Münchner verlegen sich auf lange, hohe Pässe, in deren Folge der Ball nur deshalb keinen Schnee ansetzt, weil London endlich mal einen der raren Frühlingstage erwischt hat. Das zeigt Wirkung: Fast jede der zahlreichen nun folgenden Münchner Chancen entspringt diesem ungewohnten Stilmittel, auch jene kurz vor Schluss, die zum entscheidenden Tor durch den Holländer Robben führt.

Lange, hohe Pässe. Das ist nicht ganz das, was sich der künftige Trainer Josep Guardiola vorstellt. Der Spanier ist der Meister des Kurzpassspiels, beim FC Barcelona hat er es unter der Bezeichnung Tiki-Taka an den Rand der Perfektion entwickelt. Aber es gibt bekanntlich keine bessere Taktik als den Erfolg, und intelligenter als am Sonnabend lässt sich eine Unterlegenheit kaum ins Gegenteil umkehren.

Jupp Heynckes steht in dieser Londoner Nacht nur zu deutlich ins wieder mal bayernrote Gesicht geschrieben, wie sehr er diesen Triumph genießt. Natürlich vor allem den über die frechen Dortmunder, aber ein bisschen auch den über die Lehre des Tiki-Taka. Das Brimborium um Guardiola ist ihm schwer auf die Nerven gegangen, er hat die ständige virtuelle Präsenz seines Nachfolgers nicht ganz zu Unrecht als mangelnden Respekt vor seiner Arbeit interpretiert.

Weil Jupp Heynckes nicht gerade eine rhetorische Begabung ist, hat er die Antwort dort gegeben, wo er es noch immer am besten gekonnt hat. Auf dem Platz. Wer weiß schon, ob der Ästhet Guardiola im Zweifelsfall alle Prinzipien geopfert hätte im Sinne der Sache. Heynckes sagt: „Ich übergebe meinem Nachfolger eine perfekte Mannschaft.“ Und: „Der FC Bayern wird zeigen müssen, ob er das fortsetzen kann.“

Was für ein nettes „Willkommen dahoam“ an den Mann, der den FC Bayern in eine erfolgreiche und glanzvolle Zukunft führen soll. Aber welche Zukunft kann schon glanzvoller und erfolgreicher sein als diese Gegenwart?

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