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Sport: „Charme beruht auf guten Manieren“

Künstler André Heller über das Kulturprogramm der WM 2006 und die Freundlichkeit der Deutschen

Herr Heller, wir treffen uns hier in der Bar des Hotel Adlon und …

… und schon rächt es sich – weil man vor lauter Hintergrundgeklimper keine vernünftige Konversation führen kann.

Einen Barpianisten würden Sie nicht für die Fußball-WM 2006 engagieren?

Unser einziger Pianist wird der geniale Lang Lang sein, eine Art junger chinesischer Mike Jagger des Tastentigertums.

Sie haben 30 Millionen Euro von der Bundesregierung für Ihr WM-Kulturprogramm bekommen. Dafür können Sie doch jeden engagieren, sogar Madonna?

Sie verwechseln gerade das WM-Kulturprogramm der Bundesregierung mit der WM-Gala der Fifa. Ersteres ermöglicht Projekte in 117 Ländern: von der Rundlederwelten-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau über Robert Wilsons Open- Air-Sportoper mit Herbert Grönemeyer bis zum Literaturkongress mit Fußballstreitgesprächen von Nobelpreisträgern. Mit all dem hat die 90-Minuten-Show im Olympiastadion am 7. Juni 2006 nichts zu tun. Das ist ein reines Fifa-Fest für Fernsehzuschauer in aller Welt.

Aber auch das funktioniert nicht ohne namhafte Künstler.

Regie wird der legendäre französische Choreograph Philippe Decouflé führen, ein Meister der schrägen Phantasie. Musikalisch ist, wie Sie wissen, Peter Gabriel zuständig. Derzeit beginnen gerade tausende freiwillige Darsteller am Boden und in den Lüften zu üben.

Und alle haben sich lieb – wie immer bei André Heller?

Bisher ist das Arbeitsklima liebevoll. Die Energien, die man aussendet, erhält man zurück. Eine andere Regel lautet: Je größer ein Projekt, desto kleiner müssen die Egos sein, sonst landet das Unternehmen rasch im Irrenhaus.

Um die Feier vor dem Eröffnungsspiel in München am 9. Juni 2006, die Sie auch gestalten, gab es zuletzt heftige Aufregung.

Bayern ist eine herzergreifende und für mich stets liebenswerte Separatwelt. Die Titelseite der größten Zeitung hat tagelang gegen vermeintliche Pläne des Gott sei Dank mit Ironie ausgestatteten Regisseurs Christian Stückl mobil gemacht. Zuvor haben sie aus irgendeinem Arbeitspapier herausgelesen, dass er tanzende Kühe und Giraffen vor dem Anpfiff auf den Rasen schicken wollte.

Der bayrische Trachtenverband will deshalb sogar die WM boykottieren …

… und die geschlossene SPD-Landtagsfraktion, wohlgemerkt nicht jene der CSU, hat Franz Beckenbauer und mir ein zweiseitiges Schreiben über die Notwendigkeit des behutsamen Umgangs mit Jodlern und Schuhplattlern übermittelt. Dieser Brief gehört in ein künftiges Handbuch über die Karl Valentin’sche Skurrilität älpischer Realpolitik.

Können Sie eigentlich mit Kritik umgehen?

Schon aus Selbstschutz benötige ich ständig Gewissenserforschung und bin auf – gelegentlich erbarmungslose – Hinweise von außen angewiesen, weil man im Getümmel der Arbeitsvorgänge manchmal das Gesamtbild unscharf sieht. Aber was die Launen des Feuilleton-Kameradschaftsbundes generell betrifft, will ich Ihnen die Wahrheit sagen: In meinem Büro landen seit 40 Jahren tagtäglich dutzende Zeitungsartikel in vielen Sprachen. Sie handeln meist davon, dass mich eine Journalistin oder ein Journalist für ein Genie oder ein Arschloch hält beziehungsweise ein Ergebnis von mir für großartig oder misslungen. So-là-là-Beurteilungen sind selten dabei.

Herr Heller, können Sie uns erklären, wie Charme funktioniert?

Der wirkliche Charme ist wohl ein Zauber, der auf Herzensbildung, gewissen guten Manieren und einer Eleganz der Gedanken beruht. Das hat etwas mit Leichtigkeit zu tun, oder, wie meine kluge Großmutter immer sagte, mit einem schwebenden Gemüt.

Max Frisch hat einmal über Ihre Geburtsstadt Wien gesagt: Eine Stadt, die den Charme zur Haltung erkoren habe, sei etwas Fürchterliches, ein Waffenstillstand mit der eigenen Lüge.

Wien ist doch nicht charmant, sondern eher voll wehleidiger Selbstzufriedenheit; und ein charmantes Volk gibt es natürlich nicht. Aber es gibt Länder mit einem höheren Anteil an Sympathieträgern. Italien ist trotz aller politischen Verrottetheit ein solcher Glücksfall. An Österreich abseits mancher Landschaften Charme zu erkennen, bereitet große Schwierigkeiten. Von Jörg Haider über Wolfgang Schüssel bis zu den grantigen Kellnern regiert eher das Dumpfdreiste.

Und wie beurteilen Sie die Stimmungslage in Deutschland? Hier im Adlon sind die Kellner vermutlich höflich, ansonsten sind die Berliner stolz auf ihre Rüpelhaftigkeit.

Nichts gegen die Berliner. Ich finde ihre Direktheit weitaus sympathischer als die Smalltalk-Schleimerei in gewissen PromiHalb- und Ganzwelten. Die Berliner glauben auch nicht, wie allzu viele in Deutschland, dass Erotik von Erröten kommt.

Sie haben das Motto der WM erfunden: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Wo sind Sie denn gern zu Gast?

Ich bin sozusagen von Beruf eine ständige Reise, sogar mein italienischer Wohnsitz ist eine Art Reise. Da kann man in einer burmesischen Orchideenwiese spazieren oder zwischen Baumfarnen aus Neuseeland, in einem Stück Amazonasvegetation oder zwischen Pflanzen des Atlasgebirges. Ich bin der Ansicht, dass Touristen Eignungsprüfungen machen sollten, ehe sie in ein Land einreisen dürfen. Sie sollten nachweisen, dass sie den nötigen Grundrespekt gegenüber kulturellen Zwischentönen und der Qualität des Fremden besitzen.

Deutschland gilt als Jammerland.

Es gibt tatsächlich eine merkwürdige Grundmieselsucht gerade bei jenen, denen es objektiv gut geht und die sozial abgesichert sind. Speziell viele Intellektuelle sind auf dieses Bleierne stolz wie auf eine Rettungsmedaille. Andererseits kann man in Deutschland sehr gut arbeiten. Ein Ja ist ein Ja, ein Nein ist ein Nein. In Japan dagegen verirrt man sich ständig in einem Labyrinth von Ausreden.

Die guten preußischen Tugenden.

Ich bin nicht zuständig für Eure Nationaleigenschaften. Die habt Ihr Euch in Jahrhunderten selber erarbeitet. In meiner Wahrnehmung oszilliert Deutschland zwischen Selbstunterschätzung und Hybris. Ich beobachte auch einen merkwürdigen Mangel an Begeisterung für Qualitäten, mal abgesehen von der Begeisterung für das Fußballspiel. Wenn ich eine Fee wäre, würde ich diesem schönen Land mehr Leichtigkeit, eine höhere Fähigkeit zur Ironie und einen sinnlicheren Zugang zu den Dingen des Lebens schenken. Man könnte auch sagen: Mehr Mozart als Defiliermarsch.

Und dafür ist Ihr WM-Kulturprogramm zuständig?

Kulturprojekte sind im gelungenen Fall eine Anregung, ein Wegweiser, eine Spielanleitung für etwas Lockerung. Natürlich sind sie auch häufig ein gewisser Trost für Trostlose. Ich arbeite seit bald 40 Jahren daran, dass es zu den sinnvollsten Aufgaben zählt, Kulturprojekte für ein so genanntes Massenpublikum zu entwickeln. Wenn man die herrschende Manierenlosigkeit, die schmerzhafte Intoleranz und Ignoranz konterkarieren will, wenn man es für sinnvoll hält, dass Menschen auf einen feineren Ton gestimmt werden, bedarf es eines Klavierstimmers. Dieser Klavierstimmer kann bis zu einem gewissen Grad die Kultur sein.

Das Gespräch führten Esther Kogelboom, Robert Ide und Moritz Schuller.

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