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Algen

© Hollmann

China: Die Volksbefreiung kämpft gegen Algen

Schmutziges Wasser, Nebel und kein Wind – das olympische Segelrevier bereitet Probleme und wurde am Montag sogar gesperrt.

Dschunken, so weit das Auge blickt. Hunderte der dickbäuchigen Fischerboote schunkeln nebeneinander vor der Küste von Qingdao. Doch statt ihre Netze auszuwerfen, stochern die Fischer mit langen Holzstangen im trüben Wasser und ziehen tonnenweise Algen aus dem ostchinesischen Meer. An Deck wachsen die glibbrig-grünen Haufen auf Mannshöhe.

Wenige Wochen vor Beginn der olympischen Segelwettbewerbe mobilisiert China Menschenmassen im Kampf gegen die Algen. Am Strand schaufeln ganze Kompanien der Volksbefreiungsarmee das Seegras fort, auf dem Wasser schuften die Fischer, staunt Johannes Polger aus Kiel: „Welcher Aufwand. 400 Fischerboote fahren organisiert über das Meer und fischen die Algen ab. Wahnsinn!“ Gestern wurde das Olympia-Revier von den Chinesen überraschend für alle Nationen, die dort schon trainieren, gesperrt.

Seit knapp einer Woche sind die deutschen Segler nun in China, trainieren konnten sie ohnehin nicht immer. Das liegt nicht nur an den Algen. Missmutig blickt Ulrike Schümann vom Steg Richtung Meer. Gerade noch konnte die Aktivensprecherin der deutschen Segler die Hafeneinfahrt erkennen, jetzt hat der Nebel sie wieder verschluckt. Auch Mazu, das Wahrzeichen von Qingdao, eine 20 Meter hohe Bronzestatue der Meeresgöttin, ist am Ende der Kaimauer nur schemenhaft zu erkennen. Nur ein laues Lüftchen streichelt die glatte Wasseroberfläche. „Nee, das wird heute wohl nichts mehr“, grummelt die Berlinerin.

Dabei zählt jetzt jeder Trainingstag, um sich an das spezielle Revier vor Qingdao zu gewöhnen, betont Schümann: „In jeder Klasse gibt es auf einmal chinesische Segler. Die haben den Heimvorteil, die kennen die Bedingungen hier.“ Wann die plötzliche Sperrung wieder aufgehoben wird? Keiner weiß das so genau.

Vor zwei Tagen hatte das Wetter mal ein Einsehen gehabt. Klare Sicht, eine ordentliche Brise, kaum Algen. Das macht Schümann allerdings skeptisch. Vielleicht haben die Chinesen ja mit der chemischen Keule nachgeholfen, argwöhnt die 35-Jährige: „Das stinkt so doll, irgendwas stimmt da nicht.“

Beim ersten vorolympischen Training vor drei Jahren, sagt Bundestrainer Thomas Piesker aus Berlin-Grünau, war es noch schlimmer. Da trieben „riesige mutierte Quallen“ vor der chinesischen Küste. Damals hätten die Organisatoren die Segler gewarnt. Das Berühren der Tentakel könne ernsthafte Hautverbrennungen verursachen. Dann lieber Algen, die blockieren höchstens das Ruder. „Das Seegras verfängt sich im Schwert. Dann kann man nicht mehr richtig steuern“, erklärt Florian Drtina, noch ein Berliner in Qingdao, sonst Student der Wirtschaftssinologie in Zwickau. Der 26-Jährige beobachtet die Plage seit Monaten. „Jetzt wird es wärmer, dadurch reproduzieren sich die Algen. Wenn der Wind wieder Richtung Land dreht, kommt das wieder zurück“, glaubt Drtina. Im vergangenen Herbst kam er nach China, um hier im Auftrag der NOCSP, einer internationalen Non-Profit-Organisation, Schülern das Segeln beizubringen. Pionierarbeit. Noch fehle den Chinesen generell die Leidenschaft, die „passion for sailing“.

Vor einigen Jahren war Drtina noch selbst Olympiakandidat, gemeinsam mit seinem Bruder. Dann aber verletzte sich Thomas Drtina, der Traum zerplatzte. Nun besucht er den jüngeren Bruder, hilft beim Training. Während Olympia aber werden beide Qingdao verlassen, die ehemalige deutsche Kolonie, deren Altstadt noch immer ein bisschen an Köpenick erinnert. Zuschauer bei Olympia? Das geht nicht, sagen die Drtinas. Zudem vermiesen die ständig verschärften Sicherheitsbestimmungen den Spaß an den Spielen, erzählt Florian Drtina: „Unser Büro ist im 21. Stockwerk mit Blick auf den Hafen. Während der Spiele dürfen wir das Fenster nicht öffnen. Polizei, Militär, alles ist hundertfach verstärkt. Nachts werden in Bars die Visa kontrolliert. Die Situation spannt sich immer mehr an.“

Also weg, in ein anderes Revier. Vor Schanghai ist Drtina gesegelt, vor Xiamen gegenüber von Taiwan und vor Shenzhen bei Hongkong. Doch so wenig Wind hat er nur vor Qingdao erlebt. Warum finden die Segelwettbewerbe dann gerade dort statt? Der braungebrannte Berliner grinst: „Ich glaube, das fragen die sich inzwischen selbst.“

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