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Abflug aus England. Didier Drogba verlässt den FC Chelsea und wechselt für viel Geld nach Schanghai – zu einem reichen Klub, aber auch in eine Zukunft mit vielen Unwägbarkeiten.

© dpa

Chinesischer Fußball: Wo der Klubchef schon mal mitspielt

Der Wechsel von Didier Drogba vom FC Chelsea zu Schanghai Shenhua ist die nächste Kuriosität in der chinesischen Liga. Auf Nachhaltigkeit setzt dort im Fußball niemand.

Vor einem Monat hat es Zhu Jun wieder getan. Viele Fans des chinesischen Fußball-Erstligisten Schanghai Shenhua fanden es nicht lustig, sie riefen „auswechseln, auswechseln“. Doch der 45 Jahre alte Chinese ließ sich nicht beirren und spielte im Freundschaftsspiel Schanghais gegen das argentinische Nachwuchsteam CN Sports Argentina eine Halbzeit lang durch. Er trug die Nummer 11 und trat im Sturm an der Seite des ehemaligen französischen Nationalspielers Nicolas Anelka an. Es war schon seine zweite Partie für Schanghai, 2007 war er ebenfalls überraschend für einige Minuten in einem Freundschaftsspiel gegen den FC Liverpool aufgelaufen. Überraschend, weil Zhu Jun alles andere als ein Fußballprofi ist. Ihm gehört der Klub.

Für diesen exzentrischen chinesischen Geschäftsmann und Multimillionär also will Didier Drogba bis Ende 2014 Fußball spielen. Das hat der 34 Jahre alte ivorische Nationalspieler in der vergangenen Woche auf seiner Webseite bekannt gegeben. „Ich fühle, dass Schanghai Shenhua der richtige Wechsel für mich ist“, schreibt der Stürmer, der im Mai den Ausgleichstreffer zum 1:1 und den entscheidenden Elfmeter beigetragen hatte zum Champions-League-Sieg des FC Chelsea über den FC Bayern. Laut chinesischen Medienberichten soll ihm Zhu Jun die Entscheidung mit einem Gehalt von 12 Millionen Euro pro Jahr erleichtert haben. „Ich freue mich auf eine neue Herausforderung und darauf, einen neue Kultur zu erfahren“, sagte Drogba. Was die Fußballkultur betrifft, wird er sich tatsächlich auf einige Herausforderungen gefasst machen müssen.

Zum Beispiel bei Schanghai Shenhua. In der seit März laufenden Saison warf Schanghais Klubchef, der gerüchteweise auch mal Einfluss auf die Aufstellung nimmt, zunächst die Assistenztrainer raus. Anschließend musste sich auch der französische Trainer Jean Tigana verabschieden. Nicolas Anelka wurde zum spielenden Co-Trainer ernannt, anschließend zum Spielertrainer. „Anelka ist kein Trainer“, wundert sich der Schotte Cameron Wilson, Mitglied der Schanghaier Ultras und Betreiber der Fußballinternetseite „wildeastfootball.net“, „er ist zu introviert und ruhig.“ Der Klub muss das irgendwann auch bemerkt haben und verpflichtete den ehemaligen argentinischen Fußballweltmeister Sergio Batista als Trainer. Was wiederum Anelka überraschte, der kurzzeitig mit seinem Weggang drohte, später aber von einem Missverständnis sprach. Sportlich wird das ganze Theater vor dem 14. Spieltag mit einem enttäuschenden fünftletzten Platz dokumentiert. Didier Drogba soll das alles ändern, der Klubchef spricht vom Meistertitel in der laufenden Saison, was absurd ist angesichts von 15 Punkten Rückstand auf den souveränen Tabellenführer Guangzhou Evergrande. Am 14. Juli im Derby gegen Beijing Guoan wird Drogba erstmals eingreifen. „Die Atombombe ist eingetroffen“, sagt Schanghais Torwart Wang Dalei, „ich werden jetzt noch härter trainieren, um mich zu steigern.“

Der chinesische Fußball krankt an seiner nicht vorhandenen Basis

Das wäre sicherlich ein positiver Effekt der jüngsten spektakulären Verpflichtungen, die sich nicht nur auf Schanghai beschränken. Meister Guangzhou Evergrande verpflichtete zuletzt den italienischen Weltmeistertrainer Marcello Lippi sowie Lucas Barrios von Borussia Dortmund. Eine Entwicklung, die bei dem Fußballfan Cameron Wilson gemischte Gefühle auslöst. „Natürlich ist es aufregend, so einen Musterprofi wie Didier Drogba im eigenen Team zu sehen“, sagt der schottische Anhänger von Schanghai Shenhua, „andererseits wäre es besser, wenn man das viele Geld in die langfristige Entwicklung des Fußballs in China stecken würde.“

Das chinesische Fußballsystem krankt vor allem an seiner nicht vorhandenen Basis. Im Volk der 1,3 Milliarden Menschen gibt es laut chinesischem Fußballverband lediglich 700 000 registrierte Fußballer, manche Experten sprechen gar nur von 50 000. „Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder Fußball spielen, weil das System als korrupt gilt“, erzählt Cameron Wilson. Der aktuelle Bestechungsskandal, bei dem rund 50 Beteiligte, darunter vier chinesische Nationalspieler, zu teilweise langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, unterstreicht das nur. In der Weltrangliste liegt China hinter Benin auf Rang 73, die Qualifikation zur WM 2014 ist auch schon wieder verpasst.

Es fehlt an Nachhaltigkeit im chinesischen Fußball, Trainer und Spieler wechseln rasanter als die Stadtbilder Pekings oder Schanghais. Dabei kommt es zu zahlreichen Kuriositäten. In dieser Woche änderte die Liga mal eben während der Saison die Ausländerregel und erlaubte dem Teilnehmer an der asiatischen Champions Leaugue, Guangzhou Evergrande, zwei Ausländer mehr als alle anderen Klubs zu verpflichten. Interessant auch, dass Guangzhou trotz einer bis dato perfekten Saison – Platz eins in der Liga, Qualifikation für die nächste Runde der asiatischen Champions League – seinen südkoreanischen Meistertrainer Lee Jangsoo rausgeworfen hat. Weil in Marcello Lippi ein größerer Name zu Verfügung stand.

Wer glaubt, dass solche Ereignisse Einzelfälle im chinesischen Profisport sind, den belehrt das Buch „Brave Dragons“ eines Besseren. Der Journalist Jim Yardley beschreibt darin die Saison 2008/09 mit dem gleichnamigen Basketballteam aus Shanxi. Auch hier wird der erfolgreiche, aber nicht so bekannte amerikanische Spieler gegen den berühmteren amerikanischen Profi Bonzi Wells ausgetauscht. Auch hier nimmt der exzentrische Besitzer Einfluss auf die Aufstellung. Und als der ehemalige NBA-Spieler Bonzi Wells bei seinem neuen Klub eintrifft, muss er als Erstes zur Halle fahren – und gegen den Klubbesitzer eins gegen eins spielen.

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