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CHIO Aachen: Auf dem Rücken der Pferde

Das CHIO in Aachen soll ein Zeichen gegen Doping im Reitsport setzen. Doch Leistungsdruck und Tierquälerei sind kaum zu besiegen.

Sie hatten Reagenzgläschen dabei, darin rote Flüssigkeit. Das sollte zeigen, wie peinlich genau die Untersuchungen vonstatten gehen sollen. Wurde ein Pferd gedopt? Bis ins Blut der Tiere will man beim weltgrößten Reiterfest, dem CHIO in Aachen, das am Freitag begonnen hat, diese Frage verfolgen. Das wollten die Veranstalter vor Beginn des Turniers demonstrieren. Und dann war doch bloß Tomatensaft in den Reagenzgläschen. Und vielleicht war das symptomatisch für den Zustand der Aufklärungsbemühungen im Reitsport: Es wird nur so getan als ob. Weil man gar nicht genau weiß, wie.

Der Reitsport krankt an Undurchsichtigkeit. Es gibt verbotenes Doping und erlaubte Medikation. Aber wo genau dazwischen die Grenze verläuft, ist nicht klar. Das ist – schlimmer noch – auf nationaler und internationaler Ebene unterschiedlich festgelegt. Jahrelang hat das niemanden gestört. Es war wie eine stille Vereinbarung: Pferde, die Ausnahmeleistungen bringen müssen, bedürfen der Behandlung. Für den Zuschauer blieb die Illusion der perfekten Harmonie zwischen Mensch und Tier. So verpuffte 2004 die Erregung schnell, als die deutsche Springreiter-Equipe ihr Gold bei den Olympischen Spielen in Athen verlor, weil Ludger Beerbaum sein Pferd unangemeldet mit einer Salbe „behandelt“ hatte. Erst der Skandal um Christian Ahlmann und sein Pferd Cöster bei den Olympischen Reiterspielen vor einem Jahr in Hongkong änderte das.

Ahlmann wurde verdächtigt, seinem Pferd eine Paste mit dem hautreizenden Wirkstoff Capsaicin auf die Vorderbeine geschmiert zu haben, um das Anstoßen an den Stangen im Parcours schmerzhafter zu machen. Und nun stand – anders als zuvor im Reitsport, beim Leichtathleten oder Radfahrer – nicht nur die Frage nach unzulässiger Leistungssteigerung im Raum, sondern auch die nach Tierquälerei.

Und doch wurde weiter beschwichtigt: Na ja, die Springreiter, die seien eben so. Das bestätigte Ludger Beerbaum vor einigen Wochen, als er in einem Zeitungsinterview sagte, er habe seine Pferde stets nach dem Motto medikamentiert: „Erlaubt ist, was nicht gefunden wird.“ Beerbaum sagt auch: „Wir machen Leistungssport und sind kein Streichelzoo.“ Doch nun ist auch die Vorzeigereiterin aus der Sparte Dressur aufgeflogen: Isabell Werth, fünffache Olympiasiegerin, ist gesperrt, ihr Pferd Whisper wies Reste eines Psychopharmakons auf, das als Tiermedizin gar nicht zugelassen ist, sondern beim Menschen zur Behandlung von Psychosen eingesetzt wird. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sagte Werth nun, sie fühle sich „in eine Ecke gestellt, in die ich nicht gehöre. Ich bin keine Kriminelle“.

Als großes internationales Turnier in Deutschland hat das CHIO in Aachen jetzt die Möglichkeit, ein Zeichen für Glaubwürdigkeit zu setzen. Im Anti-Doping-Kampf seien die Organisatoren „top“ vorbereitet, heißt es beim CHIO. Es gibt ein „Medical Control Center“, in dem Blutproben der getesteten Pferd untersucht werden. Und es gibt 42 sogenannte „Stewards“, die alle 450 Pferde auf dem Turniergelände kontrollieren sollen. Mehr Dopingkontrollen soll es außerdem geben, zusätzlich eine Wärmebildkamera, die erkennen kann, ob die Haut der Pferde behandelt wurde.

All dies sind wichtige Maßnahmen. Doch während die Turnierveranstalter sich damit vor allem auch selbst vor Vorwürfen schützen, gerät die eigentliche Problematik bei dieser Art Getöse aus dem Blickfeld. Der internationale Verband der Reiter (FEI) und die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) haben sich noch immer nicht auf Anti-Doping-Regeln geeinigt, die sowohl für nationale als auch für internationale Turniere gelten. Ein Beispiel: Für die FN ist der Nachweis eines Beruhigungsmittels immer Doping, denn der Verband ahndet jede Form der Behandlung. Für den FEI kann solch ein Nachweis mal Doping, mal verbotene Medikation bedeuten. Selbst die kurzfristige, harmlose Behandlung eines tränenden Auges, international genehmigt, kann dem Reiter auf einem nachfolgenden nationalen Turnier Probleme bereiten. Wenn dann noch eine kleine Menge des Wirkstoffs im Blut schwimmt, gilt das Pferd als behandelt – und gedopt.

Eindeutige Regeln würden die bisher quälend vermisste Linie ziehen zwischen Behandlung und Doping. Man müsste sie nur endlich aufstellen. Und dazu eine Liste mit schmerzhaften Sanktionen für alle, die die Regeln verletzen. Denn Reiter sind ehrgeizig, und die Gewinnsummen, vor allem im Springreiten, sind hoch. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat zwar inzwischen die Kader aller olympischen Disziplinen aufgelöst und nennt das eine drastische Maßnahme. Aber wie drastisch ist die wirklich, wenn gleichzeitig der Bundestrainer der Springreiter, Otto Becker, sagt, der Sport gehe erst mal ganz normal weiter?

Der Schock, den die Ankündigung von der Auflösung der Kader auslöste, verging schnell. Denn jeder sieht: Wirkliche Konsequenzen gibt es nicht. Sogar Ludger Beerbaum, den die FN nach seinen Äußerungen aus der Nationalmannschaft ausschloss, wird beim CHIO reiten – wenn auch nicht für die Nation, so doch als Einzelstarter. Auch die Befragung der Profireiter durch eine unabhängige Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die Mitte Juli beginnen soll, wirft Fragen auf. Was soll dabei herauskommen? Glaubt einer daran, dass die Spitzenreiter, für die der Sport auch Beruf ist, ihre Medikationspraktiken der vergangenen Jahre offenlegen und damit eventuell Erfolge aus der Vergangenheit kaputt machen? Wohl kaum. Die Medikamentenschränke der Profis werden auch nach einer solchen Befragung nicht leergeräumt, eine Generalsäuberung des Reitsports, wie sie sich die FN erhofft, wird es nicht geben.

Vielleicht ist die Null-Toleranz-Lösung der FN illusorisch. Warum soll einem Pferd etwa versagt werden, was Humansportlern bei der Regeneration hilft? Reiter, Funktionäre und Tierärzte sollten in die Verantwortung genommen werden. Sie sollten ausarbeiten, welche Mittel helfen, ohne zu schaden. Und diese Medikamente dann offiziell zulassen. Doping wird auch so nicht ganz aus dem Reitsport verschwinden. Aber vielleicht besinnen sich die Reiter dadurch endlich wieder auf ihre Aufgabe jenseits der Medaillenjagd: die Verantwortung gegenüber ihrem Sportpartner, dem Pferd.

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