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Großes Herz, riesige Lungen. Froomes Leistungsfähigkeit ist enorm.

© Reuters

Christopher Froome: Der mit dem Stier auf der Schulter

Ist Radprofi Christopher Froome tatsächlich frei von Doping? Die Erklärungsversuche für die Leistungen des Tour-de-France-Führenden reichen von Trainingsmethoden bis zur antiken Legende.

Der britische Radrennfahrer Christopher Froome dominiert die diesjährige Tour de France. Und mit seinen Leistungen, die denen von überführten Epo-Dopern und Tour-Siegern wie Lance Armstrong, Marco Pantani und Jan Ullrich entsprechen, ist er in eine extreme Verdachtszone geradelt.

Weil bisher aber kein stichhaltiger Hinweis auf Doping bekannt wurde und auch eine Autorität wie der einstige Armstrong-Kritiker David Walsh, der Froome mehrere Wochen lang begleitet hatte, anders als im Falle Armstrong keinerlei Indizien für Sportbetrug fand, muss man wohl nach alternativen Erklärungen für seine Superperformance suchen.

Eine davon wäre geradezu mythisch. Vielleicht ist der in Kenia geborene Brite ein Wiedergänger von Milon von Kroton. Der Legende nach erwarb dieser sechsfache Olympiasieger im Ringkampf und damit als größter Olympier der Antike seine Stärke dadurch, dass er als Kind ein Kalb auf die Schultern nahm und täglich um sein Haus trug. Er setzte diese Übung auch weiterhin fort, als das Kalb schon längst zum Stier geworden war.

Das Training, dass der frühere australische Schwimmtrainer Tim Kerrison bei Froomes Rennstall Sky einführte, entspricht diesem Prinzip. Es beginnt mit bereits hohen Intensitäten, die in der Folge weiter ausgedehnt werden, so dass Höchstleistungen über einen längeren Zeitraum abgerufen werden können.

Diese Trainingsmethode, „Reverse Periodization“ genannt, könnte den gesamten Radsport revolutionieren. Denn bislang wurde dort häufig nach dem genau entgegengesetzten Prinzip gearbeitet. „In der klassischen Periodisierung legt man erst die Grundlagen der Ausdauer und arbeitet dann an der Kraft. In der Sportwissenschaft wird dieses Konzept, das aus den 50er Jahren stammt, schon länger kritisiert“, sagt der Kölner Sportwissenschaftler Christian Manunzio. Bemerkenswert sind dabei die ungewöhnlichen Formkurven der Sky-Profis seit zwei Jahren. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt waren Bradley Wiggins in der letzten Saison sowie Christopher Froome und Richie Porte in diesem Jahr so topfit, dass sie die kleineren Rundfahrten des Frühjahrs ähnlich dominierten wie darauf die Tour de France.

Froome - zwischen "wundersamen Performances" und "konsistenten Leistungen"

Die Konkurrenz wurde aufmerksam. „Dieses Prinzip ist interessant. Wir beschäftigen uns in letzter Zeit intensiver mit alternativen Trainingsmethoden. Aber man muss auch die Sportler haben, auf die diese Art Training passt“, sagt Jim Ochowicz, General Manager beim Evans-Rennstall BMC. Und genau hier könnte eine Erklärung liegen, der die außergewöhnliche Leistung von Christopher Froome begründet. Die hohe Belastung der „Reverse Periodization“ halten nur physisch sehr starke Athleten aus. Und der Brite soll ja, glaubt man Sky-Teamchef Dave Brailsford, über genetische Vorteile wie „ein großes Herz und riesige Lungen“ verfügen.

Auch von Milon von Kroton, dem Urvater dieser Trainingslehre, sind physische Außergewöhnlichkeiten überliefert. Er soll einen vierjährigen Stier durch das Stadion von Olympia getragen, anschließend geschlachtet und binnen eines Tages komplett verspeist haben. Er stützte auch den Giebel eines Hauses, nachdem eine Säule eingestürzt war. Derartige Wundertaten sind von Froome nicht bekannt. Aber sind seine Leistungen bei der Tour nicht schon Wundertaten genug?

Pech nur, dass selbst die Erklärung einer neuen Trainingslehre Froome nicht gänzlich vom Dopingverdacht freispricht. Denn auch bei Extremleistungen im Training kann Doping natürlich hilfreich sein. Belastungen können erhöht, die Schmerzgrenze verschoben werden. Und damit ist man bei dem gleichen Erklärungspatt, das der Weg über die Leistungsmessung verursachte. Den Berechnungen des französischen Leistungsdiagnostikers Antoine Vayer, der Froome in der Zeitung „Le Monde“ „wundersame Performances“ attestierte, setzte die „L'Equipe“, das Blatt vom Tourveranstalter ASO, die Analyse von Frédéric Grappe entgegen. Grappe hatte Leistungsdaten Froomes aus den letzten zwei Jahren vorliegen – und bescheinigte ihm „konsistente Leistungen“. Damit wäre Froome entlastet.

Es bestehen jedoch innerhalb der Sportwissenschaft Zweifel, ob Leistungsmessungen überhaupt als direkter Indikator für Doping sinnvoll sind. Bis neue Testverfahren endgültige Aufklärung bringen, kann man sich wohl nur mit der Annahme behelfen, Christopher Froome sei der neue Milon von Kroton.

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