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Torwart Marko Weese liegt am Boden, hinter ihm schlägt der Ball im Netz ein.

© Ian Stenhouse

Club Italia: Die Negativrekordhalter

Club Italia belegt in der Berlinliga den letzten Tabellenplatz, hat in 16 Spielen 174 Gegentore kassiert – und erhält dafür eine ganze Menge Respekt.

Irgendwann machte die Gegenwehr keinen Sinn mehr. Gerade war Safa Sentürk, Stürmer des Berlin-Ligisten BSV Hürtürkel wieder völlig frei mit Ball am Fuß vor Torwart Martin Weese aufgetaucht. Der als Aushilfe eingesprungene Schlussmann von Club Italia blieb einfach stehen, streckte nur halbherzig die Arme aus und ließ Sentürk das Tor erzielen. Sein sechzehntes in diesem Spiel.

Ein Torrekord für den Hürtürkel-Angreifer, doch für die Gäste von Club Italia war das Endergebnis von 1:16 nichts Ungewohntes. Auch sie haben in dieser Saison Rekordverdächtiges zu Stande gebracht, wenn auch im negativen Sinne. Der finale Treffer von Sentürk war Gegentor Nummer 220. Vor allem die Rückrundenbilanz vor dem letzten Spieltag ist bemerkenswert: Kein einziger Punkt und 2:174 Tore. „Die Leistung verdient trotzdem Respekt“, sagte Sentürk nach dem Spiel. „Die haben fair bis zum Ende weitergespielt, obwohl sie hoffnungslos unterlegen waren.“

Anerkennende Worte findet auch der Berlin-Liga-Vorsitzende. „Wir hatten ja öfter die Befürchtung, dass die nicht mehr antreten“, sagte Hans Schumann, „aber die haben die Saison ordentlich zu Ende gespielt, dazu auch noch äußerst fair. Davor ziehe ich meinen Hut.“

Nicht mehr antreten, das kam für Trainer Recayi Özgenc und seine Spieler nie infrage. Das war das Versprechen, dass er in der Winterpause gegeben hatte, als er vom Vorstand gebeten wurde, mit seiner Reservemannschaft aus der zehntklassigen Kreisliga B den Platz der ersten Mannschaft vier Ligen weiter oben einzunehmen. Die war nämlich nicht mehr vorhanden. Sie hatte sich nach der schwachen Hinrunde, Tabellenletzter mit sechs Punkten, gemeinsam mit dem Hauptsponsor verabschiedet. Als das Geld fehlte, suchten die Spieler das Weite.

Der Klub stand vor der Wahl, hinschmeißen und in der Kreisliga C wieder anfangen, oder irgendwie die Saison über die Bühne bringen, um die Chance auf einen Neuanfang in der Landesliga zu wahren. Özgenc willigte ein, in Rücksprache mit seiner Mannschaft, die als eingeschworene Truppe in der Kreisliga B eine ordentliche Hinrunde absolviert hatte. Am Anfang war man sogar euphorisch, einmal im Leben in der höchsten Liga Berlins zu spielen, „das ist doch was Besonderes“, sagte der Trainer.

So ging das Team vom Spandauer Damm in Charlottenburg mit einem festen Grundsatz in das Abenteuer: Verlieren ist okay, aufgeben nicht. Auch als es eine hohe Niederlage nach der nächsten setzte, ließ sich die Truppe nicht entmutigen. Während andere Mannschaften in ähnlichen Situationen oft bei hohem Rückstand um Spielabbruch wegen sportlicher Unterlegenheit bitten oder irgendwann keine elf Spieler mehr zusammenkriegen, zog Club Italia jede noch so bittere Partie über 90 Minuten durch. Und die Mannschaft hielt zusammen.

Es machte sogar Spaß, wie Stammtorwart Alexander Werner erzählt. „Wir haben einen super Zusammenhalt im Team, das war schon irgendwie auch eine tolle Sache.“ Und auch nach der höchsten Niederlage, dem 0:21 gegen TuS Makkabi (neuer Rekord in der Berlin-Liga), habe es gute Stimmung in der Kabine und Lob vom Gegner gegeben, sagt der Keeper in einer fröhlichen Art, die so gar nicht danach klingt, als hätte er die meiste Zeit damit verbracht, den Ball aus dem eigenen Netz zu fischen.

„Ich sehe das so: Wenn ich 20 Bälle aufs Tor bekomme und davon zehn halte, habe ich doch ein super Spiel gemacht“, sagt Werner. Ein bisschen komisch sei er sich aber schon vorgekommen, nach zweistelligen Niederlagen noch als bester Spieler seiner Mannschaft in der Fußball-Woche gestanden zu haben.

Trainiert wurde kaum, wie eine Freizeittruppe habe man sich einfach an den Wochenenden zum Spiel verabredet, erzählt Werner weiter. Um dann auf Gegner zu treffen, die teilweise bis zu fünf Übungseinheiten pro Woche absolvieren. Für Trainer Özgenc eine Geduldsprobe. „Ich mache hier alles: Animateur, Psychologe, Clown“, erzählt der Coach. Für das letzte Spiel am heutigen Sonntag gegen den 1.FC Wilmersdorf (14 Uhr) hat er sogar nochmal eine besondere Überraschung für seine Spieler vorbereitet, um sich für diese in jeder Hinsicht außergewöhnliche Saison zu bedanken. „Wir haben uns für den Verein aufgeopfert, das ist für mich wertvoller als jeder Aufstieg“, sagt Özgenc. Allerdings gibt es momentan nicht mal einen Vorstand bei Club Italia, die Zukunft ist unklar. Der Trainer hätte durchaus Lust auf das nächste Abenteuer in der Landesliga, doch jetzt braucht er erst mal Urlaub. „Ich bin völlig fertig mit den Nerven“, sagt er, „das war echt ein verrücktes halbes Jahr.“

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