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Quiz-Gott und Curler. Sebastian Jacoby dürfte sich besonders auf das Olympia-Finale am Samstagmorgen freuen.

© picture alliance/dpa

Curling: Sebastian Jacoby erklärt das große Missverständnis

Der ARD-Quiz-Experte war mal Europameister im Curling. Sein Sport boomt mittlerweile - wird in Deutschland aber immer noch belächelt.

An diesem Samstag werden sie den polierten Granit in Pyeongchang noch einmal übers Eis jagen, die gesprenkelte Spur mit den Besen bearbeiten, bis die Steine im Haus stehen oder einander aus selbigem hinausschieben. Dann, nach dem Finale USA gegen Schweden, wird der Spitzensport Curling wieder vier Jahre aus der deutschen Wahrnehmung verschwinden. Deutsche Teams durften zu den Spielen gar nicht erst anreisen.

9000 Kilometer entfernt, in einer Gaststätte im Duisburger Innenhafen. Der Deutsche Quiz-Verein ist direkt nebenan. Von da kennen die meisten Sebastian Jacoby: als „Quiz-Gott“ in der ARD-Sendung „Gefragt – Gejagt“. Der Mann, der alles weiß. Was viele über ihn nicht wissen: Jacoby war auch mal Europameister im Curling. Zum Gespräch bringt er Wischer und Schuhsohlen mit. Alpinsport hat der gebürtige Allgäuer früh versucht, sagt er, aber das war ihm nicht Kopfsache genug. Sein Schulsport Curling dagegen forderte Körper und Geist gleichermaßen.

„Die Einschaltquoten bei Olympia zeigen, dass die Leute es gut finden“, sagt Jacoby. Doch Anfragen während der Spiele kann der Deutsche Curling-Verband nicht bedienen. Es gibt nur eine Handvoll Hallen im Land. Vor allem im Südwesten, wo die kanadischen Truppen stationiert waren, die die Tradition in den Fünfziger und Sechziger Jahren ins Land brachten. Die Wurzeln des Sports reichen bis ins 16. Jahrhundert in Schottland zurück. Ein Admiral soll damals eine plattgedrückte Kanonenkugel im Nebel über den See geschubst haben.

Curling in Afghanistan

Heute ist der Eissport der World Curling Federation zufolge einer der am meisten wachsenden der Welt. Längst sind es nicht mehr nur Europäer und Kanadier, die ihm nachgehen. Es sind auch Wüstenstaaten wie Afghanistan, Saudi-Arabien und Katar. Nur in Deutschland liegt der Sport brach: 700 Curler gibt es hierzulande. In Pyeongchang verpassten Männer und Frauen die Qualifikation. Der Sport muss sich neu aufstellen. Er hofft auf mehr Hallen – und einen Imagewandel. Curling, das ist hierzulande für viele noch immer ein großes Missverständnis.

Das liegt, glaubt Jacoby, vor allem an fehlenden Fachkommentaren. „Curling ist weder Schach noch Eisstockschießen“, aber genau das werde im Fernsehen oft verkauft. Er beschreibt die Faszination so: Wer die bessere Spielidee hat, die Winkel sieht, Athletik, Technik, Taktik zusammenbringt, das ist Curling. Doch Spielzeiten von mitunter drei Stunden sind für Zuschauer nur bedingt zu ertragen. Neue Wettkampfformate sollen das ändern. Mit weniger Ends, also Spielabschnitten, soll an der Uhr gedreht werden. Der Mixed-Wettbewerb, der in Pyeongchang Olympia-Premiere feierte, soll es auch kleineren Nationen ermöglichen, teilzunehmen – auch muslimischen, wie eben Katar oder Saudi-Arabien. Aufs Eis könnten Frauen auch verschleiert, sagt Jacoby. So könnte Curling auch etwas zur gesellschaftlichen Teilhabe beitragen.

Und in Deutschland? Früher hießen die Schlagzeilen: „Männer agieren wie Putzweiber“. Die Häme hat zwar abgenommen. Aber ernst nehmen viele den Sport auch fast hundert Jahre nach der Olympia-Premiere 1924 noch nicht. Es ist wohl die Skurrilität des Besens, meint Jacoby. „Das Image der vermeintlichen Witzsportart kenne ich sonst so nur vom Synchronschwimmen“, weil da eben Nasenklammern als notwendiges Accessoire ähnlich albern aufgefasst werden.

Wischen, wischen, wischen. Das gilt auch für das Schweizer Team.
Wischen, wischen, wischen. Das gilt auch für das Schweizer Team.

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Öffentlich wird der Sport zwar als intelligent begriffen. Aber eben nicht athletisch. „Niemand behauptet, es wäre ein Marathon“, beschwichtigt Jacoby. Dass der Anspruch gestiegen ist, zeigte auch der Dopingfall des Russen Alexander Kruschelnizki bei diesen Spielen. Mit dem Ruf der Gemütlichkeit tut man den Sportlern Unrecht. Ein Takeout, also das Herausschießen eines gegnerischen Steins mit 20 Kilo Granit über 42 Meter etwa erfordert immensen Kraftaufwand im Oberschenkel. Beim Wischen kommen Sportler auf einen 190er Puls. „Wenn Sie davon sechs pro End spielen, und das zehn Mal hintereinander, wissen Sie, was Sie am Ende des Tages getan haben.“

Hoffnung macht Jacoby ein anderer Sport, der es aus finsteren Kneipen ins Rampenlicht geschafft hat: Auch die dem Klischee nach dickbäuchigen Pfeilewerfer im Darts wurden lange belächelt. Heute sind Dart-Übertragungen Quotenhits. Kann das mit Curling auch klappen? Partys wie im Londoner Alexandra Palace, in denen Fans mit viel Bier vor allem sich selbst feiern, sind in der Eishalle schon logistisch undenkbar. „Aber bei der Vermarktung und den Persönlichkeiten können wir uns etwas abschauen", meint Jacoby. Der Spannungsbogen zur Inszenierung sei ja in beiden Sportarten gegeben. Im Darts muss der letzte Wurf sitzen – im Curling kann ein Stein das ganze Spiel drehen.

Jacoby spielt heute noch drei bis vier Turniere im Jahr. Auch seinen heute zweijährigen Sohn würde er gern irgendwann für den Sport begeistern. Doch Duisburg hat keine Halle – er müsste mit ihm 70 Kilometer weit nach Köln fahren.

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