zum Hauptinhalt
Kein Pardon. Judoka Daniel Herdrich (r.) kämpft seinen Widersacher Markus Schreiner bei den Special Olympics zu Boden. Foto: dpa

© dpa

Sport: Dabeisein ist wirklich alles

Die Special Olympics für Menschen mit geistiger Behinderung zeigen, wie Inklusion funktionieren kann.

Klar, Stefan Lusch könnte sich jetzt ärgern. In der letzten Aktion des Spiels ist ihm, dem Torwart, noch ein Ball durchgerutscht. Die Partie ging verloren wie auch schon die davor. Aber warum sollte er? Wo es doch viel Wichtigeres gibt, das nächste Spiel zum Beispiel, in dem seine Vertreterin zum Einsatz kommt, der er gleich Mut zuspricht. Oder die Eröffnungsfeier, die noch nachwirkt. 11 000 Menschen, darunter Bundespräsident und Schirmherr Joachim Gauck, waren in der Olympiahalle. Musik, Tanz, Artistik, und das ganze olympische Zeremoniell, mit Fahne, Eid und Entzündung des Olympischen Feuers. Was ihm am besten gefallen habe? Lusch überlegt kurz und sagt: „Es war alles so schön.“ Was ist im Vergleich dazu ein durchgerutschter Ball? Nichts.

Stefan Lusch kommt von den Hanauerland Werkstätten aus Kehl am Rhein. Er ist einer von 5000 Athleten, die in dieser Woche in München bei den nationalen Sommerspielen der Special Olympics mitmachen, einer weltweiten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. So viele Teilnehmer gab es in Deutschland noch nie. In 19 verschiedenen Sportarten treten sie an, von Fußball, Kanu und Leichtathletik bis hin zu Boccia und Golf.

Hier geht es nicht primär ums Gewinnen, sondern um den heilsamen Effekt, den Bewegung und Gemeinschaft auf Körper und Seele des Menschen haben. Eine Idee, die der olympischen Bewegung insgesamt zugrunde liegt, die aber durch den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) betriebenen Vermarktungsirrsinn zunehmend in den Hintergrund gerät. Es ist eine Entwicklung, die auch die Paralympics, die Spiele für körperlich Behinderte, zunehmend prägt. Bei den Special Olympics hingegen geht es nicht um Leistungs- oder gar Hochleistungssport, sondern um den Kern des Sports, ums Dabeisein mit den Talenten, die ein jeder einzubringen hat.

Die Chance, regelmäßig sportlich aktiv zu sein, haben die meisten Menschen mit geistigem Handicap überhaupt erst durch die Special-Olympics-Bewegung bekommen, die 1968 unter Führung von Eunice Kennedy-Shriver gegründet wurde, der Schwester von John F. Kennedy und späteren Schwiegermutter von Arnold Schwarzenegger. Aber es geht um noch mehr als die körperliche Ertüchtigung. Die Special Olympics sind auch eine politische Bewegung, die dafür kämpft, Menschen mit geistiger Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Schlüsselwort lautet nicht Integration, sondern Inklusion. Der Sport soll dabei Vorbildfunktion haben.

Zwar sind die Veranstaltungen der Special Olympics schön und unverzichtbar, erst recht wenn sie wie in dieser Woche auf der herrlichen Bühne des Münchner Olympiaparks stattfinden. „Es tut allen gut, mal was anderes zu machen“, sagt Friederike Breisacher, die Betreuerin von Stefan Lusch. Viel zu oft ist das Leben von geistig behinderten Menschen vom ewig gleichen Trott geprägt. Und hier funktioniert das mit der Inklusion auch gut, es gibt sogenannte Unified-Mannschaften mit behinderten und nicht behinderten Athleten. Und auch unter den freiwilligen Helfern mischen sich die Gruppen.

Aber abseits dieser großen Ereignisse, im Alltag, will es noch nicht so recht klappen. „Ein Mensch mit geistiger Behinderung soll selbst entscheiden können, wann, wo und mit wem er Sport treibt“, sagt Sven Albrecht, Geschäftsführer der Special Olympics Deutschland. „Aber bei der Inklusion in Vereinen stehen wir noch am Anfang.“ An der Basis fehle es vor allem am Bewusstsein, dass Menschen mit geistiger Behinderung im normalen Betrieb dabei sein können – und dass sie letztlich auch ein Recht darauf haben.

Immerhin gibt es eine UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die auch Deutschland ratifiziert hat. Die Bundesregierung hat danach auch einen Aktionsplan ausgearbeitet. Doch der geht den Leuten von Special Olympics noch längst nicht weit genug. Die Bedeutung des Breitensports und des Sports in Wohngruppen und am Arbeitsplatz werde darin zu wenig berücksichtigt, kritisiert Albrecht. Er weiß, der Weg ist noch lang. Aber erst einmal steht an diesem Freitag die Abschlussfeier an. Es wird wieder ein ganz besonderes Erlebnis, für Stefan Lusch und all die anderen.

Zur Startseite